"Auch wenn ich eigentlich glaubte, dass die Zeiten der Loyalitätseide vorbei sind – das hatten wir ja in früheren Zeiten –: Ja, ich esse Fleisch. Ja, ich lese Ernst Jünger. Aber nein, ich habe nichts mit der AfD zu tun. Und nein, ich glaube, ich eigne mich auch nicht als Poster Boy der Neuen Rechten."
Das hörten die 160 Besucher im vollbesetzen Berliner TAK-Theater den Journalisten und Schriftsteller Simon Strauß gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion über das Politische und Ästhetische in der Literatur sagen. Der Journalist Alem Grabovac hatte in der TAZ im Januar dieses Jahres Simon Strauß für dessen essayistische Erzählung "Sieben Nächte" und auch für dessen journalistische Texte scharf angegriffen: Strauß schreibe "im Gewand der Romantik Pamphlete für die Neue Rechte". Eine aufgeregte Debatte begann in den Feuilletons, die die Schriftstellerin Nora Bossong verärgerte:
"Diese Debatte war einfach völlig an den Haaren herbeigezogen. Es wurden einfach Versatzstücke zusammengetackert. So kann man nicht journalistisch arbeiten. Also die Anfangsanschuldigungen waren nicht haltbar. Und das halte ich einfach für fahrlässig. Und so möchte ich nicht, dass Debatten in der Öffentlichkeit geführt werden."
"Ja, ich lese Ernst Jünger. Nein, ich habe nichts mit der AfD zu tun"
Es sei auch absurd, dem Buch von Simon Strauß vorzuwerfen, es sei ambivalent. Ein Zeichen von guter Literatur sei ja gerade Ambivalenz.
Simon Strauß erläuterte auf dem Podium, was er mit dem Erzähler seines Buchs teile: den Wunsch, sich nicht auf "vorgefertigten Bahnen" zu bewegen und sich nicht hinter Ironie oder gar Zynismus zu verstecken, sondern stattdessen Risiken einzugehen.
Simon Strauß erläuterte auf dem Podium, was er mit dem Erzähler seines Buchs teile: den Wunsch, sich nicht auf "vorgefertigten Bahnen" zu bewegen und sich nicht hinter Ironie oder gar Zynismus zu verstecken, sondern stattdessen Risiken einzugehen.
"Ich glaube nämlich schon, dass wir im Moment ein zentrales Problem haben in unserer Debatte und in unserem Diskurs über Kunst: dass die moralpolitische Hegemonie einfach enorm stark ist und dass sehr viele Künstler und Literaten sozusagen im vorauseilenden Gehorsam einer ganz bestimmten sozusagen mainstreamhaften und moralpolitischen Anforderung unterordnen und dabei eben es zu so Wahnsinnigkeiten kommt wie, dass alles, was mit Ästhetik zusammenhängt, grundsätzlich rechts ist und alles, was mit Ethik zusammenhängt, links."
"Es herrscht eine moralpolitische Hegemonie"
Der Philosoph und Publizist Wolfram Eilenberger warf die Frage auf, wie es dazu kommen konnte, dass die Literatur so leichtfertig politisiert wird. So auch das Gedicht von Eugen Gomringer, das, an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin, einigen Studierenden zufolge an sexuelle Belästigung erinnere. Eilenberger machte für Deutschland zwei politisierende Lesarten von Literatur aus: die marxistische und die strukturalistische. Wer sich einer dieser beiden Gruppen zugehörig fühle, wähne sich – ganz wie bei der MeToo-Debatte – in einer Gemeinschaft von Opfern. So sei jede Literatur, jede Kunst erst einmal verdächtig:
"Das heißt, jedes Kunstwerk wird auf die potentiellen Opfermissachtungen, die damit notwendigerweise verbunden sind, abklopfbar, und der Autor somit zu einem, der diese Opfer in die eine oder andere Weise vergisst oder eben nicht vergisst. Damit ist der Moralisierungsschritt getan.
Und ein Gedicht wie Gomringers ist natürlich durch eine strukturalistische, poststrukturalistische Perspektive gegangen. Indem einfach gesagt wird: ‚Da werden in Mikromachtverhältnissen gewisse Perspektiven widergespiegelt, die für viele Frauen in diesem Land in irgendeiner Form unangenehm sind.‘"
Und ein Gedicht wie Gomringers ist natürlich durch eine strukturalistische, poststrukturalistische Perspektive gegangen. Indem einfach gesagt wird: ‚Da werden in Mikromachtverhältnissen gewisse Perspektiven widergespiegelt, die für viele Frauen in diesem Land in irgendeiner Form unangenehm sind.‘"
"Das Kunstwerk wird auf Opfermissachtungen abklopfbar"
Die Schriftstellerin Julia Franck erklärte die Vereinnahmung von Gomringers "avenidas"-Gedicht, das sie überhaupt nicht sexistisch findet, mit dem besonderen Ort: der Fassade einer Hochschule, an der Sozialpädagogik unterrichtet werde und größtenteils Frauen studierten.
Zum Schluss konstatierte Wolfram Eilenberger, im Vergleich mit der Bedeutung von Literatur und Wissenschaft in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts: "dass wir derzeit in einer extrem stumpfen Zeit leben."
Damit berührte Eilenberger letztlich die Leerstelle, die auch Simon Strauß umtreibt. Allerdings gab es auch eine Leerstelle bei der Podiumsdiskussion. Warum wurde kein Kritiker von Simon Strauß eingeladen, weder Alem Grabovac noch Volker Weidermann vom "Spiegel"? Dessen kritische Ratschläge an Simon Strauß tat der auf dem Podium als "Volkshochschulpädagogik" ab. Als auch noch Nora Bossong, die mit Strauß befreundet ist, ihn zu siezen versuchte, als würde sie so mehr Distanz zu ihm aufbauen, wurde es lächerlich. Schade. Denn Simon Strauß hätte es durch seine klugen, einleuchtenden Argumente sicher mit seinen Kritikern aufnehmen können. Aber so hatten alle auf diesem Podium im Grunde dieselbe Meinung.