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Podiumsdiskussion in Berlin
"DDR neu erzählen"

30 Jahre nach dem Mauerfall ist die Erinnerung an die DDR noch immer umstritten. Neben Opfern und Tätern müsse endlich auch der Lebensalltag der Mehrheitsgesellschaft in der SED-Diktatur beleuchtet werden, so eine Forderung bei der Podiumsdiskussion „DDR neu erzählen“ im Berliner Theater Hebbel am Ufer.

Von Cornelius Wüllenkemper | 14.03.2019
Offizielles Foto der Podiumsdiskussion im Hau: Ein Demonstrationszug läuft mit Fahnen auf den Straßen zwischen Plattenbauten entlang.
30 Jahre nach dem Fall der Mauer wird DDR-Erinnerungspolitik im Berliner Hebbel am Ufer neu verhandelt (Florian Keller / HAU)
Die Analyse der politischen und gesellschaftlichen Abläufe rund um die Wiedervereinigung ist auch fast drei Jahrzehnte später umstritten. Noch immer fehlt es an einer neutralen Deutungsinstanz, meint die Historikerin Carola Rudnick:
"Die Berufshistoriker stellten sich sehr oft die Frage, ob denn Politiker und Zeitzeugen die geeigneten Akteure seien, die Geschichte zu deuten, oder nicht eher kontraproduktiv für die historisch wissenschaftliche Einordnung der DDR. Viele Kollegen von mir monierten, dass die Fachwissenschaft nur mühsam Deutungshegemonie für sich beanspruchen konnte und stattdessen so genannte Amateurhistoriker, also ehemalige Oppositionelle, Bürgerrechtler und Betroffene, häufig die Feder führen."
Dass Erinnerung nicht staatlich verordnet werden kann, liegt auf der Hand. Wie aber auch Zeitzeugenschaft zur historiographischen Verzerrung führen kann, wurde zuletzt am Beispiel der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen diskutiert. Hier zeichnen ausschließlich Opfer des SED-Regimes ein Bild der DDR und ihres Repressionsapparates.
Anerkennung von Opfern des DDR-Regimes
Der Berliner Kultursenator von der Partei Die Linke, Klaus Lederer, setzte sich bei der Diskussion "DDR neu erzählen" dafür ein, dass gerade Opfer und Oppositionelle ein Recht auf die politische Aufarbeitung ihrer Geschichte haben:
"Ich erlebe nach wie vor, dass es viele Opfer des DDR-Regimes gibt, die eben keine Stimme hatten, die eben finden, dass ihre Geschichten nicht erzählt sind, die finden, dass man ihnen nicht mit Empathie begegnet, die finden, dass die Politik zwar auf den Bühnen die DDR in Bausch und Bogen verdammt, aber bislang nicht in der Lage war, beispielsweise für so etwas wie Opferrenten zu sorgen, für vernünftige Beweislastregelungen bei der Anerkennung von Schäden, bei denen, die unter der DDR-Diktatur gelitten haben."
Carola Rudnik forderte, zwischen der juristischen, politischen und kulturellen Aufarbeitung zu differenzieren und dabei auch die Veränderungsprozesse innerhalb der DDR-Geschichte stärker zu berücksichtigen.
"Unglaubliche Entwertung von Biografien"
Zwischen Opfern und Tätern sei die Mehrheitsgesellschaft der DDR völlig außer Blick geraten, monierte der Journalist und Historiker Karsten Krampitz. Wenn Menschen ihre Geschichte nicht erzählen können, mache sie das krank.
"Ich denke", sagte Krampitz, "dass ein Teil des Hasses, der in Ostdeutschland entstanden ist, dass der auch daher kommt, von dieser unglaublichen Entwertung von Millionen von Arbeitsbiografien, die wir in den Neunzigerjahren erlebt haben. Das Leben von den Leuten, das war nichts mehr wert. Da hat sich etwas aufgebaut, und das kriegen wir jetzt auch nicht mehr weg. Hass wird nicht immer dort verarbeitet, wo er entsteht. Der sucht sich dann andere Adressaten. Das sind dann eben Flüchtlinge, das sind dann eben Juden. Hass betäubt den Schmerz."
Karsten Krampitz offenbarte eine gefährlich verkürzte Perspektive auf demokratiefeindliche und rechtspopulistische Tendenzen. Sie bleibt weit hinter dem Forschungsstand zum DDR-Mythos des Antifaschismus und seinen Konsequenzen bis in die Gegenwart zurück.
Zersplittertes Bild der DDR-Geschichte
Anders näherte sich die 1985 geborene Autorin und Dramaturgin Luise Meier dem zersplitterten Bild der DDR-Geschichte. Die pauschale Kategorisierung als Diktatur führe zur politischen Blockade in der Gegenwart, so Meier: "Ist es nicht sinnvoll, im Dienste des Gemeinwohls mal über Enteignungen nachzudenken, oder im Dienste der Umwelt mal über Planung, dass man die Wirtschaft da schon an manchen Stellen Planen muss, damit sie uns nicht allen die Lebensgrundlage nimmt. Und da fühle ich mich als junger Mensch einfach ständig niedergedeckelt mit dem Argument, alles, was in irgendeiner Form in Richtung soziale Gerechtigkeit geht, oder in Richtung wirtschaftliche Planung oder Bremsung des Kapitalismus, ist dann sofort mit diesem Vorwurf belegt, dass das diktatorisch wäre."
Die Diskussion machte erneut deutlich, dass das Opfer-Täter-Schema ebenso ungeeignet ist für ein ausgewogenes Narrativ wie die Reduzierung der DDR-Wirklichkeit auf Diktatur und Repression. Welche Rolle spielte die westdeutsche Bundesrepublik beim Scheitern der demokratischen Reformbewegung der ausgehenden DDR? Und was bringt die Öffnung der Treuhand-Akten über die Privatisierung der staatseigenen Betriebe zutage? Das sind nur zwei weitere Fragen, die auch in Zukunft die Diskussion über die deutsch-deutsche Vergangenheit befeuern werden.