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Pöbeln, randallieren, anfeuern

Egal ob Kreisklasse, Bundesliga oder DFB-Pokal - die Gewalt in deutschen Stadtien nimmt zu. Aus der Fankultur scheint immer öfter eine Gewaltkultur zu werden, die jetzt sogar die Innenministerkonferenz beschäftigt.

Von Peer Vorderwülbecke |
    Die Anhänger von Dynamo Dresden sind tolle Fußballfans. Sie sind enthusiastisch, laut und hängen mit ganzem Herzen an ihrem Verein. Volker Oppitz ist der Geschäftsführer von Dynamo, er ist in Dresden aufgewachsen und bis vor zwei Jahren hat der 33-Jährige hier als Profi gespielt.

    "Wir haben ein sehr begeisterungsfähiges Publikum, das auch in den, ja … dunklen Stunden zum Verein gehalten hat. Wir wissen ja, dass der Verein zwischendurch auch viertklassig gespielt hat, trotzdem ist immer eine überdurchschnittliche Zahl von Fans ins Stadion gekommen. Wir haben ein sehr begeisterungsfähiges Publikum, und deswegen zeichnet das das Umfeld von Dynamo Dresden wirklich aus, diese Fankultur, die es hier gibt."

    Fankultur – und nicht Gewaltkultur. Mittlerweile werden die Fans von Dynamo aber gleichgesetzt mit Randalierern und Chaoten. Schuld daran ist der 25. Oktober, der Tag an dem Dynamo im DFB-Pokal auf Borussia Dortmund traf

    Dynamo-Anhänger randalierten, sie griffen Polizei und Ordner an, zündeten Böller, Rauchbomben und bengalische Fackeln. Und alles wurde live im Fernsehen übertragen. Am nächsten Tag wurde das Phänomen "Gewalt im Fußball" auch noch statistisch untermauert. Die Zentrale Informationsstelle Fußballeinsätze veröffentlichte ihren Jahresbericht – und heizte die Diskussion weiter an. Und das, obwohl Ingo Rautenberg, der Leiter der Informationsstelle, zu den ruhigen und besonnen Polizisten gehört. Ihm ist es wichtig, die Zahlen einzuordnen.

    "Wir betrachten nicht nur eine Saison, wir bemühen uns immer, einen langfristigen Vergleich zu machen. Das bedeutet für uns, dass wir immer die letzten zwölf Jahre in einen Kontext setzen, und wenn man dann die Saison 2010/2011 sieht, dann liegen diese Zahlen deutlich über dem Durchschnitt der letzten zwölf Jahre."

    Aus einer Statistik ist es ohnehin schwer, klare Tendenzen abzuleiten. So ist die Zahl der Festnahmen leicht zurückgegangen, auch die Einsatzstunden der Polizei haben sich verringert, aber trotzdem ist die Zahl der Verletzten mit 846 so hoch wie nie zuvor. Auch die laufende Saison scheint nahtlos an den Gewalttrend anzuknüpfen. Denn es gab ja nicht nur Ausschreitungen in Dortmund, auch Fans in Frankfurt, Rostock oder Stuttgart sorgten für unrühmliche Höhepunkte im Stadion. Noch lassen sich diese Vorfälle nicht statistisch auswerten, aber Polizeidirektor Ingo Rautenberg ist sich sicher:

    "Man hat natürlich, was die letzten Spieltage angeht, dann hat man schon den Eindruck, dass es keine Entspannung gibt.
    Das Gewaltniveau im deutschen Fußball ist also hoch, so hoch, dass nicht nur der Deutsche Fußballbund alarmiert ist, sondern auch die deutsche Politik. Es gab bereits runde Tische zum Thema, in der kommenden Woche berät Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich über das Problem auch mit seinen Länderkollegen."

    Aber die Gewaltstatistik lässt sich auch anders interpretieren: 846 Personen wurden in der vergangenen Saison bei Spielen der ersten und zweiten Bundesliga verletzt, darunter randalierende Fans, Polizisten und auch 346 Unbeteiligte. Allerdings kamen zu diesen Spielen auch 17,5 Millionen Zuschauer. Umgerechnet bedeutet das, dass beim Fußball unter fünfzigtausend Zuschauern im Durchschnitt nur ein Unbeteiligter zu Schaden gekommen ist. Das Stadion ist also keine Nahkampfzone, die der normale Fußballfan kaum noch betreten kann. Tobias Westkamp geht regelmäßig ins Stadion. Er befasst sich als Rechtsanwalt mit dem Thema Fangewalt. Viele seiner Mandanten stammen aus der Fanszene des 1. FC Köln. Westkamp weiß also ziemlich genau, was im Stadion und im Umfeld strafrechtlich passiert.

    "In der Regel handelt es sich um Gewaltdelikte im weitesten Sinne, um Beleidigungen, um vermeintliche Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz, jedenfalls in den allermeisten Fällen Straftaten der kleineren, allenfalls der mittleren Kriminalität, allerdings nahezu nie Straftaten aus dem Bereich der schweren Kriminalität."

    Schwerer Kriminalität würden Freiheitsstrafen nach sich ziehen. Westkamp hat den Eindruck,

    "dass in der Debatte die vielfältigsten Vorgänge beim Fußball auch ein Stück weit dramatisiert werden."

    Aber wie sieht die Lösung dann aus? Mit dem Pokalausschluss hat der DFB eine sehr harte sportrechtliche Strafe gegen Dynamo Dresden verhängt. Fragt sich, ob die Politik diesem Beispiel folgt. Rechtsanwalt Westkamp hat da eine sehr klare Meinung.

    "Ich fürchte, dass mit so drakonischen Strafen, wie die Fanszene von Dynamo Dresden sie erfahren musste, eine Solidarisierung innerhalb der Fanszene gegen den DFB stattfindet, ich denke, dass man damit das Problem eher verschärft, als das man es löst."

    Die Lösung des Problems ist wohl weitaus unspektakulärer: Es gibt bereits über 50 sozialpädagogisch arbeitende Fanprojekte, auch die Polizei arbeitet an besseren Strategien. Was fehlt, ist die nötige Kommunikation zwischen Fans, Verein und Polizei. Dafür soll die jüngst gegründete Task-Force des DFB sorgen. Natürlich könnte man die gewaltbereiten Fanszenen mit drastischen Maßnahmen zerschlagen, so wie in England. Aber das wollen in Deutschland im Moment weder der DFB, noch Vereinsvertreter wie Volker Oppitz von Dynamo Dresden.

    "Man darf diese Fankultur nicht zerstören durch überzogene Maßnahmen. Ich glaube, das ist so ein Spagat, den man gehen muss. Wenn man merkt, dass es weiter zu Vorfällen kommt, dann muss man natürlich auch sehr harte Maßnahmen ergreifen. Man darf aber bei all dem nicht vergessen, dass die Fankultur auch wichtig ist, für den Fußball in Deutschland."

    Die Vereine haben ohnehin ein Eigeninteresse, dass es in den Stadien ruhig bleibt. Denn Ausschreitungen sind nicht nur schlecht fürs Image, sie vertreiben Fans und vor allem Sponsoren. Bei Hansa Rostock ist der Hauptsponsor nach den Ausschreitungen schon von Bord gegangen. Mag sein, dass Hansa sogar untergeht. Das Gewaltproblem verschwindet damit aber nicht.