Ein Schiff strandet in Feuerland, ein Kontinent schliddert in den ersten Weltkrieg und die Menschen in einem Ausflugslokal entdecken den Kinematografen. Reale und imaginäre Ereignisse des Wechsels vom 19. zum 20. Jahrhundert hat Ariane Mnouchkine mit ihren Schauspielern erkundet und zu einem hochkomplexen Gebilde von Erzählsträngen verknüpft.
Da ist einerseits der in Feuerland spielende unvollendete Roman "En Magellanie" des Jules Verne über die Begegnung eines einsamen Inselbewohners mit Schiffbrüchigen, die ein utopisches Gesellschaftsexperiment wagen. Da sind andererseits die Leute in einem Ausflugslokal, die mit einem der ersten Kinematografen auf dem Dachboden des Etablissements einen Film drehen wollen, da ist die rätselhafte Geschichte des Johann Salvator von Habsburg-Toskana und da ist die Zeitgeschichte, die in eine fieberhafte Aktivität ihre tragischen Nachrichten hineinbringt. Der Mord am französischen Sozialistenführer Jean Jaurès oder das Attentat von Sarajevo, das den Ersten Weltkrieg vorbereitete.
Was in der Theorie wie eine komplizierte Themencollage aus der Kinderstube der Moderne wirkt, löst sich in Mnouchkines meisterhafter Regie in eine ästhetisch kohärente Abfolge von Einzelszenen auf, die wie in der vorangegangenen Arbeit über Szenen des Alltags zu einem Mosaikbild zusammenfinden. Es sind Bilder vom Making Off eines Stummfilms: Vor jeder Szene werden schnell Kulissenmalereien herbeigefahrenen und Bühnenbilder zusammengebaut. Und unter der Filmregie von Jean la Palette und seiner Schwester, Madame Gabrielle, beginnt jede Aufnahme mit der andächtig gesprochenen Beschwörungsformel: Drehe die Kurbel:
"- Gabrielle, tourne la manivelle ...
- Cà tourne ...
- entrent les deux commissaires ils défendent leur prétentions ... Anita, Suzanne, coupez."
Da sollten etwas raufsüchtige Gelegenheitsdarsteller den Streit von zwei
Diplomaten verkörpern, und immer wieder endete die Szenen sehr vorzeitig mit einem Fausthieb. Ariane Mnouchkine spart nicht mit burlesken Slapstick-Effekten bei dieser Roman-im-Film-im-Theater-Arbeit. In einem nicht endenden Trubel von Aktivitäten sind alle ihrer Schauspieler während fast vier Stunden in ständiger Bewegung auf der Bühne, mal als Kulissenschieber, mal in einer Statistenrolle, mal als Hauptdarsteller, mal als derjenige, der in den Sturmszenen an den Bindfäden zieht, die die Rockzipfel der Akteure wild hin- und herflattern lassen.
Die eigentliche Handlung der je vorgeführten Stummfilmszene ist nur ein kleiner Bildausschnitt in dieser ungeheuren Stummfilmatelierwelt und was die Filmhelden da jeweils zu sagen haben, bleibt stumm und wird als Untertitel auf eine kleine Jugendstiltafel projiziert. Die Gestik ist grotesk übertrieben, der Ausdruck wie im expressionistischen Film übersteigert. Aber es erscheint nur natürlich, dass diese Ariane Mnouchkine, die immer schon ein vom fernen Osten inspiriertes Theater der Masken und des großen Ausdrucks so ganz fern von jeder psychologischen Subtilität gemacht hat, dieser speziellen europäischen Stummfilmästhetik eine Arbeit widmen würde, zumal als Tochter eines Filmproduzenten, die selbst als kleines Mädchen einmal ein kleine Rolle in einem berühmen Film gespielt hat.
Mehr als alle anderen Arbeiten zuvor, sucht "Les Naufragés du Fol Espoir" nach einer Poesie der kleinen Dinge, wenn man Zweige vor dem Set in wackelnden Bewegungen vorbeiführt, um eine dramatische Kutschenfahrt zu illustrieren, ein Vogel aus flatterigem Draht durchs fingierte Bild fliegen soll, oder ein Flaschenzug die Kamerafrau Gabrielle in die Höhe hebt. Die Pioniere des Films und die Pioniere einer neuen gerechteren Gesellschaft, reale Figuren der Geschichte und erfundene sind hier vermischt in einem Kollektiv auf der Suche nach der Utopie. Und während auch der aristokratische Aussteiger mit den progressiven Ideen, Johann Salvator von Habsburg-Toskana, gestrandet auf der Feuerlandinsel Hoste einsehen muss, dass die gerechte Gesellschaft auch hier an den niedrigen Trieben den Menschheit scheitert, müssen die Filmemacher erkennen, dass ihnen am Vorabend des Ersten Weltkriegs die Zeit für die Vollendung der Dreharbeiten knapp wird.
In einer letzten gewaltigen Anstrengung macht sich diese Cap-Horn-Film-Theater-Schiffbruchs-Gesellschaft auf zum Bau eines Leuchtturms mit dem auch Jules Vernes Roman geendet hatte: Wenn man schon nicht den roten Morgen einer neuen Gesellschaft erlebt hat, so sollen doch wenigstens andere Schiffsreisende vor dem Untergang bewahrt werden. Wer sich die kindliche Freude an greller Kolportage und einer gewaltigen Bastelarbeit bewahrt hat, wird diese Reise zu schiffsbrüchigen Utopisten und verrückten Optimisten im Théâtre du Soleil genießen.
Da ist einerseits der in Feuerland spielende unvollendete Roman "En Magellanie" des Jules Verne über die Begegnung eines einsamen Inselbewohners mit Schiffbrüchigen, die ein utopisches Gesellschaftsexperiment wagen. Da sind andererseits die Leute in einem Ausflugslokal, die mit einem der ersten Kinematografen auf dem Dachboden des Etablissements einen Film drehen wollen, da ist die rätselhafte Geschichte des Johann Salvator von Habsburg-Toskana und da ist die Zeitgeschichte, die in eine fieberhafte Aktivität ihre tragischen Nachrichten hineinbringt. Der Mord am französischen Sozialistenführer Jean Jaurès oder das Attentat von Sarajevo, das den Ersten Weltkrieg vorbereitete.
Was in der Theorie wie eine komplizierte Themencollage aus der Kinderstube der Moderne wirkt, löst sich in Mnouchkines meisterhafter Regie in eine ästhetisch kohärente Abfolge von Einzelszenen auf, die wie in der vorangegangenen Arbeit über Szenen des Alltags zu einem Mosaikbild zusammenfinden. Es sind Bilder vom Making Off eines Stummfilms: Vor jeder Szene werden schnell Kulissenmalereien herbeigefahrenen und Bühnenbilder zusammengebaut. Und unter der Filmregie von Jean la Palette und seiner Schwester, Madame Gabrielle, beginnt jede Aufnahme mit der andächtig gesprochenen Beschwörungsformel: Drehe die Kurbel:
"- Gabrielle, tourne la manivelle ...
- Cà tourne ...
- entrent les deux commissaires ils défendent leur prétentions ... Anita, Suzanne, coupez."
Da sollten etwas raufsüchtige Gelegenheitsdarsteller den Streit von zwei
Diplomaten verkörpern, und immer wieder endete die Szenen sehr vorzeitig mit einem Fausthieb. Ariane Mnouchkine spart nicht mit burlesken Slapstick-Effekten bei dieser Roman-im-Film-im-Theater-Arbeit. In einem nicht endenden Trubel von Aktivitäten sind alle ihrer Schauspieler während fast vier Stunden in ständiger Bewegung auf der Bühne, mal als Kulissenschieber, mal in einer Statistenrolle, mal als Hauptdarsteller, mal als derjenige, der in den Sturmszenen an den Bindfäden zieht, die die Rockzipfel der Akteure wild hin- und herflattern lassen.
Die eigentliche Handlung der je vorgeführten Stummfilmszene ist nur ein kleiner Bildausschnitt in dieser ungeheuren Stummfilmatelierwelt und was die Filmhelden da jeweils zu sagen haben, bleibt stumm und wird als Untertitel auf eine kleine Jugendstiltafel projiziert. Die Gestik ist grotesk übertrieben, der Ausdruck wie im expressionistischen Film übersteigert. Aber es erscheint nur natürlich, dass diese Ariane Mnouchkine, die immer schon ein vom fernen Osten inspiriertes Theater der Masken und des großen Ausdrucks so ganz fern von jeder psychologischen Subtilität gemacht hat, dieser speziellen europäischen Stummfilmästhetik eine Arbeit widmen würde, zumal als Tochter eines Filmproduzenten, die selbst als kleines Mädchen einmal ein kleine Rolle in einem berühmen Film gespielt hat.
Mehr als alle anderen Arbeiten zuvor, sucht "Les Naufragés du Fol Espoir" nach einer Poesie der kleinen Dinge, wenn man Zweige vor dem Set in wackelnden Bewegungen vorbeiführt, um eine dramatische Kutschenfahrt zu illustrieren, ein Vogel aus flatterigem Draht durchs fingierte Bild fliegen soll, oder ein Flaschenzug die Kamerafrau Gabrielle in die Höhe hebt. Die Pioniere des Films und die Pioniere einer neuen gerechteren Gesellschaft, reale Figuren der Geschichte und erfundene sind hier vermischt in einem Kollektiv auf der Suche nach der Utopie. Und während auch der aristokratische Aussteiger mit den progressiven Ideen, Johann Salvator von Habsburg-Toskana, gestrandet auf der Feuerlandinsel Hoste einsehen muss, dass die gerechte Gesellschaft auch hier an den niedrigen Trieben den Menschheit scheitert, müssen die Filmemacher erkennen, dass ihnen am Vorabend des Ersten Weltkriegs die Zeit für die Vollendung der Dreharbeiten knapp wird.
In einer letzten gewaltigen Anstrengung macht sich diese Cap-Horn-Film-Theater-Schiffbruchs-Gesellschaft auf zum Bau eines Leuchtturms mit dem auch Jules Vernes Roman geendet hatte: Wenn man schon nicht den roten Morgen einer neuen Gesellschaft erlebt hat, so sollen doch wenigstens andere Schiffsreisende vor dem Untergang bewahrt werden. Wer sich die kindliche Freude an greller Kolportage und einer gewaltigen Bastelarbeit bewahrt hat, wird diese Reise zu schiffsbrüchigen Utopisten und verrückten Optimisten im Théâtre du Soleil genießen.