Änne Seidel: Gedichte lesen, das ist das eine. Aber Gedichte hören, das ist dann immer noch mal etwas ganz anderes – nicht zuletzt, wenn es fremdsprachige Gedichte sind und man eigentlich nur die deutschen Übersetzungen kennt. Auf genau dieser Erkenntnis basiert das Projekt Lyrikline: eine Art Internet-Datenbank für Gedichte, die dort in geschriebener Form, aber eben auch als Audiodateien abzurufen sind. Eingelesen wurden die Gedichte von den Autoren selbst. Über 850 Lyriker sind in der Sammlung inzwischen vertreten, man kann sich Gedichte auf über 58 Sprachen anhören. Ins Leben gerufen wurde das Lyrikline-Projekt 1999 von der Literaturwerkstatt Berlin. Heute Abend geht nun eine neue, weiterentwickelte Version der Website online. Thomas Wohlfahrt, Sie leiten die Literaturwerkstatt: Welche Neuerungen erwarten uns?
Thomas Wohlfahrt: Ich muss eines noch nachtragen, weil es eben nicht nur 850 Dichterinnen und Dichter sind aus 58 Sprachen, sondern über 900 mittlerweile. Und wichtig ist auch, dass an die 11.000 Übersetzungen eingestellt sind. Das heißt, das Prinzip der Lyrikline ist das Lesen, originalsprachig, Hören, originalsprachig, und die Übersetzungen verstehen.
Warum haben wir das gemacht? Sie können sich vorstellen, ob 850 oder 900 Dichter, Sie können das nur listen. Das war das alte System der Lyrikline: Sie mussten ziemlich genau wissen, was Sie wollten, dann haben Sie es gefunden. Sie konnten nach Sprachen navigieren und nach Ländern schon nicht mehr. Wir haben das völlig neu umgebaut oder umbauen können, sehr modern gehalten, sodass ich, der ich da reingehe – das heißt auf Neudeutsch "User" -, kann mir meine Sendung selber zusammenstellen. Und eigentlich bin ich jetzt in der Lage, etwas zu entdecken, was mein Lieblingsgedicht ist, von dem ich noch gar nicht weiß, dass es das ist. Ich kann nach überall hin navigieren, kann das nach Sprache machen, nach Übersetzung, nach Ländern, ich kann aber auch nach poetischen Formatierungen gehen, sagen wir mal alle Sonette. Ich kann nach Begriffen suchen, was sehr alyrisch ist, aber trotzdem: So kann man ein bisschen sortieren. Ich kann nach Bergen schauen, ich kann nach Frühling schauen, ich kann nach Liebe schauen, ich kann nach Mittwoch schauen, nach Sonntag zum Beispiel oder auch nach Tod. Ich kann mir einrichten meine eigene Sendung. Das heißt, da ist eine Radiofunktion drin. Ich kann also navigieren und bespielen, was ich jetzt in der nächsten Stunde durchweg hören möchte: zum Beispiel alle Gedichte aus dem Arabischen, oder um mal das Konzert zu haben. Oder aber ich kann nach Übersetzungen gehen, aus welchen Sprachen ist denn nun eigentlich in meine Sprache übersetzt worden, was kommt da eigentlich zu mir ins Deutsche hinein. Also ich kann nach allen Ecken und Enden hin navigieren, und das ist das Neue an Lyrikline und fantastisch.
Seidel: Das heißt, die Neuerungen betreffen vor allem die Navigationsmöglichkeiten und die Organisation der Website. Gibt es auch inhaltliche Neuerungen? Haben Sie zum Beispiel noch neue Autoren hinzugewonnen?
Wohlfahrt: Das ist ein permanenter Vorgang. Heute werden wir um 19 Uhr, wer möchte, auf Lyrikline.org zuschalten, dann ist man live dabei bei der Feier der neuen Website, kann auch über Twitter mitmachen und dichten, man kann im Lyrikline-Blog mitmachen heute Abend. Es gehen heute fünf Autoren neu auf Sendung und dann wird es so sein wie immer: wöchentlich mindestens eine Dichterin, ein Dichter. So wird es gehen. Eine Beschleunigung ist damit nicht gemeint, aber ein besseres Damit-umgehen mit dem, was da als Reichtum eigentlich aufgeschaufelt ist.
Seidel: Noch mal zu den Autoren und eine Nachfrage. Nach welchen Kriterien werden die denn eigentlich ausgesucht? Ich habe vorhin mal nach ein paar bekannten Namen geguckt und gesehen, dass zum Beispiel Günter Grass gar nicht vertreten ist auf Ihrer Website.
Wohlfahrt: Günter Grass ist in der Tat nicht dabei, aber dafür können Sie zum Beispiel Bertold Brecht hören, Gottfried Benn, Rose Ausländer, Paul Celan, Ingeborg Bachmann und so weiter und so fort. Wie geschieht das? Ein internationales Projekt basiert auf internationaler Zusammenarbeit. Die Kollegen in all den 40 Ländern sind verantwortlich für ihr Land. Das heißt, sie wählen aus, wer auf Sendung gehen soll. Man klärt, dass die Dateien da sind, die Wortdateien, man macht die Aufnahmen, man klärt die Rechte, ganz wichtig, schickt das zu uns. Wir machen die Postproduktion, so dass es ästhetisch etwa vergleichbar klingt. Und der Partner, sagen wir mal, in Polen, der jetzt zehn Dichter rübergespielt hat zu uns, muss peu à peu zehn Dichter, die er auf der Lyrikline schon findet, aus welchen Sprachen immer, ins Polnische übersetzen. Erst dann ist sein Auftritt komplett. Das heißt, verantwortlich sind immer die Länder, die dann mit Kuratoren arbeiten oder mit einer Jury – die Systeme sind ganz anders. Und wenn Sie sagen, Günter Grass ist nicht auf der Lyrikline, dann kann ich sagen: noch nicht.
Seidel: Thomas Wohlfahrt, Leiter der Literaturwerkstatt Berlin, über die neue Version von Lyrikline. Vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Thomas Wohlfahrt: Ich muss eines noch nachtragen, weil es eben nicht nur 850 Dichterinnen und Dichter sind aus 58 Sprachen, sondern über 900 mittlerweile. Und wichtig ist auch, dass an die 11.000 Übersetzungen eingestellt sind. Das heißt, das Prinzip der Lyrikline ist das Lesen, originalsprachig, Hören, originalsprachig, und die Übersetzungen verstehen.
Warum haben wir das gemacht? Sie können sich vorstellen, ob 850 oder 900 Dichter, Sie können das nur listen. Das war das alte System der Lyrikline: Sie mussten ziemlich genau wissen, was Sie wollten, dann haben Sie es gefunden. Sie konnten nach Sprachen navigieren und nach Ländern schon nicht mehr. Wir haben das völlig neu umgebaut oder umbauen können, sehr modern gehalten, sodass ich, der ich da reingehe – das heißt auf Neudeutsch "User" -, kann mir meine Sendung selber zusammenstellen. Und eigentlich bin ich jetzt in der Lage, etwas zu entdecken, was mein Lieblingsgedicht ist, von dem ich noch gar nicht weiß, dass es das ist. Ich kann nach überall hin navigieren, kann das nach Sprache machen, nach Übersetzung, nach Ländern, ich kann aber auch nach poetischen Formatierungen gehen, sagen wir mal alle Sonette. Ich kann nach Begriffen suchen, was sehr alyrisch ist, aber trotzdem: So kann man ein bisschen sortieren. Ich kann nach Bergen schauen, ich kann nach Frühling schauen, ich kann nach Liebe schauen, ich kann nach Mittwoch schauen, nach Sonntag zum Beispiel oder auch nach Tod. Ich kann mir einrichten meine eigene Sendung. Das heißt, da ist eine Radiofunktion drin. Ich kann also navigieren und bespielen, was ich jetzt in der nächsten Stunde durchweg hören möchte: zum Beispiel alle Gedichte aus dem Arabischen, oder um mal das Konzert zu haben. Oder aber ich kann nach Übersetzungen gehen, aus welchen Sprachen ist denn nun eigentlich in meine Sprache übersetzt worden, was kommt da eigentlich zu mir ins Deutsche hinein. Also ich kann nach allen Ecken und Enden hin navigieren, und das ist das Neue an Lyrikline und fantastisch.
Seidel: Das heißt, die Neuerungen betreffen vor allem die Navigationsmöglichkeiten und die Organisation der Website. Gibt es auch inhaltliche Neuerungen? Haben Sie zum Beispiel noch neue Autoren hinzugewonnen?
Wohlfahrt: Das ist ein permanenter Vorgang. Heute werden wir um 19 Uhr, wer möchte, auf Lyrikline.org zuschalten, dann ist man live dabei bei der Feier der neuen Website, kann auch über Twitter mitmachen und dichten, man kann im Lyrikline-Blog mitmachen heute Abend. Es gehen heute fünf Autoren neu auf Sendung und dann wird es so sein wie immer: wöchentlich mindestens eine Dichterin, ein Dichter. So wird es gehen. Eine Beschleunigung ist damit nicht gemeint, aber ein besseres Damit-umgehen mit dem, was da als Reichtum eigentlich aufgeschaufelt ist.
Seidel: Noch mal zu den Autoren und eine Nachfrage. Nach welchen Kriterien werden die denn eigentlich ausgesucht? Ich habe vorhin mal nach ein paar bekannten Namen geguckt und gesehen, dass zum Beispiel Günter Grass gar nicht vertreten ist auf Ihrer Website.
Wohlfahrt: Günter Grass ist in der Tat nicht dabei, aber dafür können Sie zum Beispiel Bertold Brecht hören, Gottfried Benn, Rose Ausländer, Paul Celan, Ingeborg Bachmann und so weiter und so fort. Wie geschieht das? Ein internationales Projekt basiert auf internationaler Zusammenarbeit. Die Kollegen in all den 40 Ländern sind verantwortlich für ihr Land. Das heißt, sie wählen aus, wer auf Sendung gehen soll. Man klärt, dass die Dateien da sind, die Wortdateien, man macht die Aufnahmen, man klärt die Rechte, ganz wichtig, schickt das zu uns. Wir machen die Postproduktion, so dass es ästhetisch etwa vergleichbar klingt. Und der Partner, sagen wir mal, in Polen, der jetzt zehn Dichter rübergespielt hat zu uns, muss peu à peu zehn Dichter, die er auf der Lyrikline schon findet, aus welchen Sprachen immer, ins Polnische übersetzen. Erst dann ist sein Auftritt komplett. Das heißt, verantwortlich sind immer die Länder, die dann mit Kuratoren arbeiten oder mit einer Jury – die Systeme sind ganz anders. Und wenn Sie sagen, Günter Grass ist nicht auf der Lyrikline, dann kann ich sagen: noch nicht.
Seidel: Thomas Wohlfahrt, Leiter der Literaturwerkstatt Berlin, über die neue Version von Lyrikline. Vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.