"In Darkness" von Agnieszka Holland
"Ich kenne die Kanäle besser als meine Frau. Das ist kein Ort für euch. - Es ist auch auf Erden kein Platz für uns. - Aber ich könnte euch einen Ort zeigen, an dem ihr euch verstecken könnt. Für einen entsprechenden Preis natürlich."
Klare Verhältnisse am Anfang von Agnieszka Hollands Film "In Darkness" für die Juden, die 1943 in die labyrinthische Kanalisation unter dem Getto von Lvov geflüchtet sind, und dort zufällig auf den polnischen Gelegenheitsdieb und Kanalarbeiter Leopold treffen.
"Wie viel? - 500 pro Tag."
Leopold will nicht retten, ...
"500 und die Uhr."
... sondern verdienen.
"Das ist eine Schweizer! Viel wert!"
Ein gutes Geschäft lockt, so oder so.
"Wir würden mehr kassieren, wenn wir euch verpfeifen."
Agnieszka Holland - hierzulande bekannt durch ihren Film "Hitlerjunge Salomon" - teilt die Welt in ihrem Film "In Darkness" nicht in Schwarz und Weiß auf: Angesichts der Vernichtung durch die Nazis werden die Bedrohten nicht selbstverständlich zu Helden. Auch im Versteck der Juden in der Kanalisation gibt es Neid und Missgunst. Ab und an taucht Leopold auf, bringt Essen, lässt sich bezahlen. Monat für Monat. Aber langsam tritt bei dem Katholiken eine Veränderung ein, für deren Darstellung Agnieszka Holland sich viel Zeit nimmt: Der Pole fängt an, sich um die Menschen zu sorgen und riskiert nun nicht nur allein wegen des Geldes auch sein eigenes Leben. In den Szenen in der Kanalisation - "in darkness", "dunkle Zeit", Kammerspiel in Dunkelheit, in Bildern, fast ohne Licht, nur Schatten - gewinnt der Film eine bedrückende Intensität, weil er sich hier am weitesten von den Klischees des Holocaust-Films entfernt hat. In der Komplexität, mit der Agnieszka Holland ihre Figuren zeichnet, wird "In Darkness" zu einem Bild über den Menschen in der schlimmsten Barbarei. Ecce homo - seht, das ist der Mensch.
"In Darkness" von Agnieszka Holland - herausragend.
"Der Junge mit dem Fahrrad" von Jean-Pierre und Luc Dardenne
"Wann kommst du mich zurückholen?"
Cyril ist zwölf. Wann?, fragt er seinen Vater. Einen Monat sollte ich doch nur im Heim sein. Der Vater meldet sich nicht mehr. Im Film "Der Junge mit dem Fahrrad" der beiden belgischen Filmemacher Jean-Pierre und Luc Dardenne ist das Fahrrad Cyrils Chance, die ihn ihm brodelnde Verzweiflung und Enttäuschung in Bewegungsenergie umzusetzen und immer weiter zu suchen. Bewegung in Bildern, so etwas wie die ur-kinetische Energie des Kinos seit seinen Anfängen: im Zug, auf dem Pferd durch die Weite oder hier auf dem Fahrrad durch die belgische Kleinstadt. Dann trifft der Junge Samantha - gespielt vom französischen Kinostar Cécile de France.
"Ich habe dir dein Fahrrad zurückgebracht. - Und wo war es? - Na, in der Siedlung. Ich habe einen Jungen damit fahren sehen und habe es vom Vater zurückgekauft."
Samantha handelt, ohne zu fragen, ohne, dass die Dardenne-Brüder ihr Motiv psychologisch aufschlüsselten. Ist sie ein Engel oder einfach nur ein Mensch? Jedenfalls ein anderer als Cyrils leiblicher Vater.
"[Vater:] Er mag sie, kümmern sie sich um ihn. - [Samantha:] Er will Sie sehen und nicht mich. - [Vater:] Er wird mich vergessen."
Eine absurde Vorstellung: der Sohn ... den Vater vergessen. Viele Motive von "Der Junge mit dem Fahrrad" erinnern an Truffauts "Sie küssten und sie schlugen ihn" oder an Vittorio de Sicas Klassiker des Neorealismus, an "Fahrraddiebe". "Der Junge mit dem Fahrrad" ist ein Märchen in sommerlichen Farben, immer wieder getränkt allerdings mit sozialer Realität, ja, anders würde man das kaum erwarten bei den Dardenne-Brüdern. Cyril raubt beispielsweise zwei Menschen brutal aus - auch hier aber wird Samantha ihn retten. Wie gesagt: Engel oder doch nur Mensch? Verblüffend leicht verbinden die Dardenne-Brüder die Geschichte des verstoßenen Jungen mit großer Hoffnung.
"Der Junge mit dem Fahrrad" von Jean-Pierre und Luc Dardenne - herausragend.
"Die Unsichtbare" von Christian Schwochow
"Ob du da oben stehst oder schläfst, das macht überhaupt keinen Unterschied, Mädchen. Man sieht dich einfach nicht."
Ein vernichtenderes Urteil kann es für eine angehende Schauspielerin wohl nicht geben! Aber dann wird Fine direkt von der Schauspielschule für die Hauptrolle beim berühmten Theaterregisseur engagiert. Das, was Fines Figur Camille im Stück ist - expressiv, sexuell hemmungslos -, das will Kultregisseur Friedemann in Christian Schwochows Film "Die Unsichtbare" aus Fine hervortreiben.
"Wir haben dich genommen, weil wir gedacht haben, das ist was."
Ja, ist da was? Eindrucksvoll spielt die dänische Schauspielerin Stine Fischer Christensen an der Seite von Ulrich Noethen, Dagmar Manzel, Anna Maria Mühe und Ulrich Matthes diesen extremen Parforceritt der Fine, hinein in deren psychischen Abgründe, immer in Gefahr, vollends in denen zu versinken. Das ist spannend zu sehen, aber dass sich das Geheimnis von Fines "Unsichtbarkeit" in einem ziemlich vorhersehbaren Familiendrama findet und da auch seine Auflösung erfährt, nun, das wirkt am Ende doch eindimensional und eng am Klischee.
"Die Unsichtbare" von Christian Schwochow - empfehlenswert.
"Ich kenne die Kanäle besser als meine Frau. Das ist kein Ort für euch. - Es ist auch auf Erden kein Platz für uns. - Aber ich könnte euch einen Ort zeigen, an dem ihr euch verstecken könnt. Für einen entsprechenden Preis natürlich."
Klare Verhältnisse am Anfang von Agnieszka Hollands Film "In Darkness" für die Juden, die 1943 in die labyrinthische Kanalisation unter dem Getto von Lvov geflüchtet sind, und dort zufällig auf den polnischen Gelegenheitsdieb und Kanalarbeiter Leopold treffen.
"Wie viel? - 500 pro Tag."
Leopold will nicht retten, ...
"500 und die Uhr."
... sondern verdienen.
"Das ist eine Schweizer! Viel wert!"
Ein gutes Geschäft lockt, so oder so.
"Wir würden mehr kassieren, wenn wir euch verpfeifen."
Agnieszka Holland - hierzulande bekannt durch ihren Film "Hitlerjunge Salomon" - teilt die Welt in ihrem Film "In Darkness" nicht in Schwarz und Weiß auf: Angesichts der Vernichtung durch die Nazis werden die Bedrohten nicht selbstverständlich zu Helden. Auch im Versteck der Juden in der Kanalisation gibt es Neid und Missgunst. Ab und an taucht Leopold auf, bringt Essen, lässt sich bezahlen. Monat für Monat. Aber langsam tritt bei dem Katholiken eine Veränderung ein, für deren Darstellung Agnieszka Holland sich viel Zeit nimmt: Der Pole fängt an, sich um die Menschen zu sorgen und riskiert nun nicht nur allein wegen des Geldes auch sein eigenes Leben. In den Szenen in der Kanalisation - "in darkness", "dunkle Zeit", Kammerspiel in Dunkelheit, in Bildern, fast ohne Licht, nur Schatten - gewinnt der Film eine bedrückende Intensität, weil er sich hier am weitesten von den Klischees des Holocaust-Films entfernt hat. In der Komplexität, mit der Agnieszka Holland ihre Figuren zeichnet, wird "In Darkness" zu einem Bild über den Menschen in der schlimmsten Barbarei. Ecce homo - seht, das ist der Mensch.
"In Darkness" von Agnieszka Holland - herausragend.
"Der Junge mit dem Fahrrad" von Jean-Pierre und Luc Dardenne
"Wann kommst du mich zurückholen?"
Cyril ist zwölf. Wann?, fragt er seinen Vater. Einen Monat sollte ich doch nur im Heim sein. Der Vater meldet sich nicht mehr. Im Film "Der Junge mit dem Fahrrad" der beiden belgischen Filmemacher Jean-Pierre und Luc Dardenne ist das Fahrrad Cyrils Chance, die ihn ihm brodelnde Verzweiflung und Enttäuschung in Bewegungsenergie umzusetzen und immer weiter zu suchen. Bewegung in Bildern, so etwas wie die ur-kinetische Energie des Kinos seit seinen Anfängen: im Zug, auf dem Pferd durch die Weite oder hier auf dem Fahrrad durch die belgische Kleinstadt. Dann trifft der Junge Samantha - gespielt vom französischen Kinostar Cécile de France.
"Ich habe dir dein Fahrrad zurückgebracht. - Und wo war es? - Na, in der Siedlung. Ich habe einen Jungen damit fahren sehen und habe es vom Vater zurückgekauft."
Samantha handelt, ohne zu fragen, ohne, dass die Dardenne-Brüder ihr Motiv psychologisch aufschlüsselten. Ist sie ein Engel oder einfach nur ein Mensch? Jedenfalls ein anderer als Cyrils leiblicher Vater.
"[Vater:] Er mag sie, kümmern sie sich um ihn. - [Samantha:] Er will Sie sehen und nicht mich. - [Vater:] Er wird mich vergessen."
Eine absurde Vorstellung: der Sohn ... den Vater vergessen. Viele Motive von "Der Junge mit dem Fahrrad" erinnern an Truffauts "Sie küssten und sie schlugen ihn" oder an Vittorio de Sicas Klassiker des Neorealismus, an "Fahrraddiebe". "Der Junge mit dem Fahrrad" ist ein Märchen in sommerlichen Farben, immer wieder getränkt allerdings mit sozialer Realität, ja, anders würde man das kaum erwarten bei den Dardenne-Brüdern. Cyril raubt beispielsweise zwei Menschen brutal aus - auch hier aber wird Samantha ihn retten. Wie gesagt: Engel oder doch nur Mensch? Verblüffend leicht verbinden die Dardenne-Brüder die Geschichte des verstoßenen Jungen mit großer Hoffnung.
"Der Junge mit dem Fahrrad" von Jean-Pierre und Luc Dardenne - herausragend.
"Die Unsichtbare" von Christian Schwochow
"Ob du da oben stehst oder schläfst, das macht überhaupt keinen Unterschied, Mädchen. Man sieht dich einfach nicht."
Ein vernichtenderes Urteil kann es für eine angehende Schauspielerin wohl nicht geben! Aber dann wird Fine direkt von der Schauspielschule für die Hauptrolle beim berühmten Theaterregisseur engagiert. Das, was Fines Figur Camille im Stück ist - expressiv, sexuell hemmungslos -, das will Kultregisseur Friedemann in Christian Schwochows Film "Die Unsichtbare" aus Fine hervortreiben.
"Wir haben dich genommen, weil wir gedacht haben, das ist was."
Ja, ist da was? Eindrucksvoll spielt die dänische Schauspielerin Stine Fischer Christensen an der Seite von Ulrich Noethen, Dagmar Manzel, Anna Maria Mühe und Ulrich Matthes diesen extremen Parforceritt der Fine, hinein in deren psychischen Abgründe, immer in Gefahr, vollends in denen zu versinken. Das ist spannend zu sehen, aber dass sich das Geheimnis von Fines "Unsichtbarkeit" in einem ziemlich vorhersehbaren Familiendrama findet und da auch seine Auflösung erfährt, nun, das wirkt am Ende doch eindimensional und eng am Klischee.
"Die Unsichtbare" von Christian Schwochow - empfehlenswert.