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Poet des fremden Blicks

Einen Nomaden haben sie ihn genannt, einen Wanderer wider Willen, der mit neun Jahren emigrierte, das großbürgerliche Paradies in Berlin-Dahlem verließ. Peter Lilienthal erzählt von seinem lebenslangen Exil, berichtet von Anfängen der deutschen Fernsehkultur, von seinen Dreharbeiten in Nicaragua und von seiner lebenslangen Freundschaft mit Michael Ballhaus.

Von Jochanan Shelliem |
    Der Regisseur Peter Lilienthal wird am Donnerstag (23.06.2011) in München (Oberbayern) mit dem Ehrenpreis des Metropolis-Regiepreises von der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst ausgezeichnet. Anlässlich des 35-jährigen Bestehens des Bundesverbandes der Film-und Fernsehregisseure e.V. wurde ein neuer Regiepreis ins Leben gerufen, der die Bedeutung und die herausragenden Leistungen des Berufsstandes für die Filmbranche exklusiv, frei und unabhängig ehrt.
    Der Regisseur Peter Lilienthal wird 2011 mit dem Ehrenpreis des Metropolis-Regiepreises von der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst ausgezeichnet. (picture-alliance / dpa / Ursula Düren)
    Lilienthal gründete mit den Rebellen des Neuen Deutschen Films den Filmverlag der Autoren. Und er erzählt von Dreharbeiten in Chile, Nicaragua und mit der Mafia in New York, wo er mit dem Blick des Emigranten Filme drehte. Antonio Skármeta berichtet, wie ihm Lilienthal beim Putsch Augusto Pinochets das Leben rettete.
    Eine Weltreise durch die "Lange Nacht" mit dem friedlichen Anarchisten Peter Lilienthal, der am 27. November 1929 in Berlin geboren worden ist und wundervoll erzählen kann.
    Peter Lilienthal ist der Sohn eines Bühnenbildners und ein Nachkomme des Flugpioniers Otto Lilienthal. 1939 flohen seine Eltern aufgrund ihres jüdischen Glaubens mit ihm vor den Nationalsozialisten nach Uruguay, wo seine Mutter ein kleines Hotel eröffnete. Er studierte nach dem Abitur an der Universität Montevideo Kunstgeschichte, Musik und Jura. Im Universitäts-Filmclub beteiligte er sich an der Produktion von Kurzfilmen. Mehr
    Mein Leben - Peter Lilienthal von Maria Teresa Curzio - ein zärtliches kleines Porträt.
    Peter Lilienthal - reisender Kinozauberer zwischen den Welten
    "Als ich zum Südwestfunk kam, verstand man unter Fernsehspiel eine Art bebildertes Hörspiel. Das Fernsehen bestand ja aus Hörspielleuten. Die Dominanz der Texte, des Dialogs. Benno Meyer-Wehlack war eigentlich Hörspielautor, Ludwig Cremer, der erste Chef der Abteilung Fernsehspiel, war auch ein Hörspielregisseur. Wir adaptierten Theaterstücke. Gustav Rudolf Sellner hat 'Die Nashörner' gemacht, Heinz Hilpert den 'Kirschgarten', ich war der Regieassistent. Hilpert sagte immer: Lass uns was knipsen. Ich sagte: Wie bitte? Sie meinen jetzt drehen, oder was? Es war für ihn ein bisschen so wie Fotografie. Man knipst jetzt. Er konnte das Medium nicht ganz ernst nehmen." Peter Lilienthal
    Michael Töteberg (Hrsg.) gab im Verlag der Autoren zu Frankfurt am Main 2001 das Buch "Peter Lilienthal - Befragung eines Nomaden" heraus.
    In der Zweitausendeins Edition erschien von Peter Lilienthal: "Der Aufstand" 4/1980. Peter Lilienthals Film wurde sechs Wochen nach dem Sieg der sandinistischen Revolution in León/Nicaragua gedreht. Brennende Autoreifen illuminieren die nächtlichen Dreharbeiten, wie der Kameramann Michael Ballhaus erzählt. Vielleicht der wildeste Film Lilienthals, weil die Leidenschaft mit den Bewohnern von León sich in die Wiederholung des gerade erlebten Siegesrausches verwandelte.
    In der Zweitausendeins Edition erschien von Peter Lilienthal: David 2/1979. Peter Lilienthals Film basiert auf Joel Kau Königs autobiografischen Aufzeichnungen "Den Netzen entkommen" und wurde auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Ein leiser, nachdenklicher Film mit einer fulminanten Schauspielerriege, darunter Gustav Rudolf Seltner und Walter Taub.
    Auszug aus dem Manuskript:
    "Ich habe damals meinen ersten großen Dichter kennengelernt. Er hieß Eduardo Blanco Amor, war spanischer Emigrant und gehörte zur Gruppe um García Lorca, die Puppentheater machte und übers Land zog. Er hat seinen ersten größeren Roman "Die Kathedrale" bei uns geschrieben und mir gewidmet, worüber ich sehr glücklich war. Wir sind oft zusammen ans Meer gegangen. Am Strand hat er Gedichte von García Lorca rezitiert, zum Beispiel die 'Zigeunerromanzen'. Das verstand ich nicht, fand es aber sehr komisch, mit welchem Pathos er deklamierte - das war für mich eben Kunst. Noch etwas anderes war für mich Kunst: Ich besuchte ihn früh morgens, er saß beim Frühstück, drehte sich um, zeigte auf einen Typen, der vielleicht 20 war, und sagte: 'Da siehst du, mein Lieber, da sitzt ein Apoll.' Ich sah nur irgendeinen Fischer oder Matrosen, den er sich geangelt hatte und der eine Nacht bei ihm verbracht hatte. Er dagegen schilderte einen Gott, den er zweifellos in ihm sah. Der andere Junge verstand überhaupt nicht, was da los ist. Er war in meinen Augen urhässlich, sah nach nichts aus, doch für ihn war das der Apoll. Da fing ich an zu ahnen, welche Art von Verwandlung in den Augen der Dichter stattfindet."
    In der Zweitausendeins Edition erschien von Wim Wenders: "Der amerikanische Freund" 1/1977 mit vielen Regisseuren in kleinen feinen Gangsterrollen, darunter Dennis Hopper, der den 'Kleindarsteller' Peter Lilienthal auf der Toilette des IC von München nach Hamburg erwürgt. Ein Vergnügen und ein Blick in eine lang vergangene Zeit.