Martin Zagatta: Seit gestern tagen mehrere Hundert Delegierte der AfD im sächsischen Riesa, um über das Programm und die Kandidaten für die Europawahl zu entscheiden. Volker Finthammer in Riesa, dabei geht es inhaltlich ja vor allem um die Frage, ob die AfD den Austritt Deutschlands aus der EU fordern soll. Das Treffen ist allerdings von dem Austritt von André Poggenburg aus der AfD überschattet, vom rechtsnationalen Flügel und einst Parteichef in Sachsen-Anhalt. Wie sehr beschäftigt das die Delegierten?
Aus Riesa vom Parteitag der AfD Informationen von Volker Finthammer. Und hilft das der AfD in der Wählergunst, wenn sie sich jetzt etwas weniger radikal gibt? Oder schadet ihr das? Und wie ist das mit dem Abgang von André Poggenburg? Das kann ich jetzt den Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner fragen. Er war lange Jahre Chef von Emnid und ist jetzt Geschäftsführer des Instituts mentefactum. Guten Morgen, Herr Schöppner!
Klaus-Peter Schöppner: Guten Morgen, Herr Zagatta!
Zagatta: Herr Schöppner, wenn der rechtsnationale Politiker, ich glaube, so kann man ihn bezeichnen, wenn André Poggenburg jetzt der AfD den Rücken kehrt und eine eigene Partei gründet, die er AdP nennt, Aufbruch deutscher Patrioten Mitteldeutschland, wie schätzen Sie das ein? Hat eine solche Gruppierung in Ostdeutschland jetzt Wählerpotenzial, oder ist die zum Scheitern verurteilt?
Schöppner: In der Politik ist es ja inzwischen so wie vor Gericht oder auf hoher See, man weiß nie genau, was dabei herauskommt. Bislang hatten wir eine Situation, dass alle zwei Jahre wieder die Protagonisten die Partei verließen, und das hat den Protagonisten, also Lucke, dann vor zwei Jahren Petry, sehr geschadet. Sie sind sozusagen in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Die Partei hat überhaupt keinen Aderlass, die AfD, hinterlassen, und insofern ist zu erwarten, dass dies auch ähnlich jetzt in dieser Situation passiert. Obwohl, das muss man natürlich sagen, die Situation ist jetzt eine andere. Damals waren es Kandidaten der Parteimitte, jetzt ist es der Rechtsaußen, André Poggenburg. Und da kann die Situation schon eine andere sein.
"Eine Protestpartei kriegt immer mehr Wählerstimmen"
Zagatta: Da sagt der AfD-Fraktionschef in Rheinland-Pfalz, Uwe Jung, jetzt zum Beispiel, so habe ich das zumindest gelesen, so wird er zum Poggenburg-Austritt jetzt zitiert: "Endlich. Ich hoffe, er nimmt den ganzen Narrensaum und die selbsternannten Patrioten mit." Braucht die AfD diese Leute nicht?
Schöppner: Da ist was dran. Da sind ja zwei Seiten. Auf der einen Seite verliert die AfD sicherlich den Rechtsaußen-Kern dadurch. Dass ihr das schadet, das glaube ich nicht wirklich, denn wir wissen ja, dass das die Unruhestifter waren, diejenigen, die die Medien gegen sich aufbrachten, die Zwietracht säten. Und wenn wir jetzt sozusagen die Rechtsextremen aus der Partei entfernt haben, dann kann die Partei durchaus größere Attraktivität gewinnen. Bloß, das Ganze ist natürlich zweischneidig. Bislang lebte die AfD ja wunderbar davon, einfach nur Protestpartei zu sein. Also, wer eine etwas – in der Ausländerfrage eine andere Ausländerpolitik haben wollte, der wählte die AfD. Und zwar ist es eigentlich insofern eine indirekte Partei, weil dadurch sich ja, Sie wissen, CDU/CSU bemüßigt fühlten, dort einen anderen Kurs einzuschlagen. Auf der anderen Seite führt das aber jetzt dazu, dass sie nicht daran vorbeikommt, politische Arbeit machen zu müssen. Sie müssen Programme entwickeln, sie müssen zusehen, dass sie eine klare Politik, eine klare politische Linie in ihre Partei hineinbekommen. Und das ist immer gefährlich, denn eine Protestpartei kriegt immer mehr Wählerstimmen als eine Partei, die sagen muss, das machen wir, und das machen wir nicht.
Zagatta: Auf der anderen Seite kann jetzt dieser Austritt von Poggenburg vielleicht auch Zulauf aus der Mitte der Partei bringen, also Wähler, die von der Politik der etablierten Parteien enttäuscht sind und die sich eigentlich nicht der Deutschtümelei zuwenden wollen. Kann für die jetzt die AfD attraktiver werden?
Schöppner: Das ist die Theorie. Die Praxis sieht so aus, dass mit ihren 14 bis 15 Prozent die AfD jetzt bundesweit gesehen schon am maximalen Rand ihres Potenzials sich bewegt. Also, diejenigen, die dort für die AfD Sympathien entwickelt haben, die Druck in der Ausländerfrage machen wollten, das waren ja rechte Unionswähler, das waren enttäuschte Wähler der Linken, auch enttäuschte Wähler der SPD. Die sind mittlerweile bei der AfD gelandet. Demoskopische Untersuchungen zeigen, dass an diesem Rand nicht viel mehr zu machen ist. Und auch die Wähler, die in der Zwischenzeit zu den Nichtwählern gegangen sind und dann zur AfD als Protestpartei, die sind auch sozusagen jetzt dort verankert. Also, dass da ein großes Potenzial ist, das glaube ich nicht. Auf der einen Seite werden sie am rechten Rand Wähler verlieren. Vielleicht werden sie ein paar Stimmen hinzugewinnen. Ich glaube, das wird eher ein Nullsummenspiel mit einer Tendenz, es geht ein bisschen für die AfD bergab, was möglicherweise auch daran liegt, dass ja in der Ausländerdiskussion derzeit die Brisanz zunächst mal heraus ist.
"Eher ein Glückstag für die etablierten Parteien"
Zagatta: Wie blicken Sie denn auf die Landtagswahlen im Osten Deutschlands in diesem Jahr?
Schöppner: Das ist eine andere Geschichte. Die neue Poggenburg-Partei will ja nur in drei Ostländern antreten und marginalisiert sich damit schon selbst. Man kann nur dann eigentlich einen Erfolg haben, wenn man grundsätzlich in den Medien steht, wenn man ein universelles Angebot hat und wenn man im Prinzip den Eindruck erweckt, wir wollen grundsätzliche politische Positionen vertreten. Etwas anderes könnte es sein, Sie haben das gerade gesagt, in den Bundesländern – nehmen Sie das Beispiel Sachsen –, dass hier die neue Poggenburg-Partei der dort ja eher etablierten AfD Stimmen wegnehmen wird. Also, wenn man davon ausgeht, dass vielleicht das Potenzial in den Ostländern etwa um 20 Prozent sein wird, dann kann es durchaus sein, dass vier bis fünf Prozent vom rechten Flügel weggehen und dass dadurch die Attraktivität und auch sozusagen der Anspruch durch entsprechende Wählerstimmen der ursprünglichen AfD reduziert wird. Insofern ist das eher ein Glückstag für die etablierten Parteien, für die CDU vor allen Dingen, als dass sie sich nun über diese Entwicklung große Sorgen machen müssen.
Zagatta: Aber auf der anderen Seite, wenn die AfD jetzt solche Leute verliert, auf sie verzichtet, wie Poggenburg, ist das nicht auch ein Schritt dann vielleicht Richtung Union im Osten? Werden da Wege für eine Zusammenarbeit geebnet, oder halten Sie das für ausgeschlossen?
Schöppner: Nein, ich halte es nicht für ausgeschlossen. Die Zeit wird es zeigen. In der Situation, wo die AfD sich wirklich läutert, wo sie wirklich Positionen vertritt, die für einen relativ großen Wähleranteil attraktiv sind, indem sie Programme entwickeln, indem sie Politik betreiben wollen und indem sie vom Geruch des Unruhestifters befreit werden, kann das durchaus eine Chance sein. Die Erfahrung zeigt nur, in dem Augenblick, wo man wirklich Position ergreift, gibt es sofort auch Kritik an diesen Positionen. Und insofern ist das Risiko, glaube ich, derzeit größer als die Chancen, die sich daraus entwickeln. Tatsache ist allerdings, dass natürlich gerade die sehr stark gebeutelte CDU im Osten durchaus eine gewisse Affinität hat zu einer sagen wir mal AfD, die sich in Richtung programmatischer Politik gewandelt hat.
Zagatta: Der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner. Herr Schöppner, ich bedanke mich für das Gespräch!
Schöppner: Ich bedanke mich bei Ihnen, alles Gute!
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