Sie sind fast wie verschiedene zwei Paar Schuh': globale Klima- und regionale Eismodelle. Mit den einen simulieren Forscher den Klimawandel auf dem gesamten Globus - und mit den anderen, wie stark die Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis künftig abschmelzen. Das zu wissen ist durchaus wichtig. Denn das Schmelzwasser lässt den Meeresspiegel steigen.
Und dennoch: In den gebräuchlichen globalen Klimamodellen werden die polaren Eiskappen bisher nur ungenügend abgebildet, wie Tamsin Edwards bedauert, Physikerin am King's College in London:
"Ein globales Klimamodell enthält schon die Eisschilde! Aber nur in sehr einfacher Form. Da wird lediglich berechnet, wie sich die Strahlungseigenschaften verändern, wenn Eis an der Oberfläche verloren geht. Man modelliert aber nicht, wie viel Schmelzwasser von den Gletschern abfließt und wie es sich im Ozean auswirkt."
Klima- und Eismodelle reden erstmals richtig miteinander
Das haben Klimaforscher jetzt nachgeholt, darunter auch die Britin. Wie sich die Gletscher an den Polen weiter entwickeln, wie schnell sie abtauen und wie viel Schmelzwasser dabei entsteht - das alles wurde mit einer besonders hohen räumlichen Auflösung von bis zu zweieinhalb Metern simuliert, eingebettet in ein globales Modell. Das steuerte das Rand-Szenario bei: Wie sich das Klima auf der Erde allgemein bis zum Ende des Jahrhunderts entwickeln dürfte, bei weiter steigenden Treibhausgas-Emissionen.
"Wir bringen Klima- und Eismodelle jetzt dazu, dass sie erstmals richtig miteinander reden. Und wir bekommen dadurch ein viel umfassenderes Bild davon, wie sich das Schmelzwasser beider Polkappen auf das globale Klima auswirkt."
Im Fall von Grönland bestätigen die Modelle frühere Studienergebnisse. Demnach wird das Schmelzwasser der Gletscher dort den Golf- und Nordatlantikstrom nicht kollabieren lassen. Dieses Szenario, in dem klirrende Kälte in unsere Breiten einzieht, bleibt unwahrscheinlich. Allerdings soll sich die Meereszirkulation im Nordatlantik in diesem Jahrhundert durchaus abschwächen, um rund 15 Prozent sogar. Auch das wäre schon eine starke Verwerfung im Klimasystem.
Der schlafende Riese im Süden
Im Fall der Antarktis dagegen sind die Ergebnisse der neuen Modellrechnungen zum Teil überraschend:
"Das Schmelzwasser der Gletscher ist kälter und leichter als das Tiefenwasser, das die ganze Antarktis umströmt. Deshalb bleibt es an der Oberfläche, und das Meer wird nicht mehr durchmischt. Das wärmere Tiefenwasser ist also gefangen, und die Eisschilde schmelzen von unten - überall dort, wo sie weit ins Meer hinausragen und viele hundert Meter tief reichen. Das alles wird sich nach unseren Modellen Mitte des Jahrhunderts beschleunigen, so dass das Schmelzwasser der Antarktis den Eisschwund dann noch weiter forciert. In gewisser Weise kann man die Antarktis also als schlafenden Riesen auffassen."
Solche Prozesse sind nach den Beobachtungen von Klimaforschern schon heute in Gang. Zum Beispiel in der Amunden-See in der West-Antarktis, wo zwei Eisgiganten von unten schmelzen: der Pine-Island- und der Thwaites-Gletscher.
Prognosen für Meeresspiegel-Anstieg nicht düsterer geworden
Hélène Seroussi, französische Glaziologin in Diensten der US-Raumfahrtbehörde Nasa:
"Es ist wichtig zu verstehen, dass die Eisschilde viel schneller mit dem Klima wechselwirken, als wir gedacht haben. Schon nach 50 bis hundert Jahren verändern Eisverluste und Schmelzwasser die Meereszirkulation, wie die neuen Modellierungen zeigen. Wir müssen diese Prozesse deshalb auf jeden Fall in unsere Klimasimulationen einbauen."
Trotz allem sind aber die Prognosen für den Anstieg des Meeresspiegels nicht düsterer geworden. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte das Schmelzwasser der Polkappen die Pegel um 25 Zentimeter erhöhen, heißt es in der neuen Studie. Das deckt sich mit den meisten Schätzungen aus jüngster Zeit.
Offenbar dauert es doch eine ganze Weile, bis der schlafende Riese im Süden richtig erwacht...