Weit im Norden verzeichneten die Wetterdienste im letzten Sommer Rekordtemperaturen von 38 Grad Celsius und Rekordfeuer, die sich heißer und tiefer in die Landschaft und in den Boden brannten, als man es in einer der kältesten Regionen Sibiriens erwarten würde. Auch 2019 gab es dort bereits extrem große Flächenbrände. Sie sind in der Lage, unter Schneedecken weiter zu schwelen und im Frühling an die Oberfläche zu kommen, heißt es in einer in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlichten Studie. Mit der Klimaerwärmung dürften der Studie zufolge sogenannte Zombie-Brände in der nördlichen Hemisphäre weiter zunehmen.
Die niederländische Klimaforscherin Rebecca Scholten von der Vreijen Universiteit Amsterdam hat nun eine erste Bestandsaufnahme unternommen. Mit dem Klimawandel werde dieses Phänomen, das selbst enorme Mengen an CO2 freisetzt, weiter zunehmen, sagte sie im Deutschlandfunk. Taiga-Brände seien daher relevant für die Klimaforschung.
Christiane Knoll: Frau Scholten, was passiert denn, wenn ein Feuer überwintert?
Rebecca Scholten: Ja, also diese Feuer in der Taiga, da muss man erst mal wissen: Wenn man sich so einen Waldbrand vorstellt, dann denkt man ja eigentlich immer daran, dass die Bäume brennen. Aber in der Taiga ist es häufig so, dass ein ganz großer Teil auch vom Boden brennt. Und diese Feuer können dann quasi ziemlich tief in den Boden reinbrennen, und wenn dann der Winter kommt, und diese Feuer noch nicht ganz gelöscht sind, dann legt sich quasi die Schneedecke darüber und schützt diese Feuer so ein bisschen vor dem Winter, also der Feuchtigkeit und der Kälte. Und dann können diese Feuer quasi unter dem Schnee, unter der Schneedecke schwelen und im nächsten Jahr wieder einen neuen Flächenbrand starten.
Überwinternde Brände brechen nach der Schneeschmelze aus
Knoll: Sie haben jetzt eine Art Bestandsaufnahme solcher Zombie-Feuer für Alaska und die Nordwestterritorien Kanadas gemacht. Wie sind Sie da vorgegangen?
Scholten: Diese Feuer sind natürlich … Alaska und die Nordwestterritorien sind sehr große Gebiete, und da leben wenige Menschen, deswegen ist es schwierig, da diese Brände auf dem Boden ausfindig zu machen. Deswegen arbeiten wir in unserer Studie mit Satellitendaten. Wir hatten Glück, weil die Feuermanager in Alaska schon seit ein paar Jahren auf diese Feuer aufmerksam geworden sind und angefangen haben, so eine kleine Liste zu führen, wo und wann die aufgetreten sind. Und diese Liste von circa 50 Bränden, die konnten wir dann nutzen quasi als Referenz für das, was wir vom Satelliten aus sehen. Und wie wir das vom Satelliten aus gemacht haben, ist folgendermaßen: Wir wissen, dass diese Brände, wenn die im Untergrund schwelen, nicht genug Sauerstoff haben, um sich wirklich schnell fortzubewegen. Die können also den ganzen Winter über höchstens ein paar Hundert Meter weit reisen sozusagen. Das ist das Hauptding, das wir ausnutzen, wir gucken als quasi, wenn wir einen neuen Brand sehen, wie weit ist der von einem alten Brand entfernt und wie früh in der Saison fängt der wieder an zu brennen – weil die überwinternden Brände schon kurz, nachdem der Schnee geschmolzen ist, anfangen können, weil dann schon trockenes Brennmaterial vorhanden ist, und die normalen Feuer erst deutlich später in der Saison starten, die nämlich durch Blitzeinschläge meistens gestartet werden. Das passiert dann eher im Hochsommer. Diese überwinternden Brände starten quasi früher. Also können wir das nutzen, wie nah die an einer alten Brandnarbe sind und wie früh in der Saison sie starten.
Bis zu zwanzig Prozent regionaler Brandaktivität in einem Jahr
Knoll: Sie haben also mehr oder weniger eruiert, welche der Feuer, die wir zuletzt gesehen haben, Feuer waren, die überwintert hatten – das kann man so zusammenfassen?
Scholten: Genau!
Knoll: Wie viele waren es denn?
Scholten: Die, die wir jetzt vom Satelliten aus gesehen haben, das ist natürlich auch etwas, der Satellit sieht die Feuer nur, wenn sie eine bestimmte Größe haben. Wir nutzen den Modes-Satelliten ((phon.)), der gehört der Nasa und der hat einen Footprint, sagt man, also ein Pixel von diesem Satelliten sind 500 mal 500 Meter, die Feuer müssen also schon ziemlich groß sein, damit wir die überhaupt entdecken. Von diesen größeren Bränden haben wir in Alaska und den Nordwestterritorien zwischen 2001 und 2018 circa 25 Feuer gefunden.
Knoll: Das ist nicht so wahnsinnig viel dieser Anteil. Ich glaube, das ist in der Größenordnung von einem Prozent?
Scholten: Genau, ja. Insgesamt machen diese Brände nicht so einen riesigen Anteil an der gesamten Feueraktivität aus. Circa ein Prozent der verbrannten Fläche in Alaska und den Nordwestterritorien ist diesen Feuern zuzuschreiben. Was man aber schon sehen kann, ist, dass in einigen Jahren das deutlich mehr ist als in anderen. Es kann dann mal sein, wenn ein Feuer so richtig groß wird, dass es schon mehr als fünf oder zehn oder zwanzig Prozent der gesamten Brandaktivität in einem Jahr ausmacht in einer Region. Das haben wir auch schon gesehen.
Zombie-Brände treten bevorzugt nach Feuerjahren auf
Knoll: Mit den Zombie-Feuern haben Sie jetzt ein recht neues Phänomen erstmals in Zahlen gefasst. Was kann man mit den Zahlen denn jetzt anfangen, können Sie den Feuermanagern Tipps geben, wo sie genau hingucken müssen, um solche Brände möglicherweise früher einzudämmen, kann man das überhaupt in diesen Gegenden?
Scholten: Ja, das ist auch eine gute Frage. Ja, es war tatsächlich auch ein Teil unserer Studie, dass wir ein bisschen den Feuermanagern sozusagen unter die Arme greifen wollten, weil das Problem mit diesen Feuern ist wirklich, dass sie sehr früh in der Saison schon wieder starten, das ist normalerweise eine Zeit, zu der die Brandmanager noch gar nicht unbedingt Feuer erwarten. Die haben dann quasi noch nicht ihre volle Personalzahl, das ist dann für die schwierig, diese Feuer zu managen. Womit wir da helfen können, ist, dass wir gucken können, wo diese Feuer bevorzugt auftreten. Wir haben quasi herausgefunden, dass diese Feuer gerne in relativ ebenen Flächen auftreten, wo man dicke, organische Böden hat, quasi so Moorböden, und auch in Regionen, wo man eine ziemlich hohe Baumdichte hat, also Regionen, die ziemlich intensiv brennen können – wenn es sehr intensiv brennt, dann kann es auch ziemlich tief in den Boden brennen. Und das hilft dann diesen Bränden, zu überwintern. Und das sind quasi dann die Regionen, nach denen diese Brandmanager Ausschau halten müssen. Und was wir auch herausgefunden haben, ist, dass diese Brände bevorzugt auftreten nach extremen Feuerjahren sozusagen, also nach Jahren, die extreme Hitze hatten im Sommer, nach Jahren, wo man viele große Brände gesehen hat. Von diesen großen Bränden hat man dann häufig, dass überwinternde Brände entstehen.
Taiga-Brände sind relevant für die Klimaforschung
Knoll: Was bedeutet Ihre Forschungsarbeit denn insgesamt für die Klimaforschung? Welchen Informationswert haben die jetzt für die Prognosen und die Modelle?
Scholten: Erst mal, wenn man an den CO2-Emissionen von Bränden interessiert ist, dann sind natürlich insgesamt Taiga-Brände schon wichtig für die Klimaforschung. Der Beitrag von diesen Feuern ist natürlich erst mal eher klein. Ich denke, dass es trotzdem interessant für die Klimaforschung ist, weil das ist natürlich ein Phänomen, das man früher gar nicht oder sehr, sehr selten beobachtet hat, das wir jetzt mit dem Klimawandel deutlich häufiger sehen. Und das ist etwas, was wir mit unserer Studie gefunden haben, was wir aber auch von den Brandmanagern zurückgemeldet bekommen haben. Insofern ist es natürlich schon interessant für die Klimawissenschaften.
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