Das Bürgerfest in Stettin zieht Tausende in den Park "Jasne Blonia". Weit über 100 Vereine haben hier ihren Stand aufgebaut, auch die Waffenliebhaber. Jeder darf mal eine Pistole in die Hand nehmen und abdrücken, natürlich ohne Munition. Ein Vater fotografiert seine Tochter, die einen Stahlhelm aufgezogen hat.
Kein Vertrauen in die NATO
Militär und Militärgeschichte werden wieder wichtiger in Polen, das zeigt auch das Bürgerfest. Denn die Menschen fühlen sich nicht mehr so sicher, seit im Nachbarland Ukraine de facto Krieg herrscht. Auf die NATO wolle er sich da nicht verlassen, sagt Marcin Polowski, der sich auch für die ausgestellten Waffen interessiert:
"Denken wir an den Zweiten Weltkrieg zurück. England und Frankreich hatten Polen garantiert, dass sie helfen, wenn Deutschland angreift. Aber sie haben nichts unternommen. Ich denke, heute würden sich unsere Bündnispartner ähnlich verhalten. Polen ist auf sich allein gestellt."
So denken viele, und dieses Gefühl bestärken Umfragen aus den Partnerländern. Etwa aus Deutschland: Nur ein Drittel der Menschen ist dafür, dass die Bundeswehr hilft, wenn ein anderer NATO-Staat von Russland angegriffen werden sollte.
Der 24-jährige Marcin Polowski zieht daraus diese Konsequenz: Er will sich der neuen Freiwilligenarmee anschließen, die in Polen entstehen soll.
"Wir sollen geschult werden, insgesamt 30 Tage im Jahr. Die Waffen werden beim Militär oder in den Polizeiwachen aufbewahrt. Im Ernstfall sind wir also sofort einsatzbereit. Wir können so die reguläre Armee unterstützen und unser Territorium verteidigen."
Eine eigene Kompanie für jeden Landkreis
"Territoriale oder Gebiets-Verteidigung" nennt die polnische Regierung den Plan, den sie vom Herbst an nach und nach umsetzen will. Rund 35.000 Bürger-Soldaten sollen dann Tag und Nacht bereit stehen. Jeder der über 300 Landkreise soll eine eigene Kompanie bekommen. Diese Freiwilligenarmee werde auf der Grundlage von paramilitärischen Vereinigungen entstehen, erklärt Verteidigungsminister Antoni Macierewicz:
"Es geht darum, das mögliche Kampfgebiet mit einer größtmöglichen Zahl an Soldaten zu füllen. Auch, mit solchen, die leichter, aber doch modern bewaffnet sind. Sie werden in der Lage sein, den Gegner im direkten Kampf so lange aufzuhalten, bis die reguläre Armee zur Hilfe kommt."
Die ersten Brigaden der "Territorial-Verteidigung" sollen im Osten des Landes gebildet werden. Denn vom Nachbarn Russland drohe die größte Gefahr, wie Verteidigungsminister Macierewicz betont. Außerdem soll die neue Freiwilligenarmee eine Antwort auf die sogenannte "hybride Kriegsführung" sein, die Russland vorgeworfen wird. Grzegorz Kwasniak, der im Verteidigungsministerium die Freiwilligen-Armee aufbaut, erläutert:
"Diese Einheiten werden die Gefahr bekämpfen, die von Terrorismus, vom Informationskrieg und von Sabotage ausgeht. Die reguläre Armee kommt mit den Gefahren der hybriden Kriegsführung nur schlecht zurecht."
Freiwilligen-Armee stößt auf breite Zustimmung
Ein Beispiel liefert der Konflikt in der Ostukraine. Nicht-reguläre Militäreinheiten, von Russland gebildet und unterstützt, brachten die Stadt Slowjansk unter ihre Kontrolle. Eine lokale Bürgerarmee hätte sich sofort dagegen wehren können, glaubt die polnische Regierung.
Die neue Freiwilligen-Armee stößt in Polen auf breite Zustimmung. Umstritten ist jedoch, wie die rechtskonservative Regierung das Projekt umsetzt. In ihrem Konzept ist von christlichen Fundamenten des Verteidigungssystems die Rede, vom "Glauben" und vom "Patriotismus" der Soldaten. Die Freiwilligenarmee dürfe aber keine rechtsgerichtete Kampftruppe werden, warnt die Opposition. Ex-Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak von der rechtsliberalen "Bürgerplattform" findet:
"Es ist wichtig, dass diese Armee Teil des Staatssystems wird. Sie darf keine politischen Gruppierungen aufnehmen. Das Ganze ist eine ernste Angelegenheit, hier geht es um den Umgang mit Waffen."
Tatsache ist jedoch, dass die meisten paramilitärischen Gruppen in Polen eher rechtsgerichtet sind. Politiker der Regierungspartei PiS schlossen nicht aus, dass sich auch die nationalistische Gruppierung "National-radikales Lager", kurz ONR, an der Armee beteiligen könnte. ONR-Vertreter beschwichtigten daraufhin, dass sie daran gar kein Interesse hätten.