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Polen
Demonstranten veröffentlichen Verfassungsgerichtsurteil

Das polnische Verfassungsgericht hat die Justizreform der Regierung für verfassungswidrig erklärt. Veröffentlicht wurde das Urteil bisher nicht. Linke Demonstranten haben es deswegen in Warschau an ein Gebäude projiziert. An ein Einlenken der Regierung glauben sie derzeit nicht - aber daran, dass der Widerstand wachsen wird.

Von Florian Kellermann |
    Demonstranten vor einem Gebäude, an das ein Text projiziert wurde.
    Demonstranten haben das Urteil des polnischen Verfassungsgericht mit einem Beamer an das Gebäude des Ministerrats in Warschau projiziert. (WOJTEK RADWANSKI / AFP)
    Die Temperatur sinkt nahe an den Gefrierpunkt. Jakub hat die Mütze tief ins Gesicht gezogen, er ist über sein Laptop gebeugt. Der 27-Jährige prüft, wie die Menschen in den sozialen Netzwerken auf die Aktion vor dem Regierungsgebäude in Warschau reagieren. Neben ihm steht der Beamer, der Projektor, der inzwischen landesweit Berühmtheit erlangt hat. Er wirft das Verfassungsgerichts-Urteil an das Gebäude des Ministerrats auf der anderen Straßenseite - Satz für Satz. Leider ist es dort nicht mehr so gut lesbar wie in der Nacht zuvor: Die Regierung ließ die Beleuchtung einschalten.
    "Gestern war die Fassade dunkel. Aber jetzt haben sie verstanden, dass sie unsere Idee stören können."
    Eine simple und schlagende Idee: Die Regierung weigert sich, das Urteil des Verfassungsgerichts zu veröffentlichen. Dann veröffentlichen es eben die Aktivisten selber. Das Urteil vom Mittwoch lautet kurz gefasst: Das Gesetz, das die Arbeit des Verfassungsgerichts neu regeln soll, ist selbst verfassungswidrig. Denn es lähme die Arbeit des Gerichts - und heble damit den Rechtsstaat aus.
    "Wir sind schockiert, wie schnell demokratische Werte vor die Hunde gehen"
    Die meisten der Demonstranten gehören der linksgerichteten Partei "Razem" an, auf deutsch "Zusammen". Erst vor einem guten halben Jahr gegründet, erhielt sie bei der Parlamentswahl im Herbst 3,6 Prozent der Stimmen.
    Jakub, ein Doktorand im Fach Geschichte, nimmt für den Protest einiges auf sich:
    "Wir schlafen hier in dem Zelt. Das ist nicht sehr bequem, denn die Temperatur ist ein bisschen niedrig. Aber es gibt viele Leute, die uns helfen. Die geben uns etwas zu essen, etwas Heißes zu trinken, Kleidung und so weiter."
    Gerade hält wieder ein Unbekannter sein Auto an und reicht den Demonstranten zehn Schachteln Pizza. Ein paar Dutzend junge Menschen sind es, die auch spät am Abend hier noch ausharren. Was sie antreibt? Auf die Frage antwortet Konrad, ein großgewachsener junger Mann, der etwas abseits steht:
    "Wir sind alle ein bisschen schockiert, wie schnell das alles geht hier in Polen, wie schnell die demokratischen Werte, die wir uns nach 1989 so hart erarbeitet haben, vor die Hunde gehen."
    Europarat: Demokratie in Polen in Gefahr
    Seit gestern fühlen sich die Teilnehmer des Protests noch durch die Venedig-Kommission des Europarats bestätigt: Auch sie sieht die Demokratie in Polen in Gefahr, weil die Regierung die Arbeit des Verfassungsgerichts behindere. Und sie forderte die Machthaber auf, das jüngste Urteil des Gerichts zu veröffentlichen. An dieser Stellungnahme der Venedig-Kommission will sich auch die EU-Kommission orientieren, die im Januar ein Verfahren gegen Polen eingeleitet hat. Brüssel überprüft, wie es in dem Land um den Rechtsstaat steht.
    Dass die Regierung einlenkt, glauben nur die wenigsten Demonstranten im Regierungsviertel. Aber der Widerstand werde weiter wachsen, da sind sie sicher.