Zenon Kuzab lebt seit 40 Jahren in Przemysl, einer Stadt ganz im Osten von Polen. Doch seit einigen Jahren fühlt sich der Rentner dort nicht mehr wohl:
"Die Polen werden immer feindseliger. Sie wollen, dass wir in die Ukraine abhauen. Nationalisten stacheln sie auf, und viele plappern das nach. Wir haben aufgehört, in der Öffentlichkeit ukrainisch zu sprechen, weil wir einfach Angst haben."
Der 63-Jährige will das nicht hinnehmen. Deshalb ist er mit anderen auf den Friedhof in Werchrata gekommen. Das Dorf liegt 80 Kilometer nordöstlich von Przemysl. Früher waren hier über 90 Prozent der Einwohner Ukrainer, heute sind es nur noch einzelne.
Zenon Kuzab zieht die Schiebermütze ins Gesicht und faltet die Hände zum Gebet. Ein griechisch-katholischer Geistlicher leitet die Andacht, auch Polen aus Warschau sind gekommen. Eine Frau liest einen Appell vor, den polnische Intellektuelle verfasst haben:
"Wir neigen unsere Häupter über den Gräbern in Werchrata, bitten um Vergebung und rufen: Wir sind nicht einverstanden damit, dass Gräber, Friedhöfe, Denkmäler zerstört werden. Wir wissen, dass sie aus einer oft schwierigen Vergangenheit stammen. Aber zur polnischen Tradition gehört Achtung für die Verstorbenen, mögen sie in Frieden ruhen."
Die Gewalt macht vor Denkmälern nicht Halt
Ein Video zeigt, wie polnische Nationalisten vor einigen Wochen das symbolische Grabmal für 19 ukrainische Kämpfer aus dem Zweiten Weltkrieg zerstörten. Sie gingen mit einem Bohrhammer zu Werke. Die jungen Männer verhüllten dabei nicht einmal ihre Gesichter. Dennoch stellten sie das Video ins Internet, mit anti-ukrainischer Musik unterlegt. "Verdammter Abschaum", heißt es da über die Ukrainer.
Eine gezielte Provokation der Nationalisten, die sich "Lager des großen Polen" nennen. Sie wollen die Stimmung gegen die ukrainische Minderheit in Polen - rund 50.000 Menschen - offenbar weiter anstacheln.
Deshalb sei sie nach Werchrata gekommen, sagt Iza Chruslinska, die nicht zur Minderheit gehört:
"Was derzeit in Polen passiert, soll das erschüttern, was wir auf polnischer und auf ukrainischer Seite seit über 20 Jahren aufgebaut haben. Das ist sehr gefährlich. Wir wissen doch: Jemand will uns Polen und Ukrainer spalten, jemandem passt das sehr gut in den Kram."
Das gilt für polnische Parteien am rechten Rand - und auch für den großen Nachbarn Russland. Tatsächlich haben einige polnische Nationalisten dahin Verbindungen, darunter das "Lager des großen Polen".
Die Gewalt macht vor Denkmälern nicht Halt. Zenon Kuzab, der 63-Jährige aus Przemysl:
"Wir sind in Przemysl von der Kirche zum Friedhof gegangen, eine Prozession zum Grab der Sitscher Schützen, einer ehemaligen ukrainischen Militäreinheit. Im Juni war das. Da sind plötzlich junge Männer aufgetaucht und haben verlangt, dass ich mein Trachtenhemd ausziehe. Aber ich wollte nicht. Da haben sie es zerrissen und mir auch meine ukrainische Fahne abgenommen. Sie haben versucht, sie anzuzünden."
Offizielle Reaktionen gibt es selten
Auch im Alltag wächst der Hass: Ukrainische Kinder werden in der Schule bespuckt, Hauswände mit antiukrainischen Parolen beschmiert.
Eine offizielle Reaktion gibt es selten, die öffentlichen, regierungsfreundlichen Medien berichten nur zurückhaltend. Ein Grund dafür: Das Verhältnis zur Ukraine ist seit einigen Monaten getrübt. Das polnische Parlament hat ukrainische Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs als Völkermord bezeichnet.
Damals, vor 72 Jahren, hatten Mitglieder und Anhänger der ukrainischen Aufstandsarmee UPA zigtausende polnische Zivilisten getötet, vor allem in Wolhynien. In der Ukraine stieß der polnische Parlamentsbeschluss auf Unverständnis, auch bei der Polin Chruslinska:
"Bei der Debatte bekomme ich das Gefühl, die wichtigsten Probleme in Polen seien derzeit die UPA und das Wolhynien-Massaker. Ja, die polnisch-ukrainische Geschichte ist tragisch, auf beiden Seiten. Aber wer das jetzt zum Thema macht, der tut das nur, um politisches Kapital daraus zu schlagen."
Dieser Vorwurf geht an die rechtskonservative Regierungspartei PiS. Sie hat Geschichtspolitik zu einem ihrer Hauptthemen gemacht, sie will den Patriotismus fördern. Kritiker meinen: Damit begünstige sie nationalistische Stimmungen auch weit am rechten Rand.
Probleme zwischen Polen und Ukrainern? Alte Geschichten
Im Dorf Werchrata interessieren sich die Menschen kaum für Politik. An der Parlamentswahl im vergangenen Jahr nahmen nur 58 Einwohner teil - weniger als zehn Prozent der Wahlberechtigten hier.
Auch, als die Nationalisten am Friedhof zu Gange waren, kümmerte das lange keinen. Vor dem nächst gelegenen Bauernhof stehen ein Mann und eine Frau, die ihren Namen nicht nennen wollen. Sie sprechen wie mit einer Stimme:
"Wir haben schon etwas gehört, ein Auto ist vorgefahren. Aber wir dachten, da stellt einer einen Grabstein auf. Konnte ja keiner ahnen, dass sie da etwas zerstören. Uns hat das ukrainische Denkmal nicht gestört, so viele Jahre hat es da gestanden."
Probleme zwischen Polen und Ukrainern? Das seien doch alte Geschichten, an die sich kaum einer mehr erinnere, meinen die beiden. Die Mitglieder der ukrainischen Minderheit in Polen können das nicht so sehen. Sie fühlen sich bedroht - durch radikale Nationalisten und viele, die schweigen.