Pfarrer Adam Boniecki ist 83 Jahre alt. Er war Generaloberer des Marianer-Ordens und langjähriger Chefredakteur der liberal-katholischen Wochenzeitung "Tygodnik Powszechny". Seit einigen Wochen muss er sich der Entscheidung seines jungen Vorgesetzten beugen: Er darf sich nicht mehr öffentlich äußern. Denn Adam Boniecki hatte eine hochpolitische Trauerpredigt gehalten:
"Wir verabschieden Piotr, seligen Angedenkens. Einen Menschen, der wie ein Schrei war, der die Stille teilt; wie ein Feuer, das in der Dunkelheit die Gestalt der Dinge sichtbar macht. Ein Schrei weckt Angst, ein Feuer weckt Angst, der Tod weckt Angst."
Die Rede war von Piotr Szczesny, der sich im Warschauer Stadtzentrum selbst angezündet hatte und an den Folgen starb. Damit hatte er gegen die Politik der rechtskonservativen Regierungspartei PiS protestiert, das wurde aus einem Abschiedsbrief deutlich. Nach Ansicht des Verstorbenen errichte die polnische Regierung eine Diktatur. Pfarrer Boniecki stimmte ihm zu - indem er Piotr Szczesny mit dem Prediger aus dem biblischen Buch Kohelet verglich:
"Es ist die Vision eines Menschen, der mehr sieht als die anderen. Er sieht, wie die Welt auseinanderfällt. Er will, dass auch die anderen den Zerfall bemerken, den sie nicht sehen wollen."
"Eine Diktatur, die sich auf den katholischen Glauben beruft"?
Boniecki ist nicht der einzige katholische Geistliche, der sich klar gegen die Regierung stellt. Ein anderer ist Andrzej Luter, Gemeindepfarrer in Warschau und Beichtvater vieler Künstler und Journalisten. Er vergleicht die Vorstellungen des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski mit denen von Antonio de Oliveira Salazar, langjähriger Diktator in Portugal:
"Er ist fasziniert von einer Diktatur, die sich auf den katholischen Glauben beruft. Ich halte das für sehr gefährlich, auch aus Sicht der Kirche, denn die Kirche kann bei diesem Bündnis von Thron und Altar nur verlieren."
Der ranghöchste PiS-Kritiker in der katholischen Kirche Polens ist Bischof Tadeusz Pieronek. Er tritt auch in jenen Medien auf, die von der PiS als feindlich betrachtet werden, etwa im privaten Fernsehsender TVN24. Dass sich die Regierung kategorisch weigere, Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufzunehmen, kritisierte der Bischof scharf:
"Ich schäme mich für ein solches Verhalten. Als Christen haben wir die moralische Pflicht, denen gegenüber, die vor dem Tod fliehen, vor Verfolgung und Elend, gastfreundlich zu sein. Die Regierung macht den Menschen Angst vor den Flüchtlingen, sie missbraucht das Thema auf zynische Weise. Sie nimmt eine antichristliche Haltung gegenüber unseren Mitmenschen ein."
Geben und Nehmen
Mit dieser Position sind Boniecki, Luter und Pieronek in der polnischen Kirche in der Minderheit. Viele, auch hochrangige Geistliche haben die Regierungspartei PiS schon im Wahlkampf vor zwei Jahren unterstützt und halten zu ihr. Die Regierung dankt das mit Gesetzen, die von der Kirche lange gefordert wurden. Zuletzt beschloss sie, sonntags müssten die Geschäfte künftig schließen. Diese Regelung wird vom kommenden Jahr an schrittweise umgesetzt. Der Sprecher der Bischofskonferenz hatte zuvor erklärt:
"Der freie Sonntag ist kein Luxus für Auserwählte, sondern ein Recht für alle. Im nächsten Jahr, dem 100. Jubiläum der wiedererlangten polnischen Unabhängigkeit, sollte er gesetzlich garantiert werden. So soll auch die nationale Gemeinschaft und die Gemeinschaft in der Familie gestärkt werden, am Tag des Herrn."
Auch beim Abtreibungsrecht dürfte die PiS der katholischen Kirche entgegenkommen. Derzeit liegt ein Gesetzentwurf im Parlament, der Abtreibung auch dann verbietet, wenn das Kind schwer behindert sein wird. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die PiS ihn verabschieden wird.
Was Pfarrer Luter besonders enttäuscht: Es gibt bisher keine offizielle Stellungnahme der Kirche zum sogenannten "Unabhängigkeitsmarsch", bei dem nationalistische Organisationen vor einem Monat auch eindeutige rassistische Plakate durch Warschau trugen:
"Das Schlimmste sind nicht einmal diese Faschisten, sondern diejenigen, die sie gewähren lassen. Die Regierenden tun das aus politischen Gründen. Sie sehen in diesen Leuten einen Teil ihrer Wählerschaft."
Wachsender Abstand zur Regierung?
Und dennoch wachse in der Kirchenspitze der Abstand zur Regierung, meint Andrzej Luter. Primas Wojciech Polak äußerte schon mehrfach Bedenken zur umstrittenen Gerichtsreform. Sie soll dem Regierungslager erheblichen Einfluss auf die Richter verschaffen. Hoffnung macht dem liberalen Flügel der katholischen Kirche vor allem Grzegorz Rys, der neue, im Oktober eingeführte Erzbischof von Łódź. Andrzej Luter:
"Er ist ein Erzbischof, für den das Evangelium im Vordergrund steht. Er will kein Bündnis mit der Politik. Und Łódź wird zur Avantgarde der katholischen Kirche."
Zumindest, wenn man es aus Sicht der Liberalen unter den Geistlichen betrachtet.