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Polen droht im Abfall zu versinken

Die Recyclingquote in Polen ist mit rund fünf Prozent sehr niedrig. Das Land verpflichtete sich beim EU-Beitritt 2004, etwas dagegen zu unternehmen. Erst 2011 verabschiedete das Parlament ein neues Müllgesetz. Aber dieses hat bei vielen Kommunen Chaos ausgelöst.

Von Florian Kellermann | 27.06.2013
    Jaroslaw Dabrowski erntet nur Hohn und Spott: Gerade hat der neue Vizebürgermeister von Warschau die Bürger auf den Rängen um ihr Verständnis und ihre Hilfe gebeten. Dabrowski soll das drohende Müllchaos in der polnischen Hauptstadt abwenden. Wenige Tage, bevor das neue polnische Abfallgesetz am 1. Juli in Kraft tritt, sind Bürger wie Janina Domanska aufgebracht. Die 63-jährige Rentnerin ist zur Sondersitzung des Stadtrates gekommen:

    "Ich verstehe ja, dass wir den Müll trennen müssen - und ich mache das ja auch schon lange. Aber warum soll ich in Zukunft fast dreimal so hohe Gebühren bezahlen? Was macht die Stadt mit dem Geld, das sie von mir kassieren will? Ich nehme an, sie zahlt der Bürgermeisterin und ihren Stellvertretern Prämien aus. Wir Bürger werden hier schlicht und einfach bestohlen."

    Janina Domanska hat die Abfallentsorgung bisher privat geregelt - wie alle Warschauer Hausbesitzer oder Eigentümergemeinschaften. Das soll nach dem neuen Gesetz nicht mehr möglich sein. Es zwingt die Kommunen, die Müllabfuhr gesetzlich zu regeln und sie an ein Unternehmen zu vergeben. Wie bei allen öffentlichen Aufträgen ist dafür eine Ausschreibung notwendig. Das Gesetz bestimmt auch, dass Haushalte, die Müll trennen, deutlich weniger zahlen.

    Was vernünftig klingt, hat in vielen Gemeinden aber für Durcheinander gesorgt. In Warschau senkte der Stadtrat zwar nach dem Protest der Bürger in der Sondersitzung die neuen Müllgebühren wieder, aber die Rentnerin Janina Domanska soll noch immer rund 50 Prozent mehr bezahlen als bisher.

    Außerdem scheiterte in der polnischen Hauptstadt die Ausschreibung für den zentralen Müllentsorger. Einige Firmen hatten erfolgreich Beschwerde eingelegt. Nun will die Stadt ab 1. Juli mit allen Unternehmern zusammenarbeiten, die Verträge mit Hauseigentümern haben. Das sind über 80. Krystyna Mrozek, eine Hausverwalterin aus dem Stadtteil Mokotow:

    "Das wird uns als Übergangslösung präsentiert, hat aber weder Hand noch Fuß. Wie kann die Stadtverwaltung sicher sein, dass sie wirklich alle Firmen erfasst? Wir haben mit unserer vorsorglich einen Vertrag über den 1. Juli hinaus geschlossen. Wir haben ein schönes Haus im südlichen Stadtzentrum, da soll nicht plötzlich im Hof ein Müllberg wachsen."

    Nicht nur in Warschau, auch in anderen Gemeinden stottern die Vorbereitungen auf das Müllgesetz. Krakau hat die Ausschreibung für einen Entsorger zwar schon abgeschlossen, den Sieger aber noch nicht ausgewählt. Die anderen Teilnehmer können immer noch Beschwerde einlegen. In Tschenstochau kamen schon Hunderte Bürger zum Rathaus, weil sie bisher nicht über die bevorstehenden Änderungen informiert wurden. Manche Bürgermeister boykottieren die neuen Richtlinien einfach. Sie haben in den vergangenen Jahren eine kommunale Müllabfuhr aufgebaut und wollen deshalb keine Ausschreibung für private Unternehmen.

    Dabei werde das Müllgesetz nicht nur schlecht umgesetzt, meinen Umweltpolitiker, es löse auch die Probleme nicht. Bogdan Szuber vom oppositionellen "Bündnis der demokratischen Linken":

    "Was nützt uns die Mülltrennung in den Haushalten, wenn wir nicht zuerst in Recyclingtechnik investieren. Die Stadt Warschau produziert jährlich zwischen 700.000 und 800.000 Tonnen Abfall. Und alles, was wir bisher haben, ist eine kleine Müllverbrennungsanlage, die davon nur ein Zwanzigstel bewältigen kann. Der Rest landet auf Deponien, leider auch auf illegalen Deponien. Statt damit, beschäftigen wir uns jetzt in Warschau mit Notfallplänen, damit wir nicht Zustände wie in Neapel bekommen."

    Janina Domanska will mit anderen Hausbesitzern vor Gericht ziehen, um gegen die neue Müllverordnung der Hauptstadt zu klagen. Die 63-Jährige lebt von 233 Euro Rente im Monat, höhere Gebühren als bisher könne sie sich einfach nicht leisten, sagt sie.