Seit Wochen beherrschen die Demonstrationen in Kiew auch die polnische Berichterstattung. Livereportagen vom Maidanplatz, Kommentare, politische Diskussionen. Vieles erinnert an die Situation vor zehn Jahren. Und dennoch - sagt Osteuropaexperte Tomasz Horbowski - lasse die Unterstützung diesmal zu wünschen übrig:
"Das Interesse an der Entwicklung in der Ukraine ist bestimmt sehr groß. Es ist schließlich unser Nachbar, um den es da geht. Verglichen mit der Orangenen Revolution vor zehn Jahren ist das Engagement indes wesentlich kleiner. Keine Massendemos mehr in Polen, keine Unterstützungsmärsche wie vor zehn Jahren. Wenn überhaupt, dann werden sie von ukrainischen Organisationen in Polen veranstaltet."
Keine Massenbewegung
So wie Mitte Dezember des vergangenen Jahres. In mehreren polnischen Städten - darunter auch in Warschau - marschierten jung und alt, Ukrainer und Polen, um gegen das System Janukowitsch zu protestieren. Keine Massenbewegung, vielmehr ein zaghaftes Zeichen der Solidarität mit dem Nachbarn im Osten. Mittlerweile ist aber auch diese Form der Unterstützung kaum zu vernehmen. Eine aus Sicht des Politikwissenschaftlers Horbowski nachvollziehbare Entwicklung:
"Vor zehn Jahren war alles klar. Einerseits gab es einen Präsidenten, den die Mehrheit der Gesellschaft gewählt hatte, auf der anderen Seite gab es die Machthaber, die den Ukrainern ihren Kandidaten aufzwingen wollten. Heute findet die Auseinandersetzung auf einer ganz anderen Ebene statt. Es geht um Werte, es geht um die Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens. Daher ist es auch hierzulande wesentlich schwieriger, die polnische Gesellschaft zu mobilisieren, damit sie zum Beispiel auf die Straße geht und ihre Solidarität mit der ukrainischen Opposition manifestiert."
Unterstützung von Rechtskonservativen
Abgesehen davon, so heißt es in polnischen NGO-Kreisen, sei man ein weinig enttäuscht. Vor allem, weil die ukrainische Zivilgesellschaft von den einst während der Orangenen Revolution formulierten Zielen stark abgewichen sei. Zumindest nach polnischer Lesart:
"Die Änderungen gingen nicht in die Richtung, die wir erwartet hatten. Diesmal betrachten wir die Sache realistischer als vor zehn Jahren. Denn was jetzt auf den Straßen Kiews passiert, ist sehr beunruhigend. Die Gewalt, die radikalen Sprüche, das ist nicht der Maidan, den wir sehen möchten."
Rechtskonservative Kreise in Polen sehen die Sache bei Weitem nicht so schlimm. Sie sind der Auffassung, dass die Opposition in der Ukraine ohne wenn und aber unterstützt werden müsste. Schließlich kämpfe sie mit vereinten Kräften gegen einen Machthaber in Kiew, so heißt es, dem demokratische Werte offenbar nichts bedeuteten:
"Es ist nicht so lange her, als wir selbst für Unabhängigkeit, Freiheit und Demokratie kämpften. Wir wissen genau, wie es ist, wenn man unterdrückt wird."
Es geht auch um polnische Interessen
Bronislaw Wildstein, Chefredakteur des rechtskonservativen Fernsehsenders TV-Republika, sagt es zwar in Richtung des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch. Meinen dürfte er damit aber auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Tomasz Sakiewicz, Leiter der ebenfalls extremkonservativen Wochenzeitung "Gazeta Polska" ist da schon etwas direkter:
"Außer der Geste der Solidarität geht es hier auch um polnische Interessen. Seit 1.000 Jahren wissen wir, dass es gut ist, wenn Kiew unabhängig regiert wird. Und zwar von jemandem, der Polen zugeneigt ist. Anderenfalls drohen uns ernste Probleme. Die Geschichte der letzten Jahre hat gezeigt: Wir müssen heute das Streben nach der Unabhängigkeit der Ukrainer unterstützen."
Liberal und sozialdemokratisch eingestellte Kräfte in Polen betrachten den Kampf in der Ukraine indes etwas differenzierter. Moralische Unterstützung ja, Kritik an Moskau nicht ausgeschlossen. Direktes Engagement auf der Straße - wie vor zehn Jahren noch - scheint für sie aber nicht mehr in Frage zu kommen.