Die EU-Kommission stößt sich an der neuen Disziplinarkammer am Obersten Gerichtshof. Sie hat im vergangenen Jahr ihre Arbeit aufgenommen und entscheidet in Disziplinarverfahren gegen Richter. Nach Ansicht der EU-Kommission könnte die Regierung sie zur politischen Kontrolle von Richtern missbrauchen. Deshalb soll der Europäische Gerichtshof sie mit einer einstweiligen Verfügung schnellstmöglich außer Kraft setzen – bis zu einem endgültigen Urteil.
Vertreter der rechtskonservativen Regierungspartei PiS reagierten empört, so die Europa-Abgeordnete Beata Kempa im öffentlichen Fernsehen TVP:
"Die Kommission nimmt einfach nicht zur Kenntnis, dass die Organisation des Gerichtswesens allein den Mitgliedsländern obliegt. Und das hier ist eine sehr wichtige Angelegenheit. Die Polen setzen gerade auf die Disziplinarkammer sehr große Hoffnungen. Viele sehen in ihr den letzten Rettungsanker. Denn die Kammer bewirkt, dass die Unantastbarkeit der Richter beendet wird."
Justizminister hat großen Einfluss auf die Kammer
Vor allem Justizminister Zbigniew Ziobro hat großen Einfluss auf die Disziplinarkammer. Denn er ist in Amtseinheit Generalstaatsanwalt. Und viele der neuen Richter an der Kammer sind ehemalige Staatsanwälte, die unter Ziobro Karriere gemacht haben. Außerdem kann Ziobro in Disziplinarverfahren auch direkt eingreifen, über Disziplinarbeauftragte, die er ernennt.
Sollte der Europäische Gerichtshof die Kammer außer Kraft setzen, wäre das ein Schlag für die Regierungspartei PiS, erklärte der regierungskritische Anwalt Patryk Wachowiec dem Radiosender TOK FM:
"Es gab Stimmen, vor allem in regierungsnahen Kreisen, dass die neue EU-Kommission milder mit Polen umgehen würde als die alte. Dass die neue zuständige Kommissarin für Werte und Transparenz Vera Jourova eher auf den Dialog setzen wird. Aber offenbar hat die polnische Regierung der EU-Kommission keine Wahl gelassen als durchzugreifen."
Die zahlreichen Verfahren, die bereits gegen PiS-kritische Richter liefen, hätten die EU aufgeschreckt, meint Wachowiec.
Maulkorbgesetz sieht Strafen für regierungskritische Richter vor
Mit der Disziplinarkammer steht und fällt auch das sogenannte Maulkorbgesetz, das die Regierung derzeit durchs Parlament bringen will. Es sieht Strafen für Richter vor, die die Gerichtsreform kritisieren – oder gar jüngst berufene Richter in Frage stellen. Über die im Gesetz vorgesehenen Sanktionen sollte auch die Disziplinarkammer entscheiden.
Heute und morgen wird sich das Oberhaus des Parlaments, der Senat, mit dem Gesetz beschäftigen – und es voraussichtlich verwerfen. Denn der Senat ist seit der Parlamentswahl im vergangenen Oktober in der Hand der Opposition. Der Senatspräsident Tomasz Grodzki von der rechtsliberalen "Bürgerplattform" sagte gegenüber Radio Zet:
"Dieses Gesetz betrifft in letzter Konsequenz nicht nur die Richter, sondern jeden, der mit dem Gerichtswesen zu tun hat. Der Maulkorb, den die Richter bekommen, beeinträchtigt die unabhängige Justiz und damit jeden Bürger, auch wenn er sich für diese Dinge nicht interessiert."
Parlament kann Senatsentscheidung gegen Maulkorbgesetz kippen
Das Gesetz kehrt nach der Entscheidung des Senats in den Sejm, das Unterhaus, zurück. Dort kann die PiS-Mehrheit die Einwände des Senats schlicht in den Papierkorb werfen. Eine einstweilige Verfügung des Europäischen Gerichtshofs allerdings könnte die polnischen Regierung nicht so einfach übergehen.