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Polen
Gegen ein totales Abtreibungsverbot

Die polnische Gesellschaft ist konservativer geworden. Das zeigt sich auch an der Zustimmung zu einer Verschärfung des Abtreibungsrechts. Frauenrechtlerinnen wehren sich mit einem eigenen Gesetzentwurf dagegen, dass Abtreibungen vollständig verboten werden.

Von Florian Kellermann |
    Demonstration gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen.
    Demonstration im April 2016 gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen. (AFP / WOJTEK RADWANSKI )
    In Polen vergeht kaum eine Woche ohne eine Debatte über Abtreibung. Auch einzelne Fälle werden monatelang diskutiert, so der eines Kindes, das schwer behindert zur Welt gekommen wäre. Ein schockierendes Video vom März zeigt, dass das Kind nach der Abtreibung noch lebte. "Das unschuldige Kleine weinte eine Stunde, bis es endlich starb", schrieb ein katholischer Publizist.
    Diese Geschichte, die rechtsgerichtete Medien bis heute immer wieder erzählen, hat den überwältigenden Erfolg der Abtreibungsgegner möglich gemacht: Fast eine halbe Million Unterschriften sammelten sie für ein grundsätzliches Abtreibungsverbot. Das Gesetzprojekt liegt dem Parlament vor. Aktivisten, die sich für Frauenrechte engagieren, sind entsetzt, so Wanda Nowicka:
    "Die Situation ist tatsächlich sehr ernst. Es ist fast sicher, dass unser Abtreibungsgesetz verschärft wird, obwohl wir ohnehin eines der schärfsten Abtreibungsgesetze in Europa haben. Frauen werden der Gefahr ausgesetzt, ihr Leben zu verlieren, wenn es durch die Schwangerschaft bedroht ist. Das ist schwer vorstellbar, aber traurige Wirklichkeit."
    Keine Ausnahmen mehr für Abtreibungen
    Die Abtreibungsgegner wollen alle drei Ausnahmefälle abschaffen, bei denen ein Schwangerschaftsabbruch heute noch möglich ist: nach einer Vergewaltigung, wenn das Kind schwer behindert sein wird oder wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist. Die Ärzte sollen der Mutter zwar medizinisch helfen, aber nicht vorsätzlich die Schwangerschaft abbrechen dürfen.
    Solche Initiativen, ebenso wie lautstarke Proteste vor Kliniken, die Abtreibungen vornehmen, hätten das Meinungsbild in Polen immer weiter nach rechts verschoben, sagt der Soziologe Slawomir Mandes von der Universität Warschau:
    "Nach der Wende, 1990, waren 60 Prozent der Polen für ein Recht auf Abtreibung, 40 waren dagegen, heute ist es umgekehrt. Die Abtreibung ist von verschiedenen politischen Parteien immer wieder aufgegriffen worden. Sie wird benutzt, um sich vom politischen Gegner zu abzugrenzen."
    Tatsächlich ist die polnische Gesellschaft insgesamt konservativer geworden. Bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr schaffte es keine linksgerichtete Partei in den Sejm.
    Auch Befürworter legen Gesetzentwurf vor
    Trotzdem wollen sich diejenigen, die für Frauenrechte eintreten, nicht geschlagen geben. Auch sie werden heute einen Gesetzentwurf ins Parlament einbringen. Dafür haben sie 130.000 Unterschriften gesammelt, immerhin 30.000 mehr als notwendig.
    Das Projekt sieht eine Fristenlösung vor, das Abtreibungsrecht in Polen also liberaler machen. Bis zur 12. Schwangerschaftswoche soll Abtreibung grundsätzlich erlaubt sein, so das Projekt. Wanda Nowacka:
    "Es ist fast so, als ob wir auf eine rabenschwarze Nacht zugehen, als ob sie uns unserer Rechte noch mehr berauben wollen. Aber darüber dürfen wir nicht vergessen: Wir müssen darum kämpfen, dass wir über uns selbst bestimmen können, wie Tschechinnen, Französinnen, Deutsche und die meisten anderen Europäerinnen. Das ist unser Ziel, für das wir auch in diesem schlimmsten Moment kämpfen müssen."
    Der liberale Entwurf soll ein Gegengewicht zu den Maximal-Forderungen der radikalen Abtreibungsgegner schaffen. Viel ausrichten dürfte er jedoch nicht. Die Frauenrechtler könnten es als Erfolg verbuchen, falls das bestehende, restriktive Gesetz erhalten bliebe. Dafür sind, wie Umfragen zeigen, die meisten Polen.
    Verschärfter Kompromiss wahrscheinlich
    Sehr wahrscheinlich jedoch wird die Regierung dem Druck der katholischen Kirche nachgeben und das Gesetz verschärfen - durch einen neuen, noch restriktiveren Kompromiss. Er könnte so lauten: Abtreibung bleibt legal nach einer Vergewaltigung und wenn die Mutter in Gefahr ist. Schwer behinderte Kinder jedoch sollen Schwangere künftig austragen müssen.
    Für die polnischen Konservativen werde das ein Pyrrhussieg sein, glaubt Adam Zandberg, Vorsitzender der außerparlamentarischen linken Partei Razem.
    "Das wird eine Gegenreaktion hervorrufen, die sehr stark sein wird. In einigen Jahren werden wir in Polen dann ein normales Abtreibungsrecht wie in den meisten europäischen Ländern bekommen. Der Staat wird sich nicht mehr anmaßen, moralische Entscheidungen oder ein Glaubenssystem seinen Bürgern aufzuzwingen."
    Doch selbst wenn das so kommen sollte: Zunächst werde ein schärferes Recht noch mehr Frauen als bisher zu illegalen, geheimen und damit lebensgefährlichen Abtreibungen zwingen, warnen Frauenorganisationen.