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Polen hat seine Rolle als Kiews Fürsprecher aufgegeben

Ursprünglich sollte die Fußball-EM 2012 Polen und die Ukraine noch enger aneinanderbinden. Lange galt Polen als Anwalt des Nachbarlands. Doch nicht erst seit dem Fall Julia Timoschenko sind viele Polen enttäuscht darüber, dass die Demokratie in der Ukraine trotz jahrelanger Unterstützung nicht vorankommt.

Von Florian Kellermann | 01.06.2012
    Polen beobachtet entsetzt, wie die ukrainische Führung mit den Oppositionspolitikern umgeht, allen voran mit Julia Timoschenko. Denn das Land setzte sich wie kein Zweites für die Demokratie in der Ukraine ein, auch für die Annäherung des Landes an die Europäische Union. In Warschau wertet man es als eigenen Erfolg, dass die EU im April ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine vereinbarte. Der Vertrag könnte, so glauben viele Polen, langfristig zu einem EU-Beitritt der Ukraine führen.

    Doch die autoritäre Amtsführung des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch mache es immer unwahrscheinlich, dass der Vertrag auch umgesetzt werde, so der Ukraine-Experte Adam Balcer:

    "Es stellt sich die Frage, ob wir nicht schon zu lange mit Janukowitsch verhandelt haben. Das Assoziierungsabkommen ist ausgehandelt, aber weiter dürfen wir auf keinen Fall gehen. Den Ratifizierungsprozess dürfen wir nicht beginnen. Denn die Politik, Janukowitsch immer eine Mohrrübe vor die Nase zu halten, damit er weiterläuft, ist gescheitert. Uns in Polen wird langsam klar, dass wir an einem toten Punkt angelangt sind."

    Deshalb versuchen die polnischen Ukraine-Experten, den Blick in andere Richtung zu lenken - auf die ukrainische Parlamentswahl im Oktober. So wie Jan Pieklo, der Vorsitzende der Stiftung für polnisch-ukrainische Zusammenarbeit. Er fürchtet, dass Janukowitsch das Rad der Geschichte zurückdrehen wird. Dass der Präsident nicht mehr Wert auf die demokratischen Standards legt, die bei seiner eigenen Wahl im Jahr 2010 noch in der Ukraine galten.

    "Die kommenden Wahlen werden schon deshalb nicht fair sein, weil wichtige Oppositionspolitiker im Gefängnis sitzen, nicht nur Julia Timoschenko. Aber die Staatsmacht wird versuchen, auch den Wahlvorgang selbst zu manipulieren - nach dem Muster der jüngsten Kommunalwahlen. Da wurden populäre Kandidaten bedroht, damit sie in Janukowitschs Partei eintraten, in manchen Regionen wurden Oppositionsparteien gar nicht zugelassen. Wir müssen deshalb so bald wie möglich Beobachter in die Ukraine schicken, die schon lange vor der Wahl solche Manipulationen registrieren."

    Das wird nicht einfach. Jan Pieklo reist von Konferenz zu Konferenz, um für Interesse an der Ukraine zu werben. Aber selbst in Polen ist das schwer: Im Land, das sich 2004 noch so für die orangefarbene Revolution begeisterte, ist Gleichgültigkeit eingekehrt. Nicht nur in der Politik - auch Nicht-Regierungsorganisationen haben die Hoffnung auf eine demokratische Ukraine beinahe verloren.

    "Die Menschen sind müde und frustriert, dass sich ihre Investitionen in die Ukraine als vergeblich herausgestellt haben. So scheint es ihnen zumindest. Da besteht die Gefahr, das Mittel, die eigentlich für die Ukraine bestimmt waren, nun woanders eingesetzt werden - in Moldawien oder Georgien etwa. Das sind zwar viel kleinere Länder, aber sie gehen an die Zusammenarbeit mit der EU deutlich enthusiastischer heran."

    Der Westen müsse seine Haltung zur Ukraine ändern, meint Pieklo. Er müsse künftig den Aufbau der Demokratie von unten unterstützen - statt wie bisher der Regierung Geld dafür zu geben, dass sie ihre Standards an die EU angleicht. Der Osteuropa-Experte Balcer fordert ein Umdenken auch in Polen.

    "Unsere Unterstützung ist bisher vor allem rhetorischer Art. Wir sollten Investitionen in dem Nachbarland fördern - vergessen wir nicht, dass dort noch immer Russland der mit Abstand größte Handelspartner ist. Und warum vergeben wir nicht viel mehr Stipendien an ukrainische Studenten? Auch unsere Entwicklungshilfe müssen wir steigern, wenn wir aktive Außenpolitik betreiben wollen. Möglich wäre das: Portugal gibt für Entwicklungshilfe pro Einwohner fast viermal so viel aus wie wir - und das ist auch kein besonders reiches Land."