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Polen
Keine Gegendemos mehr

Die konservative polnische Regierung organisiert einmal im Monat eine Demonstration zur Erinnerung an den Flugzeugabsturz von Smolensk - begleitet vom Protest der Opposition. Solche regelmäßig stattfindenden Demonstrationen haben nach einem neuen Gesetz in Zukunft Priorität, Gegendemos sind verboten.

Von Henryk Jarczyk |
    Einmal im Monat organisiert die regierende PiS-Partei in Polen eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Flugzeugabsturzes von Smolensk 2006 - bisher stets begleitet von Protest von Regierungskritikern.
    Einmal im Monat organisiert die regierende PiS-Partei in Polen eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Flugzeugabsturzes von Smolensk 2006 - bisher stets begleitet von Protest von Regierungskritikern. (picture alliance/ dpa/ Jan A. Nicolas)
    Regierungskritische Juristen in Polen sind schier entsetzt: Wer regelmäßig eine Demonstration abhält, wie etwa die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" um beispielsweise an den Tag des Flugzeugabsturzes von Smolensk zu erinnern, braucht in Zukunft nicht zu fürchten, dabei von anderen Gruppierungen gestört zu werden. Das ist zumindest die Konsequenz des jüngsten Urteils des Verfassungsgerichts. Mit rechtsstaatlichen Prinzipien habe das neue Demonstrationsgesetz nicht das Geringste zu tun, argumentiert hingegen der Sprecher des nationalen Richterrates, Waldemar Zurek:
    "So kann man in einem demokratischen Land das garantierte Versammlungsrecht nicht behandeln. Die Bürger haben das Recht, öffentlich zu demonstrieren. Das ist ein heiliges Recht in jeder Demokratie."
    Innenminister: mehr Ruhe und Ordnung auf den Straßen
    Argumente, die der Initiator des neuen Gesetzes, Mariusz Blaszczak, blanken Unsinn nennt. Das Demonstrationsrecht - argumentiert der Innenminister – musste in Polen dringend reformiert werden, um künftig mehr Ruhe und Ordnung auf den Straßen zu garantieren:
    "Diese Gesetzesänderung wird Problemen vorbeugen, die mit potentieller Konfrontation zwischen zwei manifestierenden Gruppen verbunden wären. Es ist also ein Gesetz um Konflikte im Vorfeld zu verhindern und damit auch zu lösen!"
    In Zukunft wird also nur eine Interessensgruppe ihren Protestzug abhalten können. Sowohl spontane Kundgebungen als auch im Vorfeld angemeldete Gegendemonstrationen sind somit grundsätzlich ausgeschlossen. Und zwar in einer Entfernung von mindestens 100 Metern.
    Der EU-Menschenrechtskommissar spricht in diesem Zusammenhang von einer unnötigen Einschränkung der öffentlichen Versammlungsfreiheit.
    Richter will neues Gesetz nicht anwenden
    Der polnische Richter Waldemar Zurek geht sogar einen Schritt weiter und kündigt an, das neue Demonstrationsgesetz bei seiner Urteilsfindung nicht anzuwenden:
    "Ich werde mich an das neue Gesetz nicht halten. Ich betrachte den Urteilspruch des Verfassungsgerichts als non existent, wie wir Juristen sagen. Ich werde also gemäß der meiner Ansicht nach weiterhin gültigen Verfassungsrechte je nach Fall entscheiden, ob das neue Gesetz die bürgerliche Versammlungsfreiheit verletzt oder auch nicht."
    Eine Haltung, die den schwelenden Streit zwischen Regierung und Gerichtsbarkeit weiter verschärfen dürfte. Zumal nach Ansicht regierungskritischer Juristen das Verfassungsgericht von Jaroslaw Kaczynski größtenteils auf Parteilinie gebracht worden sei und daher mittlerweile Entscheidungen treffe, die als höchst zweifelhaft betrachtet werden müssten.
    Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass selbst der sonst eher zu Gunsten der Regierung handelnde Staatspräsident Andrzej Duda bei dem neuen Demonstrationsgesetz große Bedenken zu haben scheint. Ein absolutes Novum in dem von Jaroslaw Kaczynski dominierten und bisher reibungslos funktionierenden Machtsystem.