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Polen
Missbrauchsfilm sorgt für Aufregung

Der polnische Regisseur Tomasz Sekielski hat einen Dokumentarfilm gedreht, der das Land in Atem hält. Sein Thema: Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche. Ganz nah dran, nicht nur an den Opfern, sondern auch an den Tätern, die mit versteckter Kamera gefilmt werden.

Von Florian Kellermann |
Polnische "Frühlings"-Aktivisten zeigen den Film "Sag es niemandem" auf der Fassade des Hauses von Erzbischof Slawoj Leszek Glodz in Danzig
Polnische "Frühlings"-Aktivisten zeigen den Film "Sag es niemandem" auf der Fassade des Hauses von Erzbischof Slawoj Leszek Glodz in Danzig (imago images / Eastnews)
Der Wahlkampf vor der Europawahl in Polen schien bis vor kurzem in festen Bahnen zu laufen. Die rechtsliberale Oppositionspartei "Bürgerplattform" warf der Regierung vor, das Land nach und nach aus der EU zu führen. Unter anderem durch den Streit mit der EU-Kommission über eine Justizreform. Die rechtskonservative Regierungspartei PiS wies den Vorwurf zurück, mit dem Slogan: "Polen, das Herz Europas".
Doch dann, am vergangenen Samstag, erschien der Film "Sag es niemandem" im Internet. Pawel Spiewak, Soziologe an der Universität Warschau:
"Er stellt ein Problem dar, vor allem für die PiS. Sie hat ihre Rhetorik sofort geändert. Aber im Kern kann sie gar nicht abrücken von ihrem Konzept, dass sie und die Kirche eng zusammengehören. Und umgekehrt: Viele nationalkatholische Geistliche akzeptieren den PiS-Parteivorsitzenden als ihr Oberhaupt."
Der Film ist also ein Schlag für die katholische Kirche und die Partei PiS. Er stellt Kindesmissbrauch von Geistlichen schonungslos dar. Kaum jemand in Polen hätte erwartet, dass er so populär werden würde: Inzwischen ist er im Internet über 14 Millionen Mal aufgerufen worden. Der Film zeigt gebrochene Opfer, reuige Täter und weniger reuige - und Kirchenobere, die solche Fälle systematisch vertuschen.
Eine Gesetztesinitiative in Windeseile
Vergangene Woche noch erklärte der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski: Jeder Angriff auf die Kirche sei ein Angriff auf Polen. Vereinzelt war das auch über den Film "Sag es niemandem" zu hören. Doch Jaroslaw Kaczynski hält sich mit Kritik an dem Film zurück. Vielmehr hat er in Windeseile eine Gesetzesinitiative präsentiert:
"Wir haben eine Änderung des Strafrechts vorbereitet. Solche Verbrechen sollen deutlich schärfer bestraft werden als bisher, mit bis zu 30 Jahren Gefängnishaft. Besonders scharf werden Leute beurteilt, denen Kinder anvertraut wurden, und das betrifft auch Pfarrer."
Die Regierung hat das Gesetz abgesegnet und im Parlament eingereicht. Der Sejm wird sich voraussichtlich schon heute damit befassen. Doch fraglich ist, ob die Wähler es für die richtige Reaktion halten. Denn es gibt auch Kritik, so von der Kulturwissenschaftlerin Katarzyna Kasia:
"Die Strafen zu erhöhen, ist sinnlos. Denn der Film zeigt ja, dass die Kirche ihre Bediensteten so gut schützt, dass ordentliche Gerichte gar nicht an sie herankommen."
Initiative fordert Gesetzesänderung zur Verjährung
Die rechtsliberale "Bürgerplattform" schlägt ebenfalls eine Gesetzesänderung vor. Sie will, dass Kindesmissbrauch nicht mehr verjähren kann. Auch dieser Gedanke ist umstritten. Denn im polnischen Recht gibt es bisher nur zwei Straftaten, die nicht verjähren: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Auch die "Bürgerplattform" scheut sich indes, die herausragende Stellung der katholischen Kirche in Polen zu kritisieren.
Das tut nur - und schon seit Monaten - die linksliberale Partei "Frühling". Sie ist erst in diesem Jahr gegründet worden, Umfragen sahen sie für die EU-Wahl bisher bei rund sieben Prozent. Durch den Film könnte sie spürbaren Aufwind bekommen. Denn die Partei fordert eine strikte Trennung von Staat und Kirche. Und argumentiert: Das werde dazu führen, dass Staatsanwaltschaft und auch Opfer Geistliche künftig nicht mehr als unantastbar betrachten.
Um das zu unterstreichen, haben Mitglieder der Partei den Film schon auf die Residenz eines konservativen Erzbischofs projiziert.