Redzikowo ist aufpoliert worden. Die Wege in der einförmigen Siedlung wurden im vergangenen Jahr neu gepflastert. Spielplätze wurden angelegt und Büsche gepflanzt, bezuschusst mit Geldern der Europäischen Union.
Ein 42-Jähriger Lehrer kommt gerade mit Frau und Kind von einem Sonntagsausflug zurück:
"Hier nebenan gibt es einen kleinen See, einen großen Wald. Es ist nicht weit zu einem Spaßbad, zu einem Eisstadion und einer Kegelbahn. Das ist ein attraktiver Ort zum Wohnen."
Die Siedlung Redzikowo besteht aus schmucklosen, fünfstöckigen Häusern mit Eigentumswohnungen. Im kommunistischen Polen wohnten hier die Angestellten des nahen Militärflugplatzes. Redzikowo ist strategisch günstig gelegen, in Pommern, nur 30 Kilometer von der Ostsee entfernt.
Eigentumswohnung neben der US-Raketenbasis
In den vergangenen Jahren sind viele junge Familien aus der nächstgrößeren Stadt, aus Slupsk, hierhergezogen. Wie der Lehrer, der seine Entscheidung heute aber bereut:
"Zwei Jahre nach dem Kauf habe ich erfahren, dass hier etwas entsteht – eine Raketenbasis. Wenn ich das gewusst hätte! Es hätte doch eine Debatte geben müssen, ob die Bewohner hier das wollen. Ich hab hier investiert – und jetzt setzen sie mir etwas vor die Nase, das gefährlich und wohl auch gesundheitsschädlich ist."
Der Wohnungsbesitzer zeigt auf einen neuen Zaun hundert Meter weiter, der am oberen Rand mit Stacheldraht gesichert ist. Wo früher der Militärflughafen war, entsteht gerade eine US-Militärbasis. Von hier aus sollen Abfangraketen gestartet werden können. Gefährlich sei das, meint der Lehrer, weil Redzikowo damit zum ersten Ziel für Feinde der USA werde.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reihe "NATO – eine Frage der Sicherheit".
Ein fast 80-Jähriger, der gerade am Spielplatz Sand für seine Pflanzen stibitzt hat, pflichtet ihm bei. Der Rentner hat früher auf dem Militärflughafen gedient, bei der Treibstoffversorgung.
"Ich bin sehr erstaunt, dass Polen eine fremde Militärmacht eingeladen hat. Wir wissen überhaupt nicht, was in der Basis vor sich geht. Sehen Sie das Storchennest dort? Seit drei Jahren schon kommen keine Störche mehr. Da ist doch schon irgendein Radar am Werk oder etwas dergleichen."
Den USA geht es hier gar nicht um Russland, sagen sie
Die US-Raketenbasis in Polen sollte schon vor mehr als zehn Jahren entstehen. Doch der damalige US-Präsident Barack Obama hörte auf den Protest aus Russland. Die russische Enklave Kaliningrad liegt nur 200 Kilometer Luftlinie von Redzikowo entfernt, und Russland sieht sich bedroht von den US-Raketen.
Dabei habe die Basis ja eine ganz andere Aufgabe, sagt der derzeitige Kommandeur des US-Standorts, Captain Eric Williams:
"Die Raketen-Basis gehört zu unserem Raketen-Abwehrsystem mit dem Namen Aegis. Es soll Kurz- und Mittelstreckenraketen abfangen. Vor allem bei Angriffen aus dem Nahen Osten, sagen wir, aus dem Iran."
Eric Williams verabredet sich zum Interview mit dem Deutschlandfunk nicht auf der Basis selbst, sondern in einem Café in der Innenstadt von Slupsk, auf deutsch Stolp. Die Stadt mit knapp 100.000 Einwohnern liegt acht Kilometer weiter westlich. Williams gehört der Marine an, wie auch die knapp 100 anderen US-Soldaten in Redzikowo. Denn das Raketen-Abwehrsystem ist jenem, das auf US-Kriegsschiffen installiert ist, sehr ähnlich.
Wann die Basis fertig wird, kann Williams nicht sagen, auch über Russland spricht er lieber nicht. Dafür über das gute Verhältnis zu Polen:
"Die Leute halten an auf der Straße, wenn sie mich sehen, wollen ein Foto mit mir machen. Ich mag das – an einem Ort zu sein, wo Du willkommen bist. Auch unsere Weihnachtsaktion war ein großer Erfolg. 15 Soldaten haben Weihnachten in polnischen Familien verbracht. Sehr viele Familien hatten sich gemeldet."
Auch mit Schulen und mit einem Waisenhaus halte die US-Marineeinheit ständigen Kontakt.
Schreckt die Basis Investoren ab?
Schön und gut, meint der Vize-Bürgermeister von Slupsk Marek Golinski. Der parteilose Politiker unterstützt die enge militärische Zusammenarbeit mit den USA, wie auch alle wichtigen Parteien im Sejm. Alle polnischen Regierungen richteten sich bisher in Verteidigungsfragen am Washington aus. Aber die Stadt Slupsk leide unter der US-Militärbasis, sagt Golinski. Er tritt ans Fenster seines Zimmers im neugotischen Rathaus.
"Ohne die Militärbasis könnten wir viel leichter Investoren anlocken. Natürlich ist es gut, dass die Basis Europa schützt. Aber wie kann es sein, dass das auf unsere Kosten geschieht und niemand uns das entschädigen will?"
Der Vertrag zwischen Polen und den USA sieht vor, dass sich im Umkreis von vier Kilometern um das Militärgelände herum praktisch kein Gewerbe ansiedeln darf. Und im weiteren Umkreis gibt es erhebliche Einschränkungen. Da entschieden sich Investoren lieber für andere Standorte, meint Golinski. Eine halbe Milliarde Euro verliere Slupsk in den kommenden 25 Jahren, zitiert der Bürgermeister aus einer Analyse der Kommune.
Am Standort der Raketenbasis, die gerade entsteht, in Redzikowo und im nahen Slupsk, macht sich also Kopfzerbrechen breit. Anders die Stimmung in Polen insgesamt. Deutlich mehr als die Hälfte wünscht sich die Stationierung von US-Soldaten als Absicherung gegen Bedrohung aus dem Osten.