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Polen
Neue Reparationsforderungen an Deutschland

Aus Polens nationalkonservativer Regierungspartei kam vor einem Jahr die Forderung, Deutschland müsse noch Reparationen für den Zweiten Weltkrieg bezahlen. Zwei Drittel der Polen sind laut Umfragen dafür, Reparationen zu verlangen. Ein Anwalt will Deutschland mit Klagen von Kriegsopfern überziehen.

Von Florian Kellermann |
    Hausruinen in der polnischen Hauptstadt Warschau im Jahre 1945. Im Vordergrund die umgestürzte Säule des Denkmals von König Sigismund III.
    Zweiter Weltkrieg - Zerstörtes Warschau (dpa-Bildfunk / Prasa)
    Anwalt Stefan Hambura vertritt einen Mandanten aus Polen, der unter der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg leidet, obwohl er damals noch gar nicht geboren war: "Er ist der Sohn eines Gefangenen in verschiedenen deutschen Konzentrationslagern. An seinem Vater wurden medizinische Experimente durchgeführt. Er ist deshalb mit einer Hirnschädigung, einer Zerebralparese geboren worden und ist körperlich eingeschränkt. Das ist das sogenannte Syndrom der zweiten Generation. Der Zweite Weltkrieg hatte Auswirkungen auch auf die Familien von unmittelbaren Opfern, das ist wissenschaftlich anerkannt."
    Deshalb hat Stefan Hambura gestern für seinen Mandanten Klage bei einem Warschauer Gericht eingereicht. Sie richtet sich gegen die Bundesrepublik. Deutschland müsse in Polen noch weit mehr Wiedergutmachung leisten als es das bisher getan hat, meint Hambura.
    Überall in Polen sollen Klagen eingereicht werden
    Vor kurzem hat der polnische Gesetzgeber entschieden, dass die Kläger in solche Fällen keine Gerichtsgebühren mehr bezahlen müssen. Deshalb wolle er nun eine Lawine in Gang setzen, sagt der Anwalt: "Die nächste Klage wird von einer 90-Jährigen kommen, die im Warschauer Aufstand als Sanitäterin tätig war. Wir schaffen eine Internetseite mit Informationen. Wir wollen erreichen, dass solche Klagen überall in Polen eingereicht werden."
    Hambura geht es nicht nur um Einzelfälle. Er will mit seiner Aktion auch erreichen, dass die Debatte über mögliche deutsche Kriegsreparationen für Polen an Schärfe gewinnt.
    Die polnische Regierung hat bisher zwar offiziell noch keine Forderungen gestellt. Aber einige Vertreter der rechtskonservativen Regierungspartei PiS nannten bereits mögliche Summen - mehrere hundert Milliarden Euro. Ein Ausschuss des Parlaments schätzt derzeit den Schaden, der Polen im Zweiten Weltkrieg entstanden ist, und prüft mögliche Ansprüche.
    In dieser Woche fand in Warschau auch die erste wissenschaftliche Konferenz zu dem Thema statt, organisiert vom West-Institut, einer staatlichen Einrichtung. Die Frage, ob Deutschland seine Schuld beglichen habe, beschäftige weite Teile der Gesellschaft, meint Justyna Schulz, Direktorin des West-Instituts: "Die meisten Polen denken, das ist nicht gerecht gelaufen. Der Unterschied liegt nur darin, dass die einen meinen, man soll das lassen, einen Strich darunter machen. Und die anderen sagen, nein, wir sollen darüber sprechen und versuchen, das irgendwie noch aufzufangen."
    Immer wieder wurde es hitzig bei der Konferenz. Etwa, wenn Referenten die Ansicht vertraten, dass die polnischen Forderungen nicht durchsetzbar seien. Denn die Bundesregierung hält die Frage von Reparationen für längst erledigt. Berlin beruft sich dabei unter anderem auf einen Verzicht, den die Regierung des kommunistischen Polen erklärte.
    In einem Punkt waren sich alle Referenten der Konferenz einig: Die Debatte werde die deutsch-polnischen Beziehungen verändern, vor allem, wenn Polen tatsächlich offiziell Reparationen fordern sollte. Die einen mahnen, dass der dann unausweichliche Streit beiden Partner schaden würde. Die anderen, vor allem konservative Kommentatoren in Polen, sehen es positiv: Der Versöhnungskitsch der vergangenen Jahre wäre damit beendet, wie einer der teilnehmenden Politologen erklärte.