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Polen nimmt Abschied von bedingungsloser Gefolgschaft

Mit großem Jubel sind die Polen 1999 der NATO beigetreten. Der Beitritt zur westlichen Verteidigungsgemeinschaft schien geeignet, die Souveränität des so oft von seinen Nachbarn aufgeteilten Landes ein für alle Mal abzusichern. Inzwischen ist es aber deutlich leiser geworden um die NATO. Jan Pallokat berichtet.

    Häufiger wird in Polen die Frage gestellt, ob die in vielen Fragen zerstrittene Gemeinschaft überhaupt noch in der Lage ist, die aus polnischer Sicht wichtigen Entscheidungen zu treffen. Im Ergebnis hat Polen sich wiederholt auch außerhalb der NATO engagiert, und dabei traditionell eng an die USA angelehnt, einschließlich der Beteiligung am Irak-Krieg. Dort stellte Polen von Beginn an das drittgrößte Truppenkontingent hinter den USA und Großbritannien. Jaroslaw Kaczysnki, seinerzeit noch Premierminister, resümierte:

    " Wir haben dank unseres Irak-Einsatzes in den USA sehr viel gewonnen. Wir wurden zu einem Staat, den man wahrnimmt. Die USA sind heute der einzige Staat, der uns wirklich helfen kann, wenn es darauf ankommt."

    Dabei war die enge Anbindung an die USA keineswegs eine Erfindung der Kaczynski-Brüder; auch ihre postkommunistischen Vorgänger suchten die Nähe Washingtons - auch zum Preis, westeuropäische Partner zu verstimmen. Unvergessen bleibt etwa die Entscheidung Polens, amerikanische F-16-Kampfflugzeuge den Eurofightern vorzuziehen. Im Gegenzug versprachen die Amerikaner einer Investitionsprogramm namens Offset. Indes sind inzwischen die Zweifel gewachsen, ob sich die US-freundlichen Schritte tatsächlich ausgezahlt haben. Ein Student in Warschau:

    " Sie haben uns "sehr gute" Flugzeuge aufgezwungen, die in Wahrheit ständig kaputt sind. Es sollte diese Wirtschaftshilfen im Rahmen von Offset geben, und natürlich ist daraus auch nichts geworden. Es missfällt wir, dass wir nicht Partner auf gleicher Ebene sind. Wir schätzen die USA als wichtigen außenpolitischen Partner, aber sie sehen uns eher auf niedrigem Niveau. Das gefällt mir nicht."

    Unter der Regierung Kaczynski hatte sich die US-Anlehnung noch verstärkt, auch als Kehrseite der eher feindlichen Politik der Brüder Kaczynski gegenüber Deutschland oder Russland - um gleichsam zu zeigen, man stehe keinesfalls allein da. Dies hat Premier Kaczynski allerdings den Vorwurf eingetragen, eine allzu gehorsame "Politik auf den Knien" gegenüber den USA zu betreiben, und die Sorge, eher verstärkt. Die Regierung Tusk wagt denn auch eine vorsichtige Distanzierung. Zwar hält Polen nach wie vor die USA gerade auf dem Gebiet der Sicherheit für den unverzichtbaren Partner Nummer eins. Aber zum Nulltarif will Premier Tusk die polnische Hilfe nicht mehr anbieten. Etwa beim umstrittenen US-Plan, in Polen Abschussbasen des Raketenschutzschildes zu errichten: Wenn ihr das wollt, müsst ihr im Gegenzug einen substanziellen Beitrag zur Modernisierung der polnischen Armee leisten, sagt Premier Tusk.

    "Es wäre doch gut, von den Amerikanern für das Raketenschutzschild etwas Konkretes zu bekommen. Damit es nicht wieder so wird wie beim Irak-Einsatz, der bei uns sehr gemischte Gefühle hinterlassen hat. Ich habe mittlerweile gelernt, dass Außenpolitik ein großer Handel ist. Wenn die Amerikaner unsere Hilfe wollen, möchten wir auch ihre Hilfen in Anspruch nehmen."

    Und: Noch dieses Jahr beendet die polnische Regierung den Irak-Einsatz, der von vorigen Regierungen immer wieder verlängert worden war. Gleichzeitig baut das Land das Afghanistan-Engagement aus und will dort mehr direkte Verantwortung übernehmen. Verteidigungsminister Bogdan Klich:

    "Wir erarbeiten zur Zeit eine neue Strategie unserer Auslandseinsätze. Hier werden gewisse Prioritäten neu gesetzt werden. Eine der Prioritäten: Wir wollen die Mehrheit unserer Einsätze im Rahmen internationaler Missionen sehen, insbesondere im Rahmen von NATO und EU, denn das sind die Stützen unserer Sicherheit. Das schließt kurzfristige Koalitionen nicht aus, aber der Schwerpunkt liegt auf NATO und EU."

    Die polnische Bewunderung Amerikas als Garant von Freiheit und Demokratie sitzt tief. Schon im 18. Jahrhundert kämpfte der polnische Nationalheld Tadeusz Kosciuszko nicht nur gegen die polnischen Teilungsmächte Preußen und Russland, sondern auch an der Seite George Washingtons für die amerikanische Unabhängigkeit. Das Bild des modernen Amerika ist in Polen weniger durch düstere Kapitel wie den Vietnam-Krieg geprägt, als durch den straff antikommunistischen Kurs unter Ronald Reagan: In der Zeit des Kriegsrechts fühlten viele Polen im US-Hardliner den vielleicht einzigen Verbündeten, der die Kraft haben könnte, die sowjetkommunistische Dominanz zu brechen. Insofern werden die USA wohl auch künftig mit Polen einen Partner in Europa haben, auf dessen enge Kooperation sie rechnen können. Die Zeiten bedingungsloser Gefolgschaft aber scheinen vorbei zu gehen.