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Parlamentswahl in Polen
Ein Land im Streit um die richtige Richtung

Am 15. Oktober wählt Polen ein neues Parlament. In Umfragen liegt die konservative Regierungspartei PiS vorn, die Opposition um Donald Tusk könnte durch Bündnisse dennoch an die Macht kommen - hätte es dann aber vermutlich schwer.

    Menschen halten bei der Demo "Marsch der Millionen Herzen" Polen- und EU-Flaggen hoch.
    Anfang Oktober demonstrierten mehrere Hunderttausend Polen gegen die PiS-Regierung. Dennoch liegt die Partei in Umfragen immer noch vorn, das Land ist gespalten. (picture alliance / NurPhoto / Beata Zawrzel)
    Am 15. Oktober wählt Polen ein neues Parlament (Sejm). Seit 2015 regiert die nationalkonservative PiS (Prawo i Sprawiedliwość/Recht und Gerechtigkeit) von Jarosław Kaczyński das Land. Der prominenteste und aussichtsreichste Kandidat der Opposition, Donald Tusk von der Bürgerplattform (KO), war bereits zwischen 2007 und 2014 Ministerpräsident und von 2014 bis 2019 EU-Ratspräsident.

    Wie ist die Bilanz der PiS-Regierung?

    Die Bilanz der vergangenen acht Jahre ist durchwachsen: Einerseits machte die PiS sich mit Sozialreformen beliebt, wie etwa der Senkung des Renteneintrittsalters (nachdem die Tusk-Regierung es angehoben hatte), auch der Mindestlohn und das Kindergeld wurden erhöht. Andererseits fällt die PiS-Regierung durch Härte gegenüber Geflüchteten und LGBTQ-Feindlichkeit auf. Immer wieder kommt es - nicht nur deshalb - zu Konflikten mit der Europäischen Union.
    Die polnische Regierung steht international in der Kritik, den Rechtsstaat geschwächt zu haben: So hat die PiS mit einem Justizumbau das Verfassungsgericht unter ihre Kontrolle gebracht. Dieses schränkte 2020 das ohnehin strenge Abtreibungsrecht stark ein und verbot damit Schwangerschaftsabbrüche weitgehend. Das führte zu landesweiten, langen Protesten, die vor allem von Frauen getragen wurden.
    Außerdem wurde das Amt des Justizministers mit dem des Generalstaatsanwalts vereint, also ein Teil der Exekutive mit der Judikative verschmolzen. Der Europäische Gerichtshof urteilte, die Reformen verstießen gegen EU-Recht. Die EU-Kommission klagte mehrfach gegen die Reformen und hält wegen der gefährdeten Unabhängigkeit der Justiz 35 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbau-Fonds zurück.
    Im Juli bescheinigte die EU-Kommission Polen zudem gravierende Mängel bei der Korruptionsbekämpfung. Seit 2020 gebe es kein Anti-Korruptionsprogramm mehr, lautete die Kritik. Im September kam dann ein Schmiergeld-Skandal ans Licht: Medien berichteten, dass polnische Beamte mehrere Hunderttausende Visa für den Schengen-Raum an Antragsteller etwa aus Asien verkauft haben sollen.
    Auch die Pressefreiheit in Polen wird durch die PiS eingeschränkt: Sie hat das Staatsfernsehen TVP zu einem Propagandasender im Sinne der Regierung umfunktioniert. Eine regierungskritische Demonstration Anfang Oktober 2023 wurde vom Sender kaum beachtet, während bei der TV-Debatte der Spitzenkandidaten die Moderation sehr der PiS zugeneigt war.
    Eines der größten Medienunternehmen in Polen, Polska Press, wurde 2020 vom staatlichen Mineralölkonzern Orlen gekauft, wodurch die Regierung nun 20 regionale Tageszeitungen, 120 Wochenmagazine und 500 Online-Portale kontrolliert. Kritische private Medien wie die Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" werden laut Reporter ohne Grenzen "finanziell ausgetrocknet und mit Klagen überzogen". Damit ist Polen in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 57 gesunken.

    Welche Parteien stehen zur Wahl?

    Die polnischen Parteien haben sich zu Wahlbündnissen zusammengeschlossen. Die Regierungspartei PiS bildet mit anderen die "Vereinigte Rechte", das größte Oppositionsbündnis ist die liberalkonservative "Bürgerkoalition" (KO) mit Donald Tusk an der Spitze. Daneben gibt es "Lewica" („Neue Linke“) und den "Dritten Weg", der in der politischen Mitte angesiedelt ist und zu dem auch die polnischen Grünen gehören. Tusk will mit den Linken und dem "Dritten Weg" eine Koalition bilden, um die PiS-Regierung abzulösen.
    Am rechten Rand steht die extreme Konfederacja Wolność i Niepodległość (Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit), ein Zusammenschluss von Nationalisten, christlichen Fundamentalisten und Libertären. Einer der Spitzenkandidaten, Sławomir Mentzen, hat seine grundsätzliche Haltung in einem Satz ausgedrückt: „Wir wollen keine Juden, Homosexuelle, Abtreibung, Steuern und auch keine Europäische Union.“ Außerdem richtet sich die Konfederacja gegen Menschen aus dem LGBTQ-Spektrum und die Aufnahme Geflüchteter aus muslimischen Ländern und der Ukraine.

    Wie stehen die Chancen der Parteien?

    In einer Umfrage vom 6. Oktober von Opinia24 für die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ erhielt die PiS eine Zustimmung von 32,9 Prozent. Die Bürgerkoalition liegt bei 31,1 Prozent, der "Dritte Weg" bei 13,2, die Linke bei 11,3 und die Konfederacja bei 6,5 Prozent. Die PiS hat damit gegenüber den letzten Parlamentswahlen 2019 rund zehn Prozent an Zustimmung verloren, die Bürgerkoalition und der Dritte Weg liegen im Vergleich leicht im Plus.
    Mateusz Morawiecki bei einem Wahlkampfauftritt
    Siegessicher: Polens Premierminister Mateusz Morawiecki tritt als Spitzenkandidat der PiS an. (picture alliance / NurPhoto / Andrzej Iwanczuk)
    Um in den Sejm einziehen zu können, gilt für Wahlbündnisse eine Acht-Prozent-Hürde. Donald Tusk ist darauf angewiesen, dass es die „Neue Linke“ und der „Dritte Weg“ ins Parlament schaffen, um eine Koalition zu bilden und so die PiS zu entmachten. Die PiS wiederum wäre bei den aktuellen Umfragewerten auf eine Koalition mit der Konfederacja angewiesen. Spitzenkandidat Sławomir Mentzen hat das bisher aber abgelehnt.

    Wie ist der Wahlkampf verlaufen?

    Am 1. Oktober demonstrierten in mehreren polnischen Städten Anhänger der Opposition gegen die PiS. Allein in Warschau sollen es über eine Million Menschen gewesen sein - das wäre die größte Demonstration in der Geschichte der Hauptstadt. Donald Tusk hatte zu dem "Marsch der Millionen Herzen" aufgerufen. Eine ähnliche Aktion hatte bereits im Juni stattgefunden.
    Die PiS wiederum macht mit aggressiven Wahlwerbespots Stimmung gegen Donald Tusk: Sie wirft ihm vor, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre heraufgesetzt zu haben und seine Politik nicht nach polnischen, sondern nach deutschen Interessen auszurichten.
    Donald Tusk spricht ins Mikrofon
    Der Oppositionspolitiker Donald Tusk will Polens Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen. (IMAGO / ZUMA Wire / Attila Husejnow)
    Tusk wirbt damit, Polen wieder zu einem „normalen“ Land zu machen - und meint damit vor allem eine Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit und die Entpolitisierung der Justiz. Es soll Steuererleichterungen für Arbeitnehmer und Rentner geben und das Abtreibungsrecht liberalisiert werden. Tusk will außerdem den jahrelangen Streit um die Justizreform mit Brüssel beenden und setzt darauf, dass die EU dann die für Polen bestimmten, seit Langem eingefrorenen 35 Milliarden Euro aus dem Corona-Fonds auszahlt.
    Die Umwelt spielt bei der PiS nur eine untergeordnete Rolle, die Bürgerplattform hingegen schlägt eine Dezentralisierung der Energieversorgung vor. So sollen unter anderem Kommunen ihren eigenen ökologischen Strom produzieren können.

    Warum setzt die PiS auf antideutsche Ressentiments?

    Im Wahlkampf und Wahlwerbespots stellt die PiS Deutschland als Macht dar, die versucht, sich in die polnische Politik einzumischen. Donald Tusk wird hier als Handlanger deutscher Interessen beschrieben, der sich von Deutschland abhängig machen wolle. Schon in der Vergangenheit ist die PiS mit antideutschen Ressentiments aufgefallen.
    Polen und Deutsche: „Das gegenseitige Verhältnis ist komplexbehaftet“, betont Dlf-Korrespondent Peter Sawicki. In Deutschland habe es in früheren Zeiten ein problematisches Polen-Bild gegeben - und dieses „Herabblicken auf Polen“ sei bisher nicht aufgearbeitet worden. Viele Polen seien darüber verbittert.
    Der Journalist Paul Vorreiter hat eine andere Perspektive: „Die Feindschaft gegenüber Deutschland ist zwar in den Medien ein Thema, aber auf der praktischen Ebene haben die Menschen überhaupt kein Problem mit Deutschland“, sagt er. Deutschland sei noch immer der wichtigste Handelspartner im Binnenmarkt: „In der Bevölkerung habe ich nie den Eindruck gehabt, dass es ein antideutsches Ressentiment gibt.“

    Was könnte nach der Wahl passieren?

    Sollte das Bürgerbündnis von Donald Tusk mit anderen Bündnissen eine Mehrheit im Sejm bilden können, wird es die neue Regierung schwer haben. Denn der Präsident kann in Polen ein Veto gegen Gesetzesbeschlüsse einlegen - und das Parlament kann dieses Veto dann nur mit einer Dreifünftel-Mehrheit zurückweisen. Der derzeitige Amtsinhaber Andrzej Duda war einst selbst PiS-Mitglied, trat nach seiner Wahl formal aus, gilt aber immer noch als parteitreu und könnte Parlamentsbeschlüsse blockieren. Die nächste Präsidentschaftswahl findet erst 2025 statt – bis dahin könnte die polnische Regierung im ungünstigsten Fall handlungsunfähig sein.
    Bei manchen Themen müsste eine Regierung von Donald Tusk vielleicht sogar mit der rechtsextremen Konfederacja kooperieren – was vielen Wählern schwer zu vermitteln wäre. Große Reformen wären damit deutlich erschwert.

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