Stephanie Rohde: Am 13. Oktober stehen bei uns keine normalen Wahlen an, vielmehr wird sich entscheiden, ob Polen ein demokratischer Rechtstaat sein wird oder weiter in Richtung einer autoritären Diktatur abgleitet. So eindrücklich waren drei ehemalige polnische Staatschefs vor der Parlamentswahl morgen, unter ihnen auch Lech Walesa. Sie kritisieren damit sehr scharf die Regierung der nationalkonservativen PiS-Partei, die könnte wieder stärkste Kraft werden bei der Wahl. Die Frage scheint nur zu sein, ob sie alleine weiterregieren kann oder einen Koalitionspartner braucht.
In jedem Fall wird der Streit erst mal weitergehen mit der EU-Kommission, die hat nämlich kurz vor der Wahl eine weitere Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gestartet gegen die Justizreform in Warschau.
Warum ist die PiS weiterhin so beliebt, vor allem auch bei jungen Menschen, darüber kann ich jetzt sprechen mit dem Politikwissenschaftler Klaus Bachmann von der Universität für Sozial- und Geisteswissenschaften in Warschau. Guten Morgen!
Klaus Bachmann: Guten Morgen!
"Polen - eine Art Obrigkeitsstaat"
Rohde: Stimmen Sie zu, dass das eine Richtungsentscheidung ist zwischen Demokratie oder autoritärer Diktatur?
Bachmann: Nein, eigentlich nicht. Also zum einen hat zwar die derzeitige Partei von Recht und Gerechtigkeit, die wir im Deutschen immer PiS abkürzen, dafür gesorgt, dass praktisch sämtliche Kontrollmechanismen für die Exekutive und für die Legislative ausgeschaltet wurden, aber sie hat es nicht genutzt, um die Wahlen zu manipulieren. Wir haben inzwischen gewählt zum Europaparlament und zu den Kommunalwahlen, wobei Kommunalwahlen in Polen auch heißt auf Woiwodschaftsebene und auf Kreisebene, und selbst die Opposition, die zum Teil diese Wahlen verloren hat, hat die Wahlen nicht beanstandet.
Also wir haben die seltsame Situation, dass jemand sich sozusagen alle Möglichkeiten schafft, eine Diktatur einzurichten, sie dann aber nicht einrichtet. Ich würde dieses System, was jetzt entstanden ist in Polen, eigentlich auch mehr bezeichnen als eine Art Obrigkeitsstaat. Das ist so ähnlich wie in Deutschland im Kaiserreich, also nicht in Richtung Diktatur, weil da denkt in Deutschland immer jeder sofort an Nationalsozialismus oder meinetwegen vielleicht auch an Franco und Salazar. In Polen ist das eher eine Mischung aus einer sehr starken Regierung, einem entmachteten Parlament und entmachteten Institutionen, die eigentlich dafür eingerichtet wurden, die Regierung zu kontrollieren und die jetzt von der Regierung kontrolliert werden.
Rohde: Die PiS ist ja gerade sehr stark in den Umfragen und auch die ultrarechte Konföderation vor allem bei jüngeren Wählern. Da sagen 70 Prozent der jungen Wähler, sie wollen eine der beiden rechtsgerichteten Parteien wählen. Wie erklären Sie sich das?
Trend nach rechts auch bei Erstwählern
Bachmann: Dabei muss man berücksichtigen, dass gleichzeitig aber die Wahlbeteiligung, gerade bei den Erstwählern, am geringsten ist, das heißt, das ist ein statistisches Phänomen, was sich auf das Wahlergebnis am Ende nicht unbedingt niederschlagen muss, aber es ist eine Tatsache, dass in den letzten Jahren – und das hat auch schon begonnen vor 2015, also bevor die PiS angefangen hat, zu regieren –, dass es einen Trend gab bei Erstwählern, immer stärker rechts zu wählen. Allerdings, wie gesagt, man muss das immer in den Kontext setzen.
Bis dahin, bis dieser Trend begonnen hat, waren Rechtsparteien bei der Jugend eigentlich weitgehend verpönt, und zwar stärker verpönt als bei der Durchschnittsbevölkerung, sodass das, was wir jetzt beobachten, eigentlich mehr in die Richtung geht, dass die Jugend genauso rechts wird wie die Erwachsenen oder die älteren Wählerschichten schon immer gewesen sind. Das ist also nicht wirklich ein Trend nach rechts, sondern das ist eine Anpassung an den allgemeinen Trend in der Bevölkerung.
Rohde: Der Wahlkampf wurde ja immer wieder als Kulturkampf beschrieben. Es ging zum Beispiel um die Rechte von Homosexuellen, die infrage gestellt wurden, die Linke wiederum hat gesagt, sie will das Schulfach Religion abschaffen. Haben Sie das auch so erlebt, dass es da tatsächlich um einen Kulturkampf geht?
Bachmann: Ich weiß nicht, ob Kulturkampf jetzt der richtige Ausdruck ist, aber es geht mit Sicherheit um das, was man hierzulande immer Werte nennt und weniger um das, was man materielle Interessen nennt. Also es geht, anders ausgedrückt, obwohl PiS dafür bekannt und zum Teil auch bei den Wählern beliebt geworden ist, dass es einen großen Teil des Staatshaushaltes wieder an die Steuerzahler zurückverteilt sozusagen in Form von sozialen Wohltaten, ist der eigentliche Grund, warum PiS so erfolgreich ist bei den Wahlen, eigentlich mehr dieser, aufgrund dieses Appells an Wählerschichten, ähnlich wie das in Ostdeutschland der Fall ist, die sich für benachteiligt halten, also die sozusagen nicht zufrieden sind mit dem, was sie haben und nicht zufrieden sind mit dem, wie sie von den anderen Bevölkerungsschichten angesehen werden. Also, die fühlen sich auch so als Bürger zweiter Klasse.
Zum Teil ist das berechtigt, zum Teil ist das nicht berechtigt, wenn man es objektiv nach den Wirtschaftsentwicklungen oder Sozialentwicklungen betrachtet. Das spielt aber keine Rolle, weil man kann ja nicht den Leuten sagen ernsthaft als Politiker, hört mal zu, euch geht es eigentlich ganz gut, wenn sie selber nicht dieser Ansicht sind. So gesehen ist das, was PiS gemacht hat, sozusagen diesen Leuten Respekt zu zollen. Das wurde dadurch glaubwürdig gemacht, dass sie ihnen gleichzeitig auch Geld gegeben hat. Die Mischung aus beidem ist erst, die sozusagen den Erfolg von PiS ausmacht.
"PiS-Anhänger wollen kein Machtmonopol für die Partei"
Rohde: Was würden Sie sagen, wie hat die Opposition darauf reagiert im Wahlkampf? Die hat ja dieses Mal die Regierung nicht so scharf angegriffen wie in vorigen Wahlkämpfen. Also funktionierte diese Strategie?
Bachmann: Ja, weil zum Teil ist das ja immer so ein bisschen ein Spiel, was da gespielt wird in den Wahlkämpfen. Wenn man den Gegner zu sehr angreift, dann mobilisiert man auch seine Anhänger, und das haben inzwischen sehr viele Akteure auf der politischen Szene verstanden, dass man das nicht tun sollte. Man sollte die eigenen Anhänger mobilisieren, und das ist weitgehend gelungen, einmal durch den Zusammenschluss, dass sich sowohl die, sagen wir mal, konservativ-liberale Opposition als auch die Linke zu zwei Blöcken zusammengeschlossen haben, was wir angesichts des Wahlsystems, das ähnlich ist wie in Deutschland, es wird auch per Hand ausgezählt, das am ehesten Erfolg verspricht.
Das ist das eine, und das andere war natürlich, dass man hervorgehoben hat, dass diese Regierung eine Bedrohung für die Demokratie ist, weil das vor allem Anhänger der Opposition anspricht, die das befürchten und zum Teil auch ein bisschen anspricht die Anhänger von PiS, von denen es auch sehr viele gibt, die sagen, wir wollen zwar diese Partei wählen, aber wir wollen nicht, dass sie ein Machtmonopol bekommt, weil wir haben grundsätzlich ein starkes Misstrauen gegenüber dem Staat und gegenüber einem Einparteiensystem, einem System, wo eine Partei dann sozusagen alle anderen dominiert. Das wollen sogar sehr viele PiS-Anhänger eigentlich nicht.
Von daher hat einerseits die Opposition versucht, vor allem die eigenen Anhänger zu mobilisieren und PiS hat versucht, die eigenen Anhänger zu mobilisieren, indem sie bestimmte Befürchtungen sehr stark unterstrichen hat, die ohnehin bei den Wählerschichten, also hauptsächlich auf den Kleinstädten, auf dem flachen Land, virulent sind, also beispielsweise die Angst vor Homosexuellen, die Angst vor etwas, was man zu einem riesigen Popanz aufgebaut hat und was in Deutschland LGBT heißt, also sexuelle Minderheiten, was in Polen im Prinzip eigentlich kein Problem ist, wovor auch niemand Angst haben müsste, weil die Emanzipation oder die Gleichberechtigung von diesen Gruppen noch ganz am Anfang steht, aber es hat sich bei den Umfragen gezeigt, dass das sehr viele umtreibt, und das hat die Partei sehr geschickt ausgenutzt.
"Eins ist aber schon sicher, die größte Partei wird PiS sein"
Rohde: Was ist denn Ihre Einschätzung, wird die Opposition da zugewinnen können, und wie sieht es mit der Regierung aus, kann die alleine weiterregieren?
Bachmann: Das weiß im Moment kein Mensch, und zwar aufgrund der Untiefen dieses Wahlsystems. Das hängt alles sehr stark gar nicht davon ab, wie viele Stimmen PiS tatsächlich bekommt, sondern wie viele Stimmen die anderen Parteien bekommen, vor allem, ob die kleineren Parteien überhaupt ins Parlament kommen.
Der Witz ist der, dass, wenn sie ins Parlament kommen, dann kommen sie PiS einiges streitig machen, weil sie sich um die gleichen Wählerschichten streiten. Wenn sie nicht ins Parlament kommt, dann wird ein großer Teil überproportional der Stimmen, die auf sie entfallen sind in Form von Mandaten, an die größte Partei verteilt. So ist das in Deutschland ja auch.
Eins ist aber schon sicher, die größte Partei wird PiS sein, und da kann es passieren, dass PiS wieder die Mehrheit bekommt im Parlament aufgrund dieses unproportionalen Wahlsystems, oder es kann sein, dass sie einen Koalitionspartner brauchen, dann wird es bestimmt sehr lustig und interessant, weil das wird dann sicher ein sehr exotischer Koalitionspartner und eine sehr instabile Regierung. Aber es ist auch möglich – und das wäre auch sehr instabil –, dass dann eine Alleparteienregierung gegen PiS entsteht, das heißt, dass alle andere Parteien von ganz rechts bis links sich sozusagen vereinigen, nur mit dem Ziel, PiS von der Macht fernzuhalten. Das wird dann auch sehr interessant, weil das mit Sicherheit auch eine sehr heterogene und instabile Regierung werden wird.
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