Stanislaw Obirek ist vor 14 Jahren aus dem Jesuitenorden ausgetreten. Die Oberen hatten ihm verboten, sich weiterhin öffentlich zu äußern, wegen seiner Kritik am Pontifikat des gerade verstorbenen Papstes Johannes Paul II.
"Die Sexualmoral der Kirche erschien mir zu konservativ, der Umgang mit Themen wie Schwangerschaftsverhütung und Homosexualität. Aber heute denke ich mit Nostalgie an diese Zeiten zurück, wo man sich über solche Themen streiten konnte. Heute haben wir es mit einer fundamentalistischen und von der Politik vereinnahmten katholischen Kirche in Polen zu tun. Eine solche Entwicklung hätte ich mir nie träumen lassen, in den schlimmsten Alpträumen nicht."
Am kommenden Sonntag wählt Polen ein neues Parlament. Und große Teile der katholischen Kirche stehen an der Seite der rechtskonservativen Regierungspartei PiS.
Kleriker sehen Homosexuelle als Gefahr
Manche Bischöfe sprechen das offen aus, so im Juli Antoni Dlugosz. In einer Kindersendung im nationalkatholischen Fernsehsender TV Trwam sagte er vor einer Gruppe von Kindern:
"Ich freue mich außerordentlich, dass sich unsere aktuelle Regierung so um die Familie kümmert. Für jedes Kind gibt es jetzt 500 Zloty pro Monat, ist das nicht schön? Bis zum 18. Geburtstag bringt ihr der Familie diesen 500er. Weitere 300 Zloty bekommt ihr zum Schulanfang. Außerdem kümmert sich die Regierung um die Schulen und Kinderkliniken, denn Kinder sind der größte Schatz."
Viele katholische Gemeinden lassen die PiS Wahlplakate an den Zäunen um die Kirchen und Gemeindehäuser anbringen. Mehrere Politiker der Regierungspartei haben in den vergangenen Wochen in Kirchen sprechen dürfen.
Vor allem aber unterstützt die Kirche die Regierung rhetorisch. Sie spricht die gleichen Themen an, mit einem identischen Vokabular. Bestes Beispiel: die Kampagne gegen Schwulen- und Lesbenorganisationen, die von der Regierung gestartet wurde. Sie wurde begleitet von Stellungnahmen der Bischofskonferenz und von vielen Predigten. Unisono heißt es: Wenn Homosexuelle Rechte einforderten, dann seien sie eine Gefahr für die polnische Gesellschaft. Der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski sprach von einer "Regenbogen-Seuche", die Polen bedrohe.
Staatliches Geld für Radio Maryja
Die PiS revanchiert sich, auch finanziell. Aus dem Haushalt sind in dieser Legislaturperiode umgerechnet mindestens 50 Millionen Euro an das Medien- und Hochschulimperium von Tadeusz Rydzyk geflossen. Der nationalkatholische Redemptoristen-Pater hat unter anderem den Sender Radio Maryja gegründet.
Außerdem erklärt die Partei den katholischen Glauben zum nationalen Gut, so der Vorsitzende der Rechtskonservativen Jaroslaw Kaczynski:
"In der Geschichte unserer Nation hat die katholische Kirche eine überragende Rolle gespielt, in der Gestaltung unserer Nation und ihrer Verteidigung. Das Christentum ist Teil unserer nationalen Identität. Die Kirche war und ist der Träger des einzigen in Polen allgemein anerkannten Wertesystems. Außerhalb dieses Systems gibt es nur Nihilismus."
Das protestantische Bekenntnis, der jüdische Glaube, die Moralphilosophie - alles nur Nihilismus? Das ging auch manchen Kirchenoberen zu weit ging. Das sei nicht der Standpunkt der katholischen Kirche, sagte Primas Wojciech Polak. Eine offizielle Stellungnahme der Bischofskonferenz blieb allerdings aus.
Bisher hätten sich alle polnische Regierungen der katholischen Kirche angebiedert, sagt der Theologe Stanislaw Obirek. Die PiS jedoch drehe den Spieß um: Sie nehme die Kirche als Geißel und gebe ihr den Ton vor. Die Nationalkatholiken unter den Geistlichen triumphierten - und die anderen, denen dabei unwohl sei, schwiegen weitgehend:
"Es fehlt ihnen an Mut. Die Kirche hat heute einfach sehr durchschnittliches und charakterlich schwaches Personal. Das ist nicht mehr die Kirche von Karol Wojtyla, die sich den kommunistischen Machthabern entgegen stellte. Der Klerus ist wie eine dicke, verwöhnte Katze, die nur Ruhe und eine volle Schüssel möchte. Ihre privilegierte Stellung hat die Kirche faul werden lassen."
Dabei könnte die katholische Kirche eine so wichtige Rolle spielen, meint Stanislaw Obirek. Denn die Gesellschaft ist politisch gespalten. Und die katholische Kirche könne als einzige Organisation in sehr verschiedene Milieus durchdringen. Sie könnte also bewirken, dass die Gräben zumindest nicht noch tiefer werden.
Dass sie diese Chance vertue, werde sich rächen, meint Obirek:
"Die Kirche selbst treibt so die Säkularisierung der Gesellschaft voran. Die negativen Emotionen, die die PiS bei vielen Polen hervorruft, richten sich so auch gegen sie. Letztendlich schadet sich die Kirche."