"Ich habe darauf verzichtet, den Präsidenten zu beraten, unter anderem weil die Partei "Recht und Gerechtigkeit" das Verfassungsgericht entmündigt hat."
"Sie haben aus den natürlich nicht perfekten öffentlich-rechtlichen Medien einen Regierungssender gebastelt."
"Lech Walesa ist doch ein Symbol Polens. Heute zerstört die Regierungspartei mutwillig dieses positive Bild des polnischen Sieges über den Kommunismus."
"Unter dem Deckmantel des Antiterrorkampfes wird die Regierung die totale Überwachung einführen, wie bei Orwell."
Stimmen, die in Polen immer häufiger zu hören sind. Wer das System Kaczynski störe, sagen Regierungskritiker, werde - wie das Verfassungsgericht - lahmgelegt oder - wie die öffentlich-rechtlichen Medien – im Handumdrehen gleichgeschaltet. Wer sich zum gefährlichen Gegner entwickeln könnte, wird diffamiert. Und damit es keine unangenehmen Überraschungen gibt, sollen Polizei und Geheimdienste ohne richterliche Genehmigung alles über jeden erfahren können. Deshalb der Protest, deshalb die zahlreichen Demonstrationen.
"Tu jest Polska" – "Hier ist Polen" –, skandiert die Menge und fordert die Regierung auf, die Verfassungsordnung des Landes wiederherzustellen.
Es sind Zehntausende, die in Warschau und anderen Städten seit Wochen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen gegen die nationalkonservative Regierung demonstrieren. Menschen, die Angst haben, Polen könnte schrittweise in einen autoritären Staat umgewandelt werden.
"Wir sind hierhergekommen, weil wir aufs äußerste frustriert sind. Wir haben die Nase voll von dieser Regierung. Wir sind nicht einverstanden mit dem, was in unserem Land passiert."
"Wir verteidigen die Verfassung und die Demokratie. Was hier geschieht, ist schlicht Gesetzlosigkeit. Die Regierung verletzt die Verfassung, wir indes wollen die Menschenrechte in Polen verteidigen."
Es geht unter anderem um das jüngste Urteil des Verfassungsgerichts. Ein Richterspruch, der die vom Parlament verabschiedete Justizreform der nationalkonservativen Regierung in den meisten Punkten für verfassungswidrig erklärt. Premierministerin Beata Szydlo weigert sich, das Urteil anzuerkennen. Eine Veröffentlichung im Gesetzesblatt ist nicht geschehen - was eigentlich verpflichtend ist. Ein Fehler, meinen Verfassungsexperten nicht nur in Polen. Auch Juristen des Europarates, konkret: Mitglieder der sogenannten Venedig-Kommission, sind der Ansicht, dass die Weigerung, das Urteil zu veröffentlichen, demokratische Rechtsnormen verletze. Polnische Regierungsvertreter sehen es ganz anders. Dementsprechend trotzig fallen auch die Reaktionen aus, etwa die von Außenminister Witold Waszczykowski:
"Wir haben die früheren Beurteilungen der Venedig-Kommission sorgfältig analysiert. Sie waren entschieden anders. Es wurden stets salomonische Empfehlungen gefunden. Hier dagegen haben wir es mit einem politisch extrem einseitigen Bericht zu tun, dem wir nur widersprechen können."
"In der Geschichte Polens hat es eine solche Krise noch nie gegeben"
Eine Stellungnahme, die deutlich mache, sagen Regierungskritiker in Polen, dass die Partei "Recht und Gerechtigkeit" jeglichen Kontakt zur Realität verloren habe. Ihr Verhalten treibe das Land immer mehr an den Rand der EU, heißt es. Kurzum: Es sei höchste Zeit, sich zu besinnen und die Empfehlungen der Venedig-Kommission umzusetzen, fordert Oppositionsführer Ryszard Petru etwa von der wirtschaftsliberalen Partei "Nowoczesna":
"In der Geschichte Polens hat es eine solche Krise noch nie gegeben. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns zur Wehr setzen. Wenn sich einige nun fragen, wofür man auf die Straße gehen soll, dann muss man daran erinnern, dass Massendemonstrationen in unserem Vaterland vor Jahren zu einem Systemwechsel geführt haben. Heute sind sie nötig, um die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" daran zu hindern, Grundsätze des Rechtsstaates zu brechen."
Die Chancen, dass es der Opposition gelingen könnte, die Regierung zum Einlenken zu bewegen, sind denkbar gering. Dabei, sagen namhafte polnische Juristen, bringe sich die Premierministerin mit ihrer Weigerung, das Urteil zu veröffentlichen, in eine rechtlich äußerst kritische Situation. Spätestens wenn sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament ändern, müsste Beata Szydlo mit einem Verfahren vor dem Staatstribunal rechnen. Unsinn, entgegnet ihr Mentor und Gönner Jaroslaw Kaczynski. Die Regierungschefin halte sich an geltende Gesetze. Wenn jemand das Recht in Polen breche, dann eine bestimmte Gruppe von Verfassungsrichtern. Ihr jüngster Spruch sei als private Meinungsäußerung zu betrachten und keinesfalls als ein rechtsgültiges Urteil:
"Wir handeln gemäß der polnischen Verfassung und dem polnischen Recht. Wir können nicht anders. Wenn die Premierministerin diese Stellungnahme einer gewissen Gruppe von Richtern veröffentlichen würde, dann würde sie das Recht brechen. Dann würde sie gegen Artikel 231 des Strafgesetzbuches verstoßen."
Doch genau das tue sie bereits, meinen Regierungsgegner. Sie werfen der Premierministerin Amtsmissbrauch vor. Die Rechtsordnung in Polen, betont auch der ehemalige Vorsitzende des Verfassungsgerichts Andrzej Zoll, sei mittlerweile empfindlich gestört:
"Wenn die Premierministerin dieses Urteil nicht veröffentlicht, dann wird sie ein Verfassungsdelikt begehen. Und das würde bedeuten, dass in Polen die Macht des Stärkeren gilt und nicht die Rechtsprechung."
"Mächte, die Polen so klein wie möglich halten wollen"
Ähnlicher Ansicht sind auch Rechtsexperten des Europarates. Ihre Kritik am Verhalten der polnischen Regierung wurde in Warschau zwar zur Kenntnis genommen. Ob und in wie weit die in diesem Zusammenhang formulierten Empfehlungen umgesetzt werden, bleibt indes ungewiss. Zumal innerhalb der Partei "Recht und Gerechtigkeit" die Überzeugung herrscht, dass die Auseinandersetzung um das Verfassungsgericht in erster Linie ein rein innenpolitisches Problem sei. Eine Einmischung aus dem Ausland, meint Jaroslaw Kaczynski, gelte deshalb als unerwünscht. Wer sie trotzdem fordere, so Kaczynski, der arbeite offenbar Hand in Hand mit den Feinden Polens:
"Unter dieser Bewegung, hinter dieser breiten Koalition, die gegen uns gerichtet ist, stehen Mächte, die Polen so klein wie möglich halten wollen. Damit das Land anderen dient, damit die Polen zum Vorteil anderer schuften. Damit Polen zu einer Art Kolonie verkommt. Aber wir werden niemals eine Kolonie sein!"
Ansichten, die an Absurdität, nicht zu übertreffen seien, sagen polnische Regierungskritiker. Anhänger der Partei "Recht und Gerechtigkeit" sind da freilich anderer Auffassung. Was auch in jüngsten Umfragen zum Ausdruck kommt. Danach würden 38 Prozent erneut für die Nationalkonservativen stimmen. Überraschend sei das nicht, meint der polnische Soziologe Ryszard Bugaj, bis vor kurzem Präsidentenberater, mittlerweile einer seiner schärfsten Kritiker:
"In Polen gehen zwei Gruppen von Menschen wählen: Jene, die ganz oben auf der Gesellschaftsleiter stehen, und jene, die besonders stark frustriert sind."
Der Rest – im konkreten Fall rund 50 Prozent aller Wahlberechtigten - zieht es vor, den Urnen fern zu bleiben. Entweder aus politischer Lethargie oder wegen der Überzeugung, dass eine Parlamentswahl an den ihrer Ansicht nach schlechten Zuständen im Land ohnehin nichts ändern würde. Eine Haltung, die dazu geführt hat, dass bei der letzten Abstimmung lediglich 19 Prozent aller Wahlberechtigten in Polen der Partei "Recht und Gerechtigkeit" zur absoluten Mehrheit im Parlament verholfen haben. Womit fälschlicher Weise der Eindruck entsteht, die Mehrheit der Polen wollte es so.
Warschau, 26 Oktober 2015. Auf diesen Sieg hat Jaroslaw Kaczynski sehnlichst gewartet. Nun genießt er den Triumph. Und lässt sich wie ein Popstar frenetisch feiern. Kaczynski ist sichtlich bewegt. Der Parteivorsitzende redet viel über die nun bevorstehende Arbeit und darüber, dass der politische Gegner nichts zu befürchten habe. Ganz so, als ob das in einem Rechtsstaat ohnehin nicht selbstverständlich wäre.
"Ich möchte ganz besonders unterstreichen: Wir werden das Recht walten lassen. Wir werden nach Wahrheit streben. Es wird keine Rache geben, keine persönlichen Abrechnungen."
Blanker Hohn, sagen Kaczynskis Kritiker. Das glatte Gegenteil sei der Fall. Was eben sowohl beim Streit um das Verfassungsgericht als auch beim Wechsel führender Positionen in den öffentlich-rechtlichen Medien deutlich werde. Kamil Dabrowa, bis vergangenen Januar Direktor des ersten Programms im polnischen Rundfunk, bekam die Rache der nationalkonservativen Regierung als einer der ersten zu spüren. Unmittelbar nachdem das neue Mediengesetz verabschiedet wurde, erhielt der leitende Redakteur seine Entlassung. Der Grund: Kamil Dabrowa hatte mehrere Tage hintereinander jeweils vor den Nachrichten im Radio abwechselnd die National- und die Europahymne spielen lassen, um auf die drohende journalistische Gleichschaltung des Senders aufmerksam zu machen, wie er betont:
"Ich dachte mir, sie können nicht so dumm sein, jemanden für das Abspielen der Hymne zu entlassen. Zuerst war ich auch nur abberufen. Mir wurde vorgeworfen, dass ich den Sender für politische Zwecke missbraucht hätte. Ich habe weder eine politische Seite unterstützt noch gegen eine politische Seite protestiert. Ich habe nur auf eine symbolische Weise darauf hingewiesen, dass Meinungsfreiheit und Pluralismus gefährdet sein könnten."
"Immer mehr Menschen im Radio und Fernsehen verlieren ihre Arbeit"
Eine Erklärung, die dem nunmehr für öffentlich-rechtliche Medien zuständigen Minister offenbar nicht ausreichte. Kamil Dabrowa wurde fristlos gefeuert. Was auch als Warnung an andere Redakteure gelten soll, es ja nicht zu wagen, die neue Regierung und ihre Maßnahmen offen und deutlich zu kritisieren. Jene, die sich nicht daran halten werden, sagt der ehemalige Direktor des öffentlich-rechtlichen Radios, müssten nun mit einer Kündigung rechnen, sofern dies nicht ohnehin bereits geschehen sei.
"Immer mehr Menschen im Radio und Fernsehen verlieren ihre Arbeit. Ich höre, sie seien nicht geeignet, oder es ändere sich das Programm. Deshalb werden sie nicht mehr benötigt. Das ist eine völlig neue Erscheinung, das hat es bisher nicht gegeben. Eine enorme Arroganz der Machthaber, verbunden mit der Sicherheit, dass ihnen nichts passieren kann. Sie scheinen davon überzeugt zu sein, dass sich am Ende auch Gerichte auf ihre Seite stellen werden."
Ob der geschasste Programmdirektor übertreibt oder mit seiner düsteren Prognose am Ende doch Recht behalten wird, lässt sich kaum voraussagen. Fest steht nur: Die Art und Weise, wie Regierungskritiker in Polen diffamiert werden, nehmen immer seltsamere Formen an. Was nicht zuletzt auch am Streit um die ehemalige Ikone der Freiheitsbewegung, Lech Walesa, zu erkennen ist. Kaum hat der Arbeiterführer angekündigt, er wolle sich der Protestbewegung eventuell anschließen, tauchen plötzlich Dokumente auf, die seine Integrität in Frage stellen sollen. Walesa, so die Behauptung führender Mitglieder der Partei "Recht und Gerechtigkeit", sei in den 70er-Jahren ein Spitzel der polnischen Stasi gewesen. Die kürzlich im Haus des verstorbenen kommunistischen Innenministers Kiszczak sichergestellten Dokumente, so der Vorwurf, belegten eine Kooperation Walesas mit dem Staatssicherheitsdienst eindeutig:
"Dass er für die Stasi gearbeitet hat, ist wissenschaftlich bestätigte Tatsache. Er hat denunziert und dafür Geld genommen. Für jeden ehrlichen Wissenschaftler, für jeden ehrlichen Menschen, darf es da keine Zweifel geben", sagt Präsidentenberater Andrzej Zybertowicz, ganz so, als wäre der Wahrheitsgehalt der nun aufgetauchten Unterlagen einwandfrei festgestellt worden.
Lech Walesa jedenfalls ist sich keiner Schuld bewusst:
"Ich habe einer Zusammenarbeit niemals zugestimmt. Keine meiner Aussagen kann als Denunziation bezeichnet werden. Und ich habe auch kein Geld angenommen. Ich habe bereits mehrfach bewiesen, dass entsprechende Dokumente gegen mich gefälscht wurden."
Dass die Dokumente gefälscht sein könnten, wollen selbst Mitarbeiter des nun gegen Walesa ermittelnden Instituts für Nationales Gedenken nicht ausschließen. Das polnische Pendant der deutschen Stasiunterlagenbehörde lässt die Unterlagen auf ihre Echtheit prüfen. Doch selbst wenn sich dabei herausstellen sollte, dass Walesa eine Verpflichtungserklärung tatsächlich unterschrieben habe, würde dies an seinen Errungenschaften wenig ändern, meint der Historiker Aleksander Hall. Zumal unbestritten sei, dass Walesa spätestens 1978 eine wie auch immer ausgelegte Kooperation mit der polnischen Stasi quittiert habe.
"Er stand an der Spitze der Streiks. Er hat die "Solidarnosc" vernünftig geführt und sich auch während des Kriegsrechts sehr anständig benommen."
"Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird verletzt"
Vor rund 16 Jahren hat ein Lustrationsgericht Lech Walesa von sämtlichen Vorwürfen der Kollaboration zu Lasten anderer freigesprochen. Was Jaroslaw Kaczynski damals sehr bedauerte. Heute ist er offenbar fest davon überzeugt, Walesa der Lüge überführen zu können. Für Kritiker der Partei "Recht und Gerechtigkeit" nur ein weiterer Beleg dafür, dass die Nationalkonservativen selbst vor fragwürdigen Methoden nicht zurückschrecken, um potenzielle Gegner kalt zu stellen. Genau dazu soll ihrer Ansicht nach auch das neue Polizeigesetz dienen. Damit werden den Verfolgungsbehörden weitreichende Befugnisse eingeräumt - unter anderem bei der Überwachung von Telefongesprächen und der Kontrolle des Internets. Der parlamentarische Beauftragte für Bürgerrechte, Adam Bodnar, hält das juristisch für höchst bedenklich:
"Es ist ein Eingriff in die Privatsphäre. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird verletzt. Polizei und Geheimdienste können zwar bei konkreten Verdachtsmomenten eine Überwachung gerichtlich beantragen, aber es kann nicht sein, dass man diese Daten fast ohne Kontrolle sammelt, nur um Verbrechen vorzubeugen."
Will Jaroslaw Kaczynski in Polen eine Diktatur etablieren? Seine Anhänger widersprechen vehement und nennen derartige Behauptungen haltlose Unterstellungen. Kaczynski Gegner sind anderer Ansicht. Der allmächtige Parteivorsitzende wolle möglichst schnell eine unwiderrufliche institutionelle Änderung des Staates erzielen, damit ihn niemand mehr von seinem Weg abbringen könne, sagt der Gründer des Komitees zur Verteidigung der Demokratie, Mateusz Kijowski.
"Demokratie ist ein System, das aus vielen verschiedenen Elementen und Machtorganen besteht, die miteinander zusammenarbeiten, einander kontrollieren und überwachen. In Polen haben wir zurzeit nur ein Machtzentrum, das alle anderen Institutionen beeinflusst. Es gibt keine Möglichkeit der Kontrolle. Und genau das gefährdet unsere Freiheit."
Noch hält sich der Protest in Grenzen. Was wiederum deutlich macht, wie gespalten die polnische Gesellschaft bleibt. Zwischen jenen, die um Demokratie fürchten, und jenen, die einen autoritär geführten Staat nach den Vorstellungen von Jaroslaw Kaczynski durchaus begrüßen.
"In Polen werden Menschenrechte keinesfalls verletzt. Jegliche Bürgerrechte, Rechte der Opposition und der Medien werden vollkommen geachtet, und deshalb gibt es keine Gründe, um in polnischen Angelegenheiten zu intervenieren."
"Der Demokratie in Polen geht es gut. Und der beste Beweis dafür sind Proteste, die von einigen Kreisen organisiert werden, gegen die Regierung. Das ist ein Beweis dafür, dass die Demokratie in Polen funktioniert", meint zumindest Regierungschefin Beata Szydlo. Ihre Gegner haben da gewaltige Zweifel.