Stanislaw Gadecki gilt als sehr konservativer Geistlicher. Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz in Polen spricht häufig darüber, wie die moderne Zivilisation traditionelle Werte bedrohe. Insbesondere die Familie sei in Gefahr, erklärt Gadecki immer wieder.
Das macht Gadecki zu einem natürlichen Verbündeten der polnischen Regierungspartei PiS. Und tatsächlich unterstützte die Kirche die Rechtskonservativen schon im Wahlkampf 2015. Nach dem Wahlsieg der PiS verkündete Gadecki: "Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg gab es solch eine Einheit von Kirche und Staat." In einer Weihnachtspredigt sagte er:
"Wichtig ist, dass diese verdammenswerte Logik des Pragmatismus ihre Gültigkeit verliert. Und dass an ihre Stelle die Logik der Werte tritt. Diejenigen, die von Toleranz reden, sind oft am wenigsten tolerant. Diejenigen, die von Demokratie posaunen, sind manchmal am wenigsten demokratisch."
Ohrfeige für die PiS
Und das war - für Polen unmissverständlich - gegen die Opposition gerichtet. Denn diese demonstrierte in jenen Tagen gegen die Regierung und beklagte, die Machthaber demontierten gerade die Demokratie in Polen.
Deshalb kam es überraschend, dass Gadecki sich gegen die geplante Justizreform und somit gegen die PiS stellte. Er gratulierte sogar Staatspräsident Andrzej Duda, als er sein Veto gegen die beiden zentralen Gesetze einlegte. "Authentische Demokratie ist nur in einem Rechtsstaat möglich", schrieb der einst so regierungsfreundliche Bischof nun an Duda. Eine Ohrfeige für die Regierungspartei PiS.
Noch deutlicher: das Oberhaupt der katholischen Kirche in Polen, Primas Wojciech Polak. Bei einem Gottesdienst griff er jüngst Ministerpräsidentin Beata Szydlo sowie die Vorsitzenden beider Parlamentskammern an. Polak sagte ihnen ins Gesicht:
"Wir brauchen einen Wandel in unserem persönlichen Leben, im Leben unserer Familie und Gesellschaft. Dabei sollten wir jedoch bei uns selbst beginnen, nicht bei anderen. Und dabei sollten wir die gesellschaftliche Ordnung achten und sie nicht gedankenlos zerstören. Auch die verfassungsmäßige Ordnung sollen wir achten, die unser Zusammenleben garantiert, und sie nicht umgehen."
Auch zur Hilfe für Flüchtlinge und Migranten rief Polak ausdrücklich auf.
Die Stimmung ändert sich also bei den Kirchenoberen. Mit ihrer unverbrüchlichen Treue kann die Regierungspartei PiS nicht mehr rechnen. Pawel Kowal, Ex-Abgeordneter und heute Politologe an der Polnischen Akademie der Wissenschaften, erklärt den Sinneswandel so:
"Einigen Bischöfe ist bewusst, welchen Standpunkt Papst Johannes Paul II. heute vertreten würde. Es genügt, eine beliebige Enzyklika von ihm aufzuschlagen, und es wird sofort deutlich, wie er über Gewaltenteilung und Rechtsstaat gedacht hat. Der Standpunkt vieler Politiker aus der PiS, die sagen, der Volkswille stehe über dem Gesetz, ist unvereinbar mit der Soziallehre der Kirche."
"Fatal, die Kirche mit einer Partei zu verknüpfen"
Der liberale Flügel der polnischen katholischen Kirche war über viele Monate kaum wahrzunehmen. Nun - im Schatten bedeutender Erzbischöfe - kommt dieser liberale Flügel aus der Deckung. Erstmals seit vielen Jahren gab der Ordensmann Adam Boniecki wieder ein Interview. Aber erst, als die die Oberen seines Ordens das Redeverbot für den 83-Jährigen aufgehoben hatten. Nun ging der ehemalige Chefredakteur der liberalkatholischen Wochenzeitung "Tygodnik Powszechny" mit seiner Kirche hart ins Gericht:
"Die Kirche sollte über den politischen Parteien stehen. Es ist fatal, die Kirche mit einer Partei zu verknüpfen. Wer glaubt, dass wir so zu einem katholischen Land werden, der irrt sich. Das ist eine Versuchung, die weltliche Macht zu benutzen, um das Christentum quasi zu implementieren."
Solche Dinge darf Adam Boniecki wieder sagen; und die katholische Kirche in Polen geht insgesamt auf Distanz zur Politik. Doch schon im Herbst könnte das Bündnis mit der PiS neu aufleben. Dann nämlich will die Partei einen weiteren Versuch unternehmen, das Recht auf Abtreibung noch weiter einzuschränken.