Das "Teatr Polski" liegt im Zentrum von Breslau, am Ende einer Seitenstraße. Ein Neubau aus Glas und Metall, eröffnet Mitte der 90er-Jahre, nachdem das alte Gebäude ausgebrannt war. Das Kassenhäuschen ist nicht besetzt. Im Foyer spielen zwei Mitarbeiterinnen mit ihrem Smartphone.
Vor der Tür studiert ein Mittvierziger den Spielplan. Er will seine Frau ins Theater einladen. Und hat nun die Wahl zwischen einem Molière-Stück und den "besten 40 Liedern der Welt". "Seit die PiS-Politiker an der Macht sind, wird zensiert", schimpft er. Volkstümliche und klassische Stücke dominieren das Repertoire. Erbauliches. Nichts Erregendes. Kopfschüttelnd geht der Theaterfreund. Ohne ein Ticket zu kaufen.
200 Meter weiter kommt Przemyslaw Wojcieszek die Hauptstraße entlang. Kapuzenpulli, lange blonde Haare, Parka, Jeans, Rucksack. Der Regisseur blickt kurz nach links. In die Seitenstraße auf das Teatr Polski, in dem auch er schon inszeniert hat.
"Das letzte Mal war ich hier, als die Schauspieler protestierten", erzählt er. Und zündet sich im Gehen eine Zigarette an. Der alte Intendant musste gehen, ein neuer, politisch genehmerer, kam. Ein Mann, der auf der Linie des konservativen Kulturministers liegt. Innerhalb von einem Jahr habe er das Theater zerstört, sagt der 43-Jährige. Missliebige Schauspieler mussten gehen. Sie spielen jetzt in Warschau, Poznan oder Krakau.
Auf der anderen Straßenseite leuchten fünf Meter hohe rote Buchstaben. "TEATR" – "Theater" verkünden sie. Dahinter drängt sich klobig ein Sandsteinkoloss ans Trottoir, "Capitol" steht dezent an der Fassade. Wojcieszek drückt die Zigarette aus, geht durch die Drehtür, begrüßt den Pförtner mit Handschlag.
Musicalbühne als Alternative
"Das hier ist alles vollkommen absurd", erzählt er grinsend. Eigentlich ist das Capitol ein modernes Musical-Theater. Aber jetzt inszeniert er hier zeitgenössische Stücke. "Srefa" – "Zone" wirbt ein großes Plakat über der Treppe zum Keller-Saal. Wojcieszek aktuelles Sozialdrama über die Arbeitsbedingungen in einer der sogenannten "Sonderwirtschaftszonen" in Polen. Es basiert auf Berichten von Arbeitern aus einer Autofabrik.
Über Jahre waren die miesen Arbeitsbedingungen ein Tabu, sagt er. Die niedrigen Löhne, die Überstunden. Die Rechte der Beschäftigten und die soziale Lage spielten für die neoliberale PO-Regierung einfach keine Rolle. Darum gewannen die National-Konservativen auch die letzte Wahl, glaubt der Regisseur: weil sie die wirtschaftlichen Probleme der Bevölkerung ernst nahmen und unter anderem eine kräftige Erhöhung des Kindergeldes versprachen.
Wojcieszek eilt über den knallroten Teppich, lässt sich vor dem großen Theatersaal in einen Sessel fallen. Streicht sich die langen Haare aus der Stirn. Wechselt vom Englischen ins Polnische:
"Vor einem Jahr habe ich in Warschau das Stück 'Polnisches Blut' inszeniert. Gegenüber vom Theater, auf der anderen Straßenseite, lag das Geburtshaus der Kaczynski-Brüder. Und da haben wir uns ein wenig drüber lustig gemacht. Einige Monate später wurde das Theater geschlossen. Danach wollte kaum noch jemand meine Stücke aufführen. Jetzt setze ich meine ganze Hoffnung auf dieses Theater."
Das Musical-Theater gehört der Stadt. Die Warschauer Zentralregierung hat daher kaum Einfluss. Und der Direktor ist ein alter Bekannter von ihm, der erkannt hat, dass zeitgenössische Theater-Stücke gefragter sind denn je.
"Das sind hervorragende Zeiten für Theater-Stoffe. Das Publikum ist sehr offen. Seit unserer ersten Produktion waren wir fast immer ausverkauft."
"Ich glaube, das wird hier so laufen wie in Ungarn"
Die Regierung in Warschau kürzt die Gelder, wo sie kann, sagt der Regisseur. Theaterfestivals und Rockkonzerte verloren in den letzten zwei Jahren ihre Förderung, missliebige Museumschefs ihre Posten. Zuletzt traf es die die Chefin des polnischen Film-Instituts.
"Nun, wo die PiS das Nationale Filminstitut übernommen hat, werden sie bei Filmproduktionen den Geldhahn zudrehen, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Im Theater sieht es etwas besser aus, da gibt es mehr Bühnen. Da gibt es auch mehr Leute, die gegen die Regierungspolitik arbeiten. Ich würde sagen, das sind maximal fünf Prozent der Theater in Polen."
Der 43-Jährige lächelt. Er gefällt sich in der Rolle des Widerspenstigen, der sich schon immer jenseits des kulturellen Establishments verortete:
"Als die Rechten acht Jahre in der Opposition waren, da bekamen sie auch keine Unterstützung von der Regierung. Trotzdem haben sie es geschafft, ein Netzwerk von Institutionen aus dem Nichts aufzubauen. Es kann also auch für uns lehrreich sein, mal von der finanziellen Unterstützung ausgeschlossen zu sein. Wir waren doch vollkommen davon abhängig. Und das ist nie gut..."
Die national-konservative PiS-Regierung als Katharsis für die Kulturszene? Wojcieszek wiegt den Kopf. Das wäre ein schöner Dramen-Stoff. Wenn die Situation nicht so ernst wäre:
"Wenn wir nicht in der EU wären, wären die Grenzen jetzt geschlossen und ich wäre im Exil oder im Gefängnis. So wie in der Türkei. Ich glaube, das wird hier so laufen wie in Ungarn, wo alles gekürzt wird. Dann müssen die kritischen Künstler ins Ausland, um nach Unterstützung zu suchen. Und so verlieren sie den Kontakt zum heimischen Publikum. Das ist sehr bedrohlich."