Ein Gerüst verhüllt den 56 Meter hohen Turm des Slupsker Rathauses. Blaue Schutznetze hängen in langen Bahnen vor der roten Backstein-Fassade. Bauarbeiter sanieren das Gebäude im neugotischen Stil, erbaut 1901, als die Stadt nahe der Ostseeküste noch Stolp hieß. Autos rollen über den weitläufigen, gepflasterten Vorplatz. Ein älterer Mann steuert zielstrebig die schwere Rathaus-Tür an. Die Wollmütze tief ins Gesicht gezogen eilt er vorbei an Stelltafeln, auf denen der Haushalt der 90.000-Einwohner-Stadt grafisch aufbereitet ist. Einnahmen, Ausgaben, Posten für Posten.
"Wissen Sie, das interessiert mich nicht" sagt der Mann ohne die Tafeln eines Blickes zu würdigen. Eine Rentnerin mit blondierten Haaren und warmem Mantel bleibt vor dem Schaubild mit der Aufschrift "Kultura" stehen. 14,7 Millionen Zloty, umgerechnet etwa 3,6 Millionen Euro gibt die Stadt für Kultur aus, liest die 60-Jährige. Davon rund 3,2 Millionen Zloty für die Philharmonie und die drei Theater.
"Wir haben einen sehr guten Bürgermeister", sagt die Rentnerin und lächelt breit. "Diese Schautafeln waren seine Idee. Zum ersten Mal ist alles sehr transparent und die Einwohner wissen wofür das Geld ausgegeben wird." Die pensionierte Lehrerin lobt dann noch die kostenlosen Kultur-Veranstaltungen der Stadt.
"Wir sind hier näher am Westen als an Warschau"
Dass die Zentralregierung in Warschau das Kulturleben hier vor Ort beeinflussen könnte, glaubt sie nicht:
"Nein, wir bemerken hier keinen Einfluss", sagt sie und schüttelt den Kopf. "Unser Bürgermeister ist gegen PiS und auch einige Bürger engagieren sich bei Protesten. Glücklicherweise sind wir näher am Westen als an Warschau".
Drinnen, im Rathaus sind die backsteinernen Kreuzgewölbe aufwendig saniert. Eine geschwungene Steintreppe führt nach oben. Hinter Zimmertür Nummer 113 befindet sich das Sekretariat des Bürgermeisters. Der allerdings ist viel beschäftigt und noch unterwegs. Eine der beiden Mitarbeiterinnen bittet zu warten.
Immer wieder kommen Mitarbeiter herein, klingelt das Telefon. Dann endlich: Der Bürgermeister; Robert Biedron. Fröhlich lächelnd, sich gleichzeitig entschuldigend, auf Polnisch und Deutsch:
"Herzlich Willkommen! Dobra, no dobrze, zapraszam panstwa..."
Der George Clooney der polnischen Politik
Graue Haare, dunkelgrauer, schmal geschnittener Anzug, weißes Hemd, lila Krawatte. Einige nennen ihn den George Clooney der polnischen Politik. Biedron bittet in sein Amtszimmer. Kristallleuchter, Standuhr, Holztäfelung und historische Stofftapeten – all das strahlt altehrwürdigen Glanz aus. Nur ein modernes Stehpult bricht das Bild. Und das Schild an der Tür: "Hier wird Leitungswasser serviert", ist darauf zu lesen. Biedron nickt:
"Wir trinken Leitungswasser, weil wir mit guten Beispiel vorangehen möchten. Ich habe die fünftverschuldetste Stadt Polens übernommen. Wir möchten zeigen, wie man Geld sparen kann, wie man ökonomisch wirtschaftet und zwar indem man bei sich selbst anfängt. "
Seit seinem Amtsantritt 2014 hat Robert Biedron einiges in der Stadt verändert. Er setzt auf Transparenz, um das Vertrauen der Bürger in die Institutionen zurückzugewinnen. Denn Misstrauen gegenüber der Politik sei Polens größtes Problem, so Biedron:
"Auch mein Terminkalender ist öffentlich, auch die der anderen Offiziellen. Und auch unsere Gehälter werden veröffentlicht, so dass die Menschen wissen, was wir verdienen. Wir sind die transparenteste Stadtverwaltung Polens."
Gegenmodell zu Warschauer Zentralregierung
Biedrons Sieg 2014 bei den Kommunalwahlen war eine kleine Sensation. Denn der 41-Jährige ist offen schwul, lebt seit Jahren mit seinem Lebenspartner zusammen. Transparenz und Offenheit im Privaten wie im Öffentlichen – das macht ihn für viele Menschen sympathisch. Gerade hat Biedron den neuen Chef der Philharmonie ernannt. Eine Entscheidung, an der viele beteiligt waren, inklusive der Beschäftigten, wie der Bürgermeister betont:
"Natürlich treffe ich am Ende die Entscheidung, so sieht es das Gesetz vor, aber bis dahin ist es ein langer Prozess. Ich entscheide erst, nachdem ich die Meinungen und Empfehlungen von einer Reihe Kulturexperten angehört habe. Das ist genau das Gegenteil von dem, was PiS versucht durchzusetzen, dieses Handverlesene..."
Biedron schüttelt den Kopf. Er sieht seinen Stil auch als Gegenmodell zum Vorgehen der Warschauer Zentralregierung. Noch haben in vielen polnischen Kommunen unabhängige oder liberale Bürgermeister das Sagen. Und die verwahren sich gegen eine Einmischung aus Warschau.
"Problematische Dinge passieren gerade"
Doch kommenden Herbst sind landesweit Kommunalwahlen. Schon haben PiS-Abgeordnete eine Wahlrechtsänderung vorgeschlagen, mit dem Ziel – so Kritiker – den Einfluss der Regierungspartei auf lokaler Ebene auszuweiten. Biedron wird plötzlich ernst:
"Problematische Dinge passieren gerade, und die Gesellschaft lässt es zu, ein großer Teil der Gesellschaft unterstützt das. Wir haben jetzt eine Situation, wo die Fundamente des Staates zerstört werden, weil wir glauben, dass das Verfassungsgericht und die Verfassung nicht wert sind dafür zu kämpfen, aber glücklicherweise gibt es Leute, die es anders sehen."
Mit Offenheit und Transparenz gegen Misstrauen und Rechtsruck – ob Biedrons Konzept aufgeht, wird sich spätestens im Herbst zeigen, wenn er sich zur Wiederwahl stellt, bei den Kommunalwahlen. "Drücken Sie mir die Daumen", sagt er zum Abschied:
"Keep fingers crossed for me… Danke schön!"