Streng blickt der Sicherheitsmann erst auf das Pkw-Kennzeichen. Dann auf das "Deutschlandfunk"-Logo. Schließlich auf seine Unterlagen. Er schüttelt den Kopf. Die Schranke bleibt unten, die Zufahrt zum "Institut für Nationales Gedenken" in Warschau versperrt. "Sie sind nicht angemeldet, eigentlich darf ich sie nicht reinlassen", sagt der Hüne in schwarzer Uniform. Dann öffnet er doch noch die Schranke und weist uns einen Parkplatz zu.
Im Foyer: erst Passkontrolle, dann einige Telefonate. Am Institut für Nationales Gedenken lagern Dokumente aus der Wende- und Vorwendezeit. Spitzel- und Geheimdienstberichte, Regierungsakten. Historiker kümmern sich um die Aufarbeitung. Auch einen Chefankläger gibt es. Und eine Bildungsabteilung, die ist für die Vermittlung der Geschichte zuständig. Wir sind mit der Chefin verabredet. Allerdings wurde die vor zehn Stunden überraschend entlassen.
Opfer- und Heldengeschichten
Im dritten Stock stürmt eine Mitarbeiterin aus dem Büro. Auf dem Boden stehen Umzugskisten. An der Wand werben Plakate für die IPN- Film-Produktion: "16 gegen 17.000". Der siegreiche Kampf der polnischen Armee gegen eine sowjetische Übermacht 1920 vor Warschau. Heldengeschichten.
"Rafal" ruft die Mitarbeiterin aufgeregt über den Gang. Rafael Pekala kommt, an seiner Seite Karolina Kolbuszweska. Die beiden bitten in ein Nebenzimmer an einen kleinen Besprechungstisch umgeben von Bücherregalen.
"Wir verstehen Bildung breit gefasst", sagt Kolbuszweska. "Unsere Hauptaufgabe ist die Bildung von Kindern und Jugendlichen, aber auch von Erwachsenen. Hier in Polen, aber auch im Ausland. Wir wollen dazu beitragen, dass Schüler und Studenten stolz darauf sind, polnisch zu sein."
Ein nationaler Bildungsauftrag mit Stolz als Unterrichtsziel. Die Gräueltaten von Deutschen und Russen, der Widerstand der Polen, die Bespitzelung in der Volksrepublik – das alles gehört zum Bildungskanon. Opfer- und Heldengeschichten. Rafael Pekala holt ein Brettspiel aus dem Regal, beginnt zu würfeln: die Luftschlacht um London, bei der einige polnische Piloten auf Seiten der Royal Air-Force gegen die Nazi-Bomber kämpften. Heldenhafter Widerstand.
Leitungsposten mit Schleudersitz
Alle Schulen bekommen die Spiele als Unterrichtsmaterial, sagt Karolina Kolbuszewska. Dazu noch Geschichts-Memory und ein Spieleset über den Alltag im Sozialismus. Titel: "Schlange stehen".
Rafal Pekala würfelt weiter. Karolina Kolbuszweska erklärt. Er ist Multimediaberater, sie Soziologin und Bildungsexpertin. Gemeinsam vermitteln sie polnische Geschichte. Seit einiger Zeit eine brisante Angelegenheit. Dreimal wechselte in den letzten zehn Monaten ihr Vorgesetzter.
Nein, das möchten sie auf keinen Fall kommentieren. Die beiden blicken sich an. Kolbuszewska massiert ihre Finger, Pekala spielt nervös mit seinem Stift.
"Wir haben einen öffentlichen Auftrag", sagt Pekala, "den befolgen wir". So steht es im Gesetz. "Das Gesetz aber wurde geändert", wirft seine Kollegin ein. Es war eine der ersten Amtshandlungen der konservativen PiS-Regierung. Vorher durfte die Führung kein Parteimitglied sein, das ist nun Geschichte. Pekala nickt. "Aber wir machen hier nur unsere Arbeit", sagt er, "wir agitieren nicht". Für politische Fragen sei der Präsident zuständig.
Ein IPN-Präsident, der IPN-Erkenntnisse leugnet
Der amtierende Präsident, eingesetzt von der PiS-Regierung, heißt Jarosław Szarek. Der Historiker beschreibt in seinen Büchern vor allem polnische Heldentaten. Unter vielen Kollegen allerdings sorgt er für Unmut. Öffentlich hat er die Verantwortung der polnischen Bevölkerung am Massaker von Jedwabne in Zweifel gezogen. 1941 wurden in dem Örtchen mehr als 200 jüdische Mitbürger von ihren polnischen Nachbarn ermordet. Der polnischstämmige Historiker Jan-Tomasz Gross hatte dieses dunkle Kapitel der polnischen Geschichte 1991 aufgedeckt. Das IPN später, in einer eigenen Untersuchung, die Täterschaft bestätigt. Der neue Präsident aber leugnet die polnische Verantwortung.
"Das ist einfach eine Lüge", empört sich Jan-Tomasz Gross. Und ärgert sich darüber, dass ausgerechnet ein Jedwabne-Leugner nun das Institut für Nationales Gedenken leitet. Gross ist heute Chef des Geschichts-Departments an der US-amerikanischen Universität Princeton und gilt als einer der besten Kenner der mittel- und osteuropäischen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Entwicklung am IPN in seiner alten Heimat Polen verfolgt er mit Besorgnis:
"Dort arbeiten viele Historiker. Das ist eine machvolle Institution. Mit einem enormen Budget von 400 Millionen Zloty. Das Institut ist also sehr gut ausgestattet, aber leider wird es immer mehr zu einer Propaganda-Institution… "
Der Geschichtsunterricht beginnt jetzt mit Polen
Am IPN packen Rafael Pekala und Karolina Kolbuszewska die Geschichts-Spiele zusammen. Stellen sie zurück ins Regal. Die Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium ist unter der national-konservativen Regierung enger geworden, erzählen sie. Auch der Geschichtsunterricht in den Grundschulen wurde reformiert, wie Kolbuszewska erklärt:
"Tatsächlich hat sich das Curriculum geändert. In der vierten Klasse ist der Unterricht nun etwas anders als vorher. Er beginnt nun eher mit wichtigen Persönlichkeiten."
Zuvor stand Weltgeschichte auf dem Lehrplan. Jetzt beginnt der Unterricht mit polnischen Persönlichkeiten.