Hunderte gelbe Werftarbeiter-Helme hängen unter der Decke, verbeulte Spinde lehnen an der Wand. Basil Kerski eilt unter drei großen grauen Lautsprechern hindurch, die früher die Arbeiter beschallten:
"Das sind wirklich Originalgegenstände, die wir gesucht haben auf dem Werftgelände."
Auf der Lenin-Werft. In Danzig. Wo 1980 die friedliche polnische Revolution begann, an deren Ende die Arbeiter den Arbeiterstaat in die Knie zwangen.
"In diesem Kran hat Anna Walentynowicz gearbeitet, ihre Entlassung kurz vor der Pensionierung im Sommer '80 war das humanitäre Motiv."
"In diesem Kran hat Anna Walentynowicz gearbeitet, ihre Entlassung kurz vor der Pensionierung im Sommer '80 war das humanitäre Motiv."
Geschichte und Geschichten. Zusammengestellt von Kerski und seinen Kollegen, präsentiert auf dem ehemaligen Werftgelände. Im Europäischen Soldidarnosc-Zentrum. Wie ein riesiger rostiger Schiffsrumpf liegt der mehrgeschossige Neubau neben dem legendären Werfttor Nummer 2. "Solidarnosc-Ministerium" lästerten die Danziger angesichts der baulichen Dimensionen.
Auch der Ausstellungsansatz war umstritten:
"Es ist Wahnsinn, etwas zu erzählen in einem Moment, wo ja die meisten Akteure noch jung sind. Und die wollen, egal von welcher Seite sie kommen, die wollen die Hoheit über die Interpretation."
"Alle wollen die Hoheit über die Interpretation"
Die Stadt Danzig, die Solidarnosc-Bewegung, die Landes- und die Zentralregierung. Sie gründeten vor zehn Jahren zusammen das Museum. Planung und Bau dauerten mehr als sechs Jahre. Gegen den Widerstand der nationalkonservativen PiS-Partei und Lech Walesas wurde Basil Kerski zum Direktor gewählt:
"Ich bin sehr umstritten. Schon meine Ernennung war umstritten. Als deutscher Staatsbürger mit irakischem Vater, jemand der sich für Flüchtlinge engagiert, geboren in Danzig, gelebt habe ich unter anderem auch im Irak."
Ein feines Lächeln umspielt Kerskis Lippen. Lech Walesa unterstützt ihn mittlerweile. Die regierende PiS-Partei würde ihn nach wie vor gerne loswerden. Dunkler Anzug, am Revers das Victory-Zeichen, auf Hochglanz polierte Schuhe. So führt der 48-Jährige durch die Ausstellung. Sieben großen Räume: Jeder ist einem anderen Geschichtskapitel gewidmet – den Anfängen des Streiks, dem Kriegsrecht, den Verhaftungen;
"Hier sehen sie die lebenden Opfer nur aus dieser Region. Das zeigen wir, weil wir sehen, das ist die gesamte Gesellschaft: jung, alt, Schüler, Studenten, Arbeiter."
Bilder aus den Archiven der Sicherheitskräfte. Trotzig blicken die meisten Inhaftierten in die Kamera. 10.000 Solidarnosc-Mitglieder wurden innerhalb eines Tages verhaftet und in 50 Lagern interniert. Den Widerstand brechen konnten die Machthaber nicht.
"Die Stärke der Solidarnosc war, dass sie sehr, sehr verschiedene Menschen zusammengeführt hat, egal ob Generation, Beruf, politische Ansicht, Verhältnis zur Religion. Sie war immer pluralistisch."
Kerski wiegt den Kopf. Betrachtet ein altes Wahlplakat:
"Hier links ist das Wahlplakat von Jaroslaw Kaczynski und Lech Walesa, heute sind sie auf zwei gegensätzlichen unterschiedlichen Polen."
Jedes Bild eine Hommage an den zivilen Widerstand
Gemeinsam gewannen sie im Juni 1989 die ersten freien Wahlen. Heute sind sie erbitterte politische Gegner. Die PiS-Partei wird nicht müde, den ehemaligen Arbeiterführer als Geheimdienstmitarbeiter – IM-Name "Bolek" – zu diskreditieren:
"Die Machthaber versuchten damals, als sie merkten, er wird nicht auf ihre Seite treten, ihn zu diskreditieren. Persönlich, also auch mit gefälschten Papieren, auch mit Stasi IM-Vorwürfen, das kommt jetzt selber zurück, paradoxerweise wird das benutzt von Leuten, die damals auf seiner Seite waren."
"Wir werden nicht mitmachen in der Show der Vorverurteilungen", sagt der Slawist und Politikwissenschaftler. Er weiß, dass es Akten über "Bolek" gibt. Er hält sie aber nicht für aussagekräftig:
"Wo haben sie die KGB-Zeugnisse das Walesa ein Instrument ist? Wo haben sie es in den Stasi-Unterlagen? Wenn das so wäre, dann wäre es ein gemeinsamer Akteur. Hier in meiner Bibliothek sind alle Dokumente der deutschen Enquete-Kommission zur kommunistischen Geschichte. Es ist nochmal bestätigt worden: 'Walesa war Feind Nummer eins'."
Kopfschüttelnd geht er weiter. Vorbei an großen Schwarzweißfotos der Aufstände im Ostblock. DDR 1953, Ungarn 1956, Tschechoslowakei 1968. Polen 1956, 1970, 1980, 1989: Jedes Bild eine Hommage an den zivilen Widerstand.
"Wir zeigen, wie unterschiedliche Menschen zusammengekämpft haben, das funktioniert sehr gut. Die Menschen, die zu uns kommen, die Polen sagen: Wir wollen dieses Gefühl wiederhaben, das Menschen, die sehr unterschiedlich ticken, etwas zusammen gestalten."
"Macht ist nie ewig – das zeigt diese Ausstellung"
Doch nicht alle spüren dieses "Wir-Gefühl". Zu wenig heroisch. Zu viel Walesa. Zu wenig staatstragend. Das kritisieren Vertreter der PiS-Regierung. Dass Basil Kerski auch noch regelmäßig Flüchtlinge einlädt, missfällt vielen nationalkonservativen Politikern:
"Man wird in den nächsten Jahren mit viel Geld auch viel Druck ausüben können. Der Kulturminister hat vor kurzem offen in einem Interview gesagt, wenn wir die Kommunalwahlen gewinnen, werden wir hier auch durchgreifen. Also die Perspektive ist klar formuliert."
Nebenan, im Museum zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, hat die PiS-Regierung den missliebigen Direktor per Verfahrenstrick aus dem Amt entfernt. Trotz internationaler Proteste. Das wird mit Kerski nicht so einfach funktionieren. Schließlich unterstützt ihn die Stadt. Die Solidarnosc-Bewegung. Und die Regional-Regierung.
"Auch wenn wir rausfliegen sollten, wir haben eine Realität geschaffen, die als Bezugspunkt bleibt. Also auch wenn es verändert wird, wird man sich daran erinnern, dass man es anders machen kann. Und Macht ist nie ewig – das zeigt diese Ausstellung. Jeder, der an der Macht ist, muss das wissen."