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"Polens neue Kartoffel"

Ende Juni erschien auf der Satireseite der Berliner "taz" ein Artikel über den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski mit dem Titel "Polens neue Kartoffel". Dieser war derart empört daüber, dass er das geplante Treffen im Rahmen des "Weimarer Dreiecks" absagte, und stattdessen eine Klage gegen den "taz"-Autoren anstrengte. Thomas Urban hat sich in der Europakolumne über die Folgen Gedanken gemacht.

10.07.2006
    Kann man sich das vorstellen? Auf der Satireseite einer kleinen Zeitung erscheint ein respektloser Text über den Staatspräsidenten des Nachbarlandes. Und dort macht man daraus eine Staatsaffäre.

    Klingt grotesk, doch genau dies ist in diesen Tagen passiert: In der linksalternativen Berliner Tageszeitung, kurz "taz" genannt, erschien Ende Juni unter dem Titel "Polens neue Kartoffel" eine Satire über den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski. Doch anstatt diese zu ignorieren, setzte Warschau den ganzen diplomatischen Apparat in Bewegung, um eine Entschuldigung der Bundesregierung zu erzwingen und den Autoren des Textes zu bestrafen.

    Ganz offensichtlich fühlen sich Präsident Lech Kaczynski und sein Zwillingsbruder Jaroslaw, der nun an die Spitze der Regierung tritt, durch die Satire in dem Berliner Blatt persönlich angegriffen.

    Beide erregten sich öffentlich über den Text, nannten ihn "widerlich". Damit haben sie übrigens keineswegs Unrecht. Der Text ist streckenweise ordinär. Der Autor hatte offenbar vor, sich über das verkrampfte Verhältnis des polnischen Präsidenten zu den Deutschen und zu Homosexuellen lustig zu machen.

    Doch anstatt das Thema geistreich zu überspitzen, belustigt er sich über die geringe Körpergröße der Zwillinge. Das ist billig.

    Die in der Übersetzung wenig gelungene Satire gelangte irgendwie in die Pressemappe für den Präsidenten. Und diesem soll die Lektüre gründlich auf den Magen geschlagen sein.

    Und wegen dieser Magenverstimmung habe er das Treffen im Rahmen des "Weimarer Dreiecks" mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Jacques Chirac abgesagt, berichtete die Warschauer Presse.

    Das Präsidialamt dementierte umgehend, dass die Publikation in der Berliner Zeitung der Grund für die Absage des Treffen gewesen sei.

    Doch dann begingen die polnischen Spitzenpolitiker einen kapitalen Fehler: Anstatt die Satire einfach zu ignorieren, kommentierten sie sie: Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz empörte sich vor laufenden Kameras über diesen "verletzenden Angriff auf das Staatsoberhaupt".

    Und Außenministerin Anna Fotyga, die erst zwei Monate im Amt ist, forderte gar eine öffentliche Distanzierung der Bundesregierung von der Satire, die in der Sprache des "Stürmers" geschrieben sei. "Der Stürmer" war bekanntlich ein antisemitisches Hetzblatt der Nazis, in dem zur Vernichtung der Juden aufgerufen wurde.

    Der Vergleich der "taz" mit dem Stürmer durch die Außenministerin wurde aber sowohl von polnischen, als auch von deutschen Kommentatoren, als böser Missgriff scharf kritisiert. Man könne nicht einen Text, der mangelnden Respekt vor einem Staatsoberhaupt zeigt, auf eine Stufe stellen mit einem Blatt, das zu Völker- und Rassenmord aufruft.

    Doch die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" ließ sich von der Kritik nicht beirren: Sie bat den Justizminister, ein Verfahren wegen Beleidigung des Staatsoberhauptes gegen den "taz"-Autoren einzuleiten.

    Zur echten politischen Affäre aber machte die Aufregung um die Magenverstimmung des Präsidenten ein offener Brief sämtlicher acht Außenminister, die seit der Wende von 1989 die polnische Diplomatie gelenkt haben: Sie warfen dem Präsidenten Kaczynski vor, mit der Absage des Weimarer Dreiecks "ohne triftigen Grund", wie es ausdrücklich hieß, den Interessen Polens geschadet zu haben.

    Und die Kommentatoren der meisten Warschauer Blätter setzten dem noch eins drauf: Mit der Aufregung über die Satire hätten sie den Satiriker nicht nur in Polen, sondern auch in Deutschland nur noch mehr Stoff gegeben.

    Die Bundesregierung aber enthält sich wohlweislich jeden Kommentars.