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Polens Präsident Duda in Berlin
"Euroskeptiker sind in Polen in einer schwierigen Lage"

Die regierende PiS-Partei verfügt zwar über die absolute Mehrheit im Parlament, nicht aber über die absolute Mehrheit unter den Wählern, sagte der polnische Publizist Adam Krzeminski im Dlf. In der Bevölkerung schwinde der Rückhalt der Partei. Er sei zuversichtlich, dass eine "Selbsteuropäisierung" stattfinde.

Adam Krzeminski im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Polen, Krakau: Menschen protestieren gegen eine Justizreform, die vorsieht, dass Richter des Obersten Gerichts bereits mit 65 statt bisher 70 Jahren in den Ruhestand gehen.
    Menschen in Polen protestieren gegen eine Justizreform (picture alliance / Omar Marques)
    Dirk-Oliver Heckmann: Deutschland und Polen, das sind zwei Länder, die durch ihre gemeinsame Geschichte tief miteinander verbunden sind. Allerdings gibt es auch Probleme. Die EU-Kommission hat erst kürzlich ein Rechtsstaatsverfahren in Gang gesetzt, weil die amtierende polnische Regierung reihenweise unliebsame Richter in den Vorruhestand geschickt hat. Der Europäische Gerichtshof hat Ende vergangener Woche per einstweiliger Verfügung entschieden: Das Schicken der Richter in den Vorruhestand muss zumindest erst mal gestoppt und rückgängig gemacht werden.
    In dieser Lage kommt heute Polens Präsident Duda nach Berlin. Er trifft dort auf Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzlerin Merkel und er nimmt am deutsch-polnischen Forum teil. Darüber können wir jetzt sprechen mit dem Publizisten Adam Krzeminski. Schönen guten Morgen - ich grüße Sie.
    Adam Krzeminski: Guten Morgen!
    Heckmann: Andrzej Duda, was ist das für ein Mann?
    Krzeminski: Das ist ein Präsident, der eindeutig an der Seite der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit steht und in dem juristischen Konflikt, den wir seit Jahren haben, und die Gewaltenteilung, um das Verfassungsgericht und jetzt um das oberste Gericht eine Partei ist. Dieser Konflikt hat einerseits auch Folgen für die Beziehungen zur Europäischen Union.
    Andererseits: Wir haben jetzt den 100. Jahrestag der Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit, des polnischen Staates nach dem Ersten Weltkrieg, und im Rahmen dieser Feierlichkeiten haben wir dieses deutsch-polnische Forum in Berlin und den Besuch des polnischen Staatspräsidenten in Berlin.
    Heckmann: Das ist ja auch der Anlass des Besuchs von Duda in Berlin. Inwieweit sollte denn Angela Merkel, wenn sie auf ihn trifft, oder auch der Bundespräsident die Probleme im Bereich Rechtsstaat ansprechen? Ist da die Bundesregierung die richtige Adresse, oder sollte man das lieber der EU-Kommission überlassen?
    Krzeminski: So wie ich das sehe, ist die Bundesregierung nicht an der ersten Linie dieses Konfliktes, sondern das ist tatsächlich Brüssel. Berlin versucht, die Beziehungen möglichst so aufrecht zu halten, wie sie seit Jahren aufgebaut wurden, aber natürlich ist auch die Position in juristischen Fragen unmissverständlich. Insofern finde ich, dass die Politik schon richtig ist: Doppelgleisig, geschmeidig, aber unmissverständlich.
    Das Bild zeigt Bundespräsident Steinmeier, wie er in Warschau von Polens Staatschef Duda empfangen wird. Im Weißen Saal des Präsidialpalastes geben sie sich die Hand.
    Bundespräsident Steinmeier mit Polens Staatschef Duda (dpa / Jens Büttner)
    "Der Kampf geht weiter"
    Heckmann: Doppelgleisig, geschmeidig, aber unmissverständlich. Der Europäische Gerichtshof war auch eindeutig. Der hat nämlich entschieden, die polnische Regierung muss diese Vorruhestandsregelung für die missliebigen Richter stoppen und auch rückgängig machen, erst mal zumindest bis zu einer endgültigen Entscheidung. Denken Sie, dass sich die polnische Regierung daran halten wird?
    Krzeminski: Wir warten auf die Antwort. Es gibt auch einen internen Konflikt, denn der Justizminister, der zugleich auch Oberstaatsanwalt ist, hat das polnische Verfassungsgericht angefragt, inwiefern der Lissaboner Vertrag konform mit der polnischen Verfassung ist. Es wird gemunkelt, dass Jaroslaw Kaczynski, der Parteichef von Recht und Gerechtigkeit, nicht amüsiert ist, weil sein Bruder, der damalige Staatspräsident Lech Kaczynski, den Vertrag mit unterzeichnet hat. Es gibt schon auch Machtkämpfe innerhalb der Recht und Gerechtigkeit, und das vor dem Hintergrund der Kommunalwahlen, die wir letztes Wochenende hatten, am Sonntag hatten, mit nicht den besten Ergebnissen für die Recht und Gerechtigkeit.
    Heckmann: Immerhin! Sie haben, glaube ich, fünf Prozent zugenommen.
    Krzeminski: Sie haben zwar zugelegt. Das ist wahr. Aber sie lagen weit unter den Umfragen der Sonntagsfrage. Die Sonntagsfrage war 40 Prozent; sie haben jetzt 32 bekommen. So toll ist das nicht. Es gelang auch der PiS, keine Hochburg der Opposition, keine Großstadt zu erobern, und die Frage ist, inwiefern man Polen regieren kann, indem man nur auf dem Lande stark ist, aber auch dort eine Gegenmacht hat in der Form der alten Bauernpartei. Sie sollte ausradiert werden. Das war O-Ton der Recht und Gerechtigkeit Politik.
    Aber nein, sie ist mit 13 bis 16 Prozent dort vertreten, und auch die Opposition hat dort ein wenig zugelegt. Das heißt, das Ganze ist nicht so toll, ein halbes Jahr vor den Europawahlen und ein Jahr vor den Parlaments- und dann vor den Präsidentschaftswahlen. Der Kampf geht weiter.
    "Damit sind die Euroskeptiker in einer schwierigen Lage in Polen"
    Heckmann: So hat das unser Korrespondent Florian Kellermann auch eingeordnet, denn wenn auf nationaler Ebene ein solches Ergebnis herauskommen würde, würde die PiS ihre absolute Mehrheit verlieren, und es wäre auch nicht garantiert, dass man überhaupt eine Regierung bilden könne.
    Herr Krzeminski, ich möchte noch mal zurückkommen auf die sogenannte Justizreform. Sie haben es selber gesagt: Der Justizminister hat das polnische Verfassungsgericht angerufen, das jetzt prüfen soll, ob diese Rechtsstaatskontrolle durch die EU überhaupt mit der polnischen Verfassung vereinbar ist. Denn das Justizwesen sei eine innere Angelegenheit. Kann man Mitglied der EU sein und gleichzeitig sagen, wenn Brüssel den Rechtsstaat in Gefahr sieht, dann geht das die Kommission nichts an?
    Krzeminski: Die berufen sich auch darauf, dass 2014 in Deutschland Karlsruhe dieselbe Frage zu entscheiden hatte. Es ging damals, glaube ich, um den Euro-Rettungsschirm und es ging darum, welches Recht welches bricht, das europäische oder das deutsche Recht. Hier muss auch die Frage gestellt werden, will man tatsächlich die Brüsseler Bestimmungen als Norm gebende Instanz anerkennen, und die Antwort ist noch nicht gegeben.
    Die eindeutige proeuropäische Haltung liegt bei 87 Prozent jetzt. Das zeigt, dass die Mehrheit der polnischen Bevölkerung tatsächlich Brüssel als diese Norm gebende Instanz anerkennt. Damit sind die Euroskeptiker in einer schwierigen Lage in Polen.
    "PiS verfügt nicht über die absolute Mehrheit unter den Wählern"
    Heckmann: Sie haben die Umfrageergebnisse angesprochen. Polen gilt ja als besonders EU-freundlich. Trotzdem verfügt die PiS derzeit jedenfalls über eine absolute Mehrheit. Die PiS, die sich ja sehr eurokritisch oder europakritisch und europaablehnend äußert. Wie passt das zusammen aus Ihrer Sicht?
    Krzeminski: Sie verfügt über die absolute Mehrheit im Parlament, aber sie verfügt nicht über die absolute Mehrheit unter den Wählern. Wir dürfen nicht vergessen, dass bei einer niedrigen Wahlbeteiligung 2015 und bei einem unglücklichen Ausgang, dass da ganze Parteien nicht vertreten waren, weil sie nicht die Fünf beziehungsweise Acht-Prozent-Grenze erreicht hatten. Deswegen hat die PiS im Parlament die absolute Mehrheit, aber nicht in der Gesellschaft. Es waren damals etwa 20 Prozent der Wahlbeteiligten, die für die PiS gestimmt haben. Die Lage ist schon nicht so eindeutig für die Recht und Gerechtigkeit, wie man glauben könnte.
    Adam Krzeminski bei der DLF-Sendung "Zur Diskussion - Streitfragen Ost-West" aus dem Zeitgeschichtlichem Forum Leipzig, 15.06.2016
    Adam Krzeminski (Deutschlandradio / Nils Heider)
    Heckmann: Herr Krzeminski, Polen war lange Zeit fremdbestimmt, besetzt von den Deutschen, von den Russen, von den Sowjets. Dass viele Polen nicht so ohne weiteres Kompetenzen an Brüssel abgeben wollen, inwieweit hängt das auch mit der Geschichte zusammen?
    Krzeminski: Ja sicher! Das hängt mit der Geschichte zusammen. Aber das hängt auch mit einer tiefen Spaltung in der Gesellschaft selbst zusammen. Das heißt das, was ich angesprochen habe: Land-Großstädte, Ost-West. Es gibt auf der Karte nach den Wahlen, auch nach den Kommunalwahlen die alten Teilungsgrenzen, die kann man immer wieder erkennen. Das heißt, der Westen Polens ist proeuropäischer als der Osten, und das ist nicht nur das, was preußisch war, sondern auch die Westgebiete, die früheren deutschen Ostgebiete. Es ist ein gespaltenes Land. Wir sind mitten in einer tiefen internen Häutung der polnischen Gesellschaft. Ich bin mittelfristig zuversichtlich, dass diese Selbsteuropäisierung durchaus im Gange ist.
    Heckmann: Polens Präsident Duda wird heute zu politischen Gesprächen in Berlin erwartet. Wir haben darüber gesprochen mit Adam Krzeminski, Publizist und Autor. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Krzeminski, und Ihnen einen schönen Tag.
    Krzeminski: Vielen, vielen Dank. – Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.