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Polens Rechtsstreit mit der EU
Morawiecki muss mit starkem Gegenwind rechnen

Die polnische Regierung und die EU liegen seit vielen Jahren im Streit – zuletzt wegen der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichtes, das polnische Verfassungsrecht stehe über dem Recht der europäischen Gemeinschaft. Das kann und will Brüssel so nicht auf sich sitzen lassen.

Von Carolin Born |
EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen und Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki Brüssel
EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen und Polens Regierungsschf Mateusz Morawiecki Brüssel (picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Pascal Rossignol)
Noch bevor Polens Premierminister überhaupt im europäischen Parlament aufgetreten ist, bekommt er bereits Ratschläge, zum Beispiel von Jean Asselborn. Es gebe zwei Wege für die polnische Regierung, so Luxemburgs Außenminister am Montag (19.10.21):
"Der eine Weg ist: Sie ändern ihre Verfassung in Polen, und das ist machbar. Dann ist das Problem gelöst. Dann kann kein solches Urteil mehr erlassen werden. Der andere Weg ist: Die Polen versuchen, europäisch die Verträge zu verändern. Das ist unmöglich."
Pro-Europäische Demonstranten in Polen nach dem Urteil des Verfassungsgerichts
Polens Verhältnis zur EU
Seit Jahren schwelt ein Konflikt zwischen der EU und der Regierung in Polen um Rechtsstaatlichkeit. Anfang Oktober fällte das polnische Verfassungsgericht ein höchst umstrittenes Urteil zum Vorrang von nationalem Recht vor EU-Recht. Was sind die Folgen? Ein Überblick.

Morawiecki warnt vor EU als zentral regiertem Organismus

Kein Mitgliedsstaat sei unentbehrlich, so Asselborn, der damit auf einen sogenannten Polexit hinweist – dieses Szenario steht im Raum, seit das polnische Verfassungsgericht geurteilt hat, wesentliche Teile des EU-Rechts seien nicht in Einklang mit der polnischen Verfassung. Dieses Urteil soll Polens Ministerpräsident soll am Dienstag in einer Debatte im Europaparlament in Straßburg verteidigen. Im Vorfeld hat Mateusz Morawiecki die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer gewarnt, die EU könne bald kein Bund freier Staaten mehr sein. In einem von der Regierung veröffentlichten Schreiben spricht Morawiecki von der Umgestaltung der EU zu einem zentral regierten Organismus, der von Institutionen ohne die demokratische Kontrolle der Bürger Europas geführt werde.
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird vor dem Parlament auftreten. Sie hat bereits deutlich gemacht, dass sie das Urteil für höchst problematisch hält. Die EU-Kommission hat wegen der umstrittenen Justizreform mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eröffnet und Klagen beim Europäischen Gerichtshof eingereicht.
Daniel Freund (Grüne): "Es geht ans Eingemachte der EU"
Nach der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts fordert der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund entschiedenes Handeln der Europäischen Kommission. Ausschließen könne man Polen nicht, aber wer sich nicht an gemeinsame Regeln halte, könne auch kein EU-Geld bekommen, sagte er im Dlf.

Rechtsstaatsmechanismus anwenden und Gelder zurückhalten

Für nicht ausreichend hält das eine deutliche Mehrheit im Justizausschuss: Das Parlament soll die Kommission wegen Untätigkeit verklagen, sollte die den Rechtsstaatsmechanismus nicht anwenden, so die Meinung der Abgeordneten. Der erlaubt es der Kommission, EU-Mittel zurückzuhalten, wenn im Empfängerland der Rechtsstaat nicht funktioniert und die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt ist.
Für Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, ist dies der Fall – es handele es sich um ein von der Regierung bestelltes Urteil:
"Das ist auch kein Wunder, weil das Verfassungsgericht so umgebaut und besetzt worden ist, dass es immer nach dem Willen der Regierung entscheiden wird."
Sechs Jahre Dialog mit der polnischen Regierung hätten zu nichts geführt, so die SPD-Politikerin. Barley fordert die Kommission deswegen dazu auf, die Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds weiterhin zu sperren und den Rechtsstaatsmechanismus anzuwenden.
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bei einer Pressekonferenz der EU-Kommission
Worum es beim Streit um Polens Justizreform geht
Die EU-Kommission will Zwangsgelder gegen Polen verhängen, weil die nationalkonservative Regierung weiter an ihrer Disziplinarkammer, einer Richteraufsichtsbehörde, festhält. Es ist die nächste Eskalation im Streit um den Umbau von Polens Justizsystem.

Unionspolitiker setzten auf Debatte

Anders hatte sich Angela Merkel vergangene Woche ausgesprochen: Politische Differenzen ließen sich nicht durch Gerichtsverfahren klären, so die Kanzlerin. Und: Der Rechtsstaatsmechanismus ist kein Artikel 7 Verfahren – mit diesem Verfahren wird ein schwerwiegender Bruch der Rechtsstaatlichkeit festgestellt.
Auch Merkels Parteikollege Daniel Caspary hofft darauf, Wege zu finden, damit Polen auf dem Pfad der Rechtsstaatlichkeit bleibt. Zur Debatte mit Morawiecki sagt der Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament:
"Ich erwarte für die Debatte, dass er durch teilweise schräge Vergleiche versuchen wird, die Situation in Polen zu relativieren – aber da gibt es nichts zu relativieren."
Polen werde ein loyales Mitglied der Europäischen Union bleiben – das hat Morawiecki bereits beteuert – inwiefern das mit dem Urteilsspruch weiter möglich sein wird, darüber wird das Parlament morgen streiten.