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Polens Ringen um gute Beziehungen mit Russland

Nach der Flugzeugkatastrophe in Smolensk vor drei Jahren gehen nach wie vor 30 Prozent der Polen von einem Mord aus - den die Russen begangen haben sollen. Die Distanz zum Nachbarland ist nach der Katastrophe größer geworden. Auch die Russen tragen dafür Verantwortung.

Von Sabine Adler | 10.04.2013
    Die Generatoren brummen, sie liefern in tiefschwarzer Nacht Strom für die Scheinwerfer, die das Flugzeugwrack beleuchten. Der polnische und der russische Premierminister, Donald Tusk und Wladimir Putin, legen Blumen nieder. Der Pole sinkt vor den Trümmern auf die Knie, betet, knetet fast die Hände, er ringt augenscheinlich um Fassung. Der Russe bekreuzigt sich. Putin wartet, bis Tusk aufsteht. Klopft ihm auf den Rücken, die Männer umarmen sich. Eine Schlüsselszene. Voller Hoffnung für die einen, Anstoß erregend für die anderen.

    "Wir haben diese wirklich günstige Gelegenheit nicht genutzt, die Chance vertan"," sagt der langjährige polnische Botschafter in Moskau, Stanislaw Ciosek. ""Schuld ist unsere Streitsucht. Das muss ich den deutschen Zuhörer ehrlich gestehen und ich schäme mich dafür. Ein Teil der Gesellschaft glaubt an eine Verschwörung, wie bei den Amerikanern, die immer noch denken, die Mondlandung hätte es nie wirklich gegeben, nur im Filmstudio. Dass bei uns jetzt ein Drittel der Bevölkerung glaubt, dass die Russen unseren Präsidenten ermordet haben, konnte nur geschehen, weil sie sich das einreden lassen haben, von Politikern, denen jedes Mittel recht ist, Hauptsache sie kommen an die Macht."
    Jaroslaw Kaczynski, der seinen Bruder Lech, den Präsidenten verlor, gab und gibt die Richtung vor, der einflussreiche Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit, PiS, stiftet und findet keinen Frieden.

    "Die Ermordung von 96 Personen, unter ihnen der Präsident, und viele angesehene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, ist ein nie da gewesenes Verbrechen."

    Die Medien spielten das Spiel mit, ein Chefredakteur verlor sein Posten

    Spricht jemand von einem Unglück, nicht von einem Anschlag, wird das in diesen Kreisen schon als Positionierung verstanden, pro Tusk, gar pro Russland.
    Die Medien spielten das Spiel mit und mitunter noch ein eigenes. Die Zeitung "Rzeczpospolita" behauptete im Herbst, dass Sprengstoffspuren an dem Wrack gefunden worden sind, der Chefredakteur verlor für diese Ente seinen Posten, die Zeitung ihren guten Ruf.

    Als der Chef der Staatskanzlei, Tomasz Arabski, jetzt Botschafter in Spanien werden sollte, unterstellten ihm empörte PiS-Abgeordnete, vor der Verantwortung und möglicher Strafverfolgung fliehen zu wollen. Während draußen Demonstranten vor dem Sejm-Ausschuss protestierten, wurde drinnen der künftige Botschafter gegrillt:
    "Werden Sie jeden Präsidenten so wie Lech Kaczynski retten? Wie wollen Sie die Vertretung in Spanien führen? Genau so wie die Kontakte mit Familien der Smolensk-Opfern? Werden Sie wieder Familien sagen, dass man Särge nicht öffnen darf? Gott behüte, dass polnischen Bürgern irgendetwas in Spanien zustößt."

    Eine Anspielung auf das Chaos mit den sterblichen Überresten. Rund ein Dutzend Leichen sind in verkehrten Gräbern bestattet worden, mussten exhumiert werden, wie die berühmte Kranfahrerin und Solidarnosc-Anführerin Anna Walentynowicz oder der Präsident der Exilregierung Kaczorowski.

    Tomasz Arabski, als Chef der Staatskanzlei wird als verantwortlich für die Reiseplanungen und damit als hauptschuldig für die Tragödie angesehen. Als ihn Außenminister Schikorski jetzt nach Spanien schickte, geriet der Minister selbst ins Kreuzfeuer, wünschte man ihn nach Afghanistan, nicht in außenpolitischer Mission, sondern als Korrespondent der russischen "Komsomolskaja Prawda".

    Lukarz Mazurkiewicz vom Zentrum für polnisch-russische Verständigung stellte kürzlich fest, dass die Haltung zu dem Unglück von Smolensk auf das Verhältnis der Polen zu Russland abfärbt.

    "Alter, Geschlecht oder Ausbildung beeinflussen Verhältnis zu Russland nicht so sehr wie Einschätzung der Katastrophe. Je kritischer sie ausfällt, desto schlechter das Verhältnis zu Russland. Die Polen halten Russland für das feindlichste Land, gefolgt von Weißrussland und mit großem Abstand Deutschland. Die emotionalen Beziehungen zu Deutschland haben den kritischen Punkt überwunden, kulturell fühlen sich die Polen Deutschland viel näher als Russland."

    "Wir sollten endlich aufhören, ewig vor Russland Angst haben"

    Die Distanz zwischen Moskau und Warschau ist nach der Katastrophe wieder größer geworden. Nicht nur wegen der in Polen verbreiteten Russlandphobie, auch weil Putin weder das Flugzeugwrack herausgibt, dass die Polen selbst untersuchen wollen, noch die Akten von Katyn, was der damalige Präsident Medwedjew versprochen hatte.

    Der ehemalige polnische Botschafter in Moskau Staniswaw Ciosek, macht für den verpassten Neubeginn mit Russland auch die eigene Regierung verantwortlich.

    "Dass 30 Prozent an einen Anschlag auf das Flugzeug glauben, ist ein Ergebnis von Untätigkeit. Unterlassung. Die Regierung Tusk nahm an, dass sich die Wahrheit von allein durchsetzt, nur ist das unmöglich, wenn 30 Prozent der Gesellschaft die Mordversion für wahr halten. Das ist ein politisches Phänomen, das darf man nicht bagatellisieren.”"
    Botschafter Ciosek findet, dass sein Land wegen der verfahrenen Beziehungen zu Moskau seine Hausaufgaben nicht macht, nämlich sich um ein gutes Verhältnis zwischen der EU und Russland zu kümmern.
    "”Ich bin ein Optimist, wenn es um die russisch-polnische Beziehungen geht. Wir sollten endlich aufhören, ewig vor Russland Angst haben."

    So gespalten, wie die Gesellschaft ist, so getrennt wird an diesem 3. Jahrestag mit Demonstrationen und Märschen der Opfer gedacht. Premier Tusk legte bereits heute Morgen um 5 Uhr vor allen anderen und allein Blumen auf dem Powazki-Friedhof nieder, dass er heute nach Nigeria reist, wird ihm als weiterer Fehler angekreidet.

    Diese Sendung lief im Deutschlandfunk am 10. April 2013, um 7:50 Uhr