Bettina Klein: Es sollte der Tourismus der Türkei offenbar getroffen werden, oder auch Deutschland als ein Land, das sich dem IS-Kampf nun doch ziemlich verschrieben hat. Ruprecht Polenz, langjähriger CDU-Außenpolitiker - unter anderem war er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses -, heute ist er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Herr Polenz, wie groß ist das Risiko für Deutsche jetzt Ihrer Meinung nach? Ist aus der abstrakten Gefahr, von der wir ja immer wieder gehört haben, nun definitiv eine konkrete geworden?
Ruprecht Polenz: Ich habe sie immer auch als ziemlich konkret empfunden, denn das, was in Paris passiert ist, sollte ja auch das Fußballspiel zwischen Deutschland und Frankreich treffen, und wenn der Anschlag im Stadion nicht vereitelt worden wäre, hätten wir ganz schreckliche Bilder noch zusätzlich rund um die Welt gehabt. Ich habe, seitdem andere europäische Hauptstädte von Terror getroffen worden sind, immer das Gefühl gehabt, es könnte genauso gut eine Stadt in Deutschland sein.
"Es sollte in jedem Falle Touristen treffen"
Klein: Und gehen Sie davon aus, dass man bewusst eine deutsche Touristengruppe sich dort als Ziel ausgesucht hat?
Polenz: Darüber wird ja unter den Sicherheitsbehörden wohl noch überlegt, ob das so ist. Dass es in jedem Falle Touristen treffen sollte, davon kann man, denke ich, ausgehen vom Anschlagsort her. Dass die Wahrscheinlichkeit, dass bei so vielen deutschen Touristen in Istanbul jedenfalls auch deutsche Touristen unter den Opfern sein würden, das konnte der Attentäter sicherlich auch unterstellen. In jedem Fall aber unterstreicht der Anschlag, dass wir gemeinsam mit der Türkei getroffen worden sind, so wie wir auch gemeinsam mit den Franzosen und den anderen getroffen worden sind, die bisher Anschläge erleiden mussten.
Klein: Deutsche Tornado-Flugzeuge haben Anfang des Jahres ihre Aufklärungsflüge im Kampf gegen den IS begonnen, und zwar von türkischen Stützpunkten aus. Ziehen Sie da eine Verbindung?
Polenz: Ich weiß nicht, ob die Attentäter eine gezogen haben, aber wir dürfen uns ja durch solche Spekulationen nun unter gar keinen Umständen davon abhalten lassen, den Terrorismus möglichst wirksam zu bekämpfen, und dazu gehört im Falle des sogenannten Islamischen Staates eben auch, ihm die Rückzugsgebiete und die Ressourcen zu nehmen, und das sind die Gebiete, die er kontrolliert. Deshalb auch ein militärischer Einsatz, obwohl sonst der Einsatz gegen den Terrorismus überwiegend polizeiliche, geheimdienstliche Angelegenheit ist.
Klein: Rechnen Sie denn, Herr Polenz, möglicherweise jetzt auch noch mal mit einem Stimmungswechsel auch hierzulande in Deutschland? Es hieß ja immer, sobald wir selber getroffen würden, wenn auch Deutsche unter den Opfern sind, dann würde man vielleicht noch mal umdenken, auch was Fragen der inneren Sicherheit angeht, und vielleicht auch, was den Anti-Terror-Kampf insgesamt angeht.
Polenz: Ich weiß nicht, in welche Richtung ein Umdenken dann erfolgen sollte. Ich hoffe jedenfalls nicht, dass wir den Terroristen dadurch auf den Leim gehen, dass das, was sie gerne wollen, Angst und Schrecken zu verbreiten, dass uns das jetzt erfasst und sozusagen lähmt in unserer Abwehrbereitschaft. Im Gegenteil: Es sollte uns eigentlich anspornen, gemeinsam mit den anderen Ländern, die in gleicher Weise Ziel terroristischer Anschläge sind, zu überlegen, wie wir mit noch mehr Gemeinsamkeit den Terrorismus bekämpfen können.
"Wir müssen schon zusammenstehen gegen diese Herausforderung"
Klein: Möglich wäre ja theoretisch ein Umdenken in zweierlei Richtung: Einerseits, was Sie gerade angedeutet haben, dass man sagt, seht ihr, das habt ihr nun davon - so argumentiert die Linkspartei, glaube ich, im Augenblick auch schon - und sagt, das ist jetzt die Quittung dafür, dass ihr euch auch militärisch am Kampf gegen den IS beteiligt. Das wäre die eine Möglichkeit. Oder aber man sagt, es ist einfach ernster zu nehmen, dass auch Deutschland und auch Deutsche ein Ziel dieser Terrororganisation sind.
Polenz: Die erste Variante, wenn wir uns nicht am Kampf gegen den Terrorismus beteiligen, dann sind wir fein raus, das halte ich für völlig absurd. Erstens lässt man sich damit erpressen und man weiß ja, was mit Erpressungsopfern letztlich passiert. Und zweitens ist es auch gegenüber denen, die auf unsere Solidarität angewiesen sind, feige und unsolidarisch. Wir müssen schon zusammenstehen gegen diese Herausforderung, und die Frage, ob wir genug tun, das müssen die Sicherheitsbehörden beantworten, ob sie genug Mittel haben, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Aber ich glaube, das Wichtigste und das, was jeder von uns tun kann, ist einfach, sich nicht über Gebühr erschrecken zu lassen, so schlimm die Ereignisse sind, nicht das tun, was die Terroristen wollen, dass wir es tun, und dazu gehört auch, die Terroristen wollen uns und die Muslime in unserer Gesellschaft auseinanderbomben und dadurch erreichen, dass wir eine Konfrontation mit den friedlich bei uns lebenden Muslimen in unseren Gesellschaften bekommen. Das ist aus meiner Sicht die größte Gefahr, vor der wir stehen.
Klein: Was ergibt sich darüber hinaus jetzt für deutsche Staatsbürger? Sie warnen davor, sich einschüchtern zu lassen. Sollen wir also weiterhin auch reisen an Orte und in Städte, wo diese Terrorgefahr möglicherweise größer ist?
Polenz: Ich würde bei allen Auslandsreisen immer empfehlen, die Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes sich anzuschauen. Die sind, was die Türkei angeht, jetzt so, dass man Menschenansammlungen meiden soll. Aber es gibt keine generelle Reisewarnung. Das ist auch der Grund, wenn sich daran nichts ändert, dass ich im Februar wie geplant nach Istanbul fahren werde.
Klein: Sie haben es abschließend auch gerade angesprochen, dass Sie sich Sorgen machen, was diese Anschläge möglicherweise auch für die Stimmung hier in Deutschland, auch für das Zusammenleben mit den Muslimen bedeuten könnte. Was wäre Ihr Rat im Augenblick an die Bundesregierung, vielleicht auch an die deutsche Gesellschaft, selbst darauf jetzt zu reagieren?
Polenz: Wenn man erkennt, was die Terroristen wollen, dann ist es eigentlich das einfachste, man macht genau das Gegenteil. Dann ist man schon mal nicht ganz verkehrt. Wir können und werden den Terrorismus besiegen, wenn wir uns nicht von ihm auseinandertreiben lassen, wenn wir unsere Gesellschaft nicht destabilisieren lassen, wenn wir nicht wegen des Terrorismus zu pauschalen Feindbildern kommen, die Minderheiten in unserer Gesellschaft, die hier ganz friedlich leben, auf einmal in eine feindliche Ecke rücken.
Klein: Der langjährige CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz zum Selbstmordanschlag heute in Istanbul, und das Gespräch mit ihm haben wir vorhin aufgezeichnet.
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