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Polio
Viren breiten sich weiter aus

Eigentlich sollten Polio-Viren und damit Kinderlähmung in den kommenden Jahren ganz von der Erde verschwinden. Und tatsächlich galten die Erreger schon fast als ausgerottet. Doch mittlerweile sind die Viren wieder auf dem Vormarsch. Davor warnte die Weltgesundheits-Organisation, WHO, in dieser Woche.

Von Joachim Budde |
    Ein Kind wird im pakistanischen Karachi gegen Polio geimpft.
    Muslimische Geistliche haben die Polio-Impfung wie hier in Pakistan verboten. (dpa / Shahzaib Akber)
    Zehn Staaten sind demnach betroffen. Vor allem in Krisengebieten wie Syrien und Afghanistan breitet sich Polio über Landesgrenzen hinweg aus. Als besonders riskant schätzt die WHO auch die Lage in Nigeria ein. Obwohl dort eine Kampagne läuft. Hinter den Rückschlägen stecken religiöse Konflikte: Muslimische Geistliche haben eine Fatwa gegen die Impfkampagne ausgesprochen, denn sie glauben, die Aktion richte sich nicht gegen Polio, sondern wolle die Muslime ausrotten. Der Impfstoff mache impotent. In den Provinzen mit überwiegend muslimischer Bevölkerung im Norden Nigerias ist es schon wiederholt zu tödlichen Anschlägen auf Impfhelfer gekommen. Doch man habe sich inzwischen auf die Situation eingestellt, sagt Inouwa Yau Barau, der im Nigerianischen Gesundheitsministerium für die Polio-Impfkampagne verantwortlich ist: "In den Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa ist die Arbeit der Impfkampagne sehr riskant. Aber wenn wir uns die Daten anschauen, die wir von dort bekommen, sehen wir, dass wir trotz der Sicherheitsprobleme gute Fortschritte machen."
    Seit Januar habe es bislang nur einen einzigen Fall von Polio in seinem Land gegeben, sagt Barau. 2013 seien nur halb so viele Menschen erkrankt wie im Jahr zuvor. Ein Grund dafür sei, dass seine Mitarbeiter auch die unsicheren Provinzen nicht meiden: "Dort herrscht ja nicht ständig Krieg. Jedes Mal, wenn wir eine Gelegenheit sehen, gehen unsere Teams schnell dorthin, leisten ihre Arbeit und kommen so schnell wie möglich wieder heraus."
    Zirkulation der Wildviren endgültig stoppen
    So optimistisch Inouwa Barau auch ist, andere Gesundheitsexperten teilen seine Zuversicht nicht. "Wir werden es sicher nicht schaffen, zum Ende diesen Jahres, Nigeria für poliofrei erklären zu können, und erst die nächsten Jahre und die Gesamtsituation in diesem Land wird zeigen, ob es in diesem Land möglich sein wird, eben auch die Zirkulation der Wildviren endgültig zu stoppen." Olaf Müller ist Professor für Public Health und internationale Gesundheit an der Universität Heidelberg. Er sieht ein Problem in der Art, wie diese Kampagne konzipiert ist: Sie sei zu eng auf eine einzelne Erkrankung fokussiert, ein vertikaler Ansatz: "Der richtige Ansatz wäre eine systematische Stärkung der Basisgesundheitssysteme weltweit, und weniger krankheitsspezifische Initiativen. Sie müssen sich vorstellen, in einem Durchschnittsland in Afrika zum Beispiel, da gibt es eher weniger Fachpersonal in den Ministerien zum Beispiel, und die müssen sich dann mit Dutzenden von vertikalen Gesundheitsinitiativen rumschlagen, die bekommen zwar von denen Geld, aber müssen dann auch Berichte schreiben, und haben dann kaum mehr Zeit für die anderen Durchschnittsgesundheitsprobleme ihrer Bevölkerung, und das ist ein Ansatz, der zunehmend kritisiert wird."

    In den Gebieten ohne Sicherheitsprobleme, bemühten sich die nigerianischen Gesundheitsbehörden bereits um einen breiteren Hilfsansatz, sagt Inouwa Barau:
    "Dort sind permanente Polio-Teams stationiert, die gleichzeitig eine Grundversorgung mit Gesundheitsdienstleistungen bieten. Damit bauen wir Vertrauen zur Bevölkerung auf."

    Bei allem Optimismus warnt jedoch auch er vor Gefahren für die Zukunft: "Es gibt Risiken: Das erste sind die Finanzen. 70 Prozent sind spendenbasiert. Wenn der Geldfluss ins Stocken gerät, bekommen wir Probleme. Das zweite ist die Sicherheit, das bereitet uns weiterhin Sorgen. Und drittens müssen wir die Qualität unserer Impfkampagne beibehalten, um nachhaltig Erfolg zu haben. Jeder Fehltritt würde uns weit zurückwerfen."