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Polit-Aktivisten "Schwabinggrad Ballett"
Leben nach der Willkommenskultur

Das "Schwabinggrad Ballett" ist eine Gruppe von Aktivisten und Künstlern, die kritisch und kämpferisch mit Musik und Tanztheater für die Belange von Flüchtlingen sensibilisieren - jenseits des etablierten Kulturbetriebs.

Von Andi Hörmann |
    Ted Gaier (2. von rechts), LaToya Manly-Spain (Bildmitte) und Christine Schulz (2. von links) proben eine Performance
    Mitglieder des "Schwabinggrad Balletts“ und Mitglieder von „Arrivati“ bei den Proben einer Performance (Andi Hörmann)
    Das Lagerfeuer knistert, Vögel zirpen - irgendwo im Nirgendwo der Berliner Vorstadt-Pampa. Das "Schwabinggrad Ballett" aus Hamburg probt Politproteste.
    "Ich glaube wir sind in Deutschland das erste Projekt, was das so ernst nimmt, so eine Vision von einem zukünftigen Zusammensein in Musik auszudrücken", sagt Ted Gaier.
    Zwischen Musik und Theater
    Kontrabass, zitterndes Schlagzeugbecken und getupfte Klaviernoten. Verkehrte Welt, Unheil und Idyll: Der musikalische Ausdruck sitzt. Die Vorstellung der Person dahinter: holperig, doch charmant. Bitteschön: "Ich? Ich bin Ted Gaier. Vorstellen? Ja, weiß nicht. Ich bin seit 1999 Mitglied von Schwabinggrad Ballett und sonst bei den Goldenen Zitronen und Theaterschaffender… So halt."
    Zwischen Musik und Theater. "So, so. Die Grenzen sind ja heutzutage nicht so klar, auch zwischen Performance und Theater. Mir ging es eigentlich immer eher darum, als Politaktivist zu versuchen, Theaterelemente oder Performance-Elemente im öffentlichen Raum zu machen", sagt Gaier.
    Das "Schwabinggrad Ballett" ist ein Mob an Aktivisten und Künstlern, kritisch und kämpferisch mit Musik und Tanztheater als Waffe für ein Sensibilisieren der Belange von Geflüchteten - jenseits des etablierten Kulturbetriebs.
    "Es gibt ja wohl kaum noch Künstler in Europa, die nicht irgendwelche Gelder bekommen, indem sie das irgendwie mit der Refugee-Sache verknüpfen und dann ihre Projektion daraus machen, meistens ohne die Refugees oder indem man sie etwas basteln lässt oder auf der Bühne ausstellt. Das ist ja eine Refugee-Industrie, wo eigentlich nur prekarisierte, mitteleuropäische Kunstschaffende verdienen", sagt Gaier. "Wir versuchen das ein bisschen anders zu machen. Nämlich, dass wir sozusagen auf Augenhöhe Formen entwickeln, die sozusagen auch den politischen Kampf begleiten, und die wie so eine utopische Idee abgeben könnten von etwas Kommenden."
    Was lernen wir von den Zwistigkeiten und Zerwürfnissen der Flüchtlingspolitik? Eine Frage ganz im Brecht'schen Sinne. Der Parforce-Ritt mit Slogans im Sattel: Wie wir leben wollen, kein Mensch ist illegal, für immer Punk.
    Ted Gaier sagt: "Worauf wir nicht so stehen, ist so die Selbstgewissheit im linken Spektrum und auch diese ästhetische Abgeranztheit, wo da jetzt auch Parolen am Start sind, die einfach total langweilig sind. Seit vierzig Jahren kenne ich die mittlerweile: Hoch die internationale Solidarität! Ich weiß nicht, wen das noch irgendwie vom Hocker reißt."
    Christine Schulz vom Schwabinggrad Ballett: "Jetzt gerade proben wir für ein Video. Das Stück auf der Platte heißt "Bodys will be back" und das wird heute verfilmt als Musikclip."
    "Ich bin Christine Schulz, ich bin seit Anfang des Schwabinggrad Ballett dabei. Ich mache für das Schwabinggrad Ballett-, Tanzchoreographien, Chor- und Sprechgesänge, spiele auch diverse Instrumente oder singe an einigen Stellen."
    "Wie überraschend das oft ist: Auch Menschen, die vielleicht nie zusammen performt haben, auf einmal kommen da so Fähigkeiten ans Licht, von denen hat irgendwie keiner was geahnt. Davon zehre ich, das macht mich irgendwie glücklich", sagt Schulz.
    "Die Willkommenskultur war gestern, heute möchten wir leben - miteinander"
    Europa tötet die Flüchtlinge: Mit dieser perkussiven Parole eröffnen "Schwabinggrad Ballett" das Album "Beyond Welcome!". Die Willkommenskultur war gestern, heute möchten wir leben - miteinander.
    Entstanden sind die Stücke als Soundtrack ihrer Protest-Performances, als unbequem rumpelndes Agieren im öffentlichen Raum auf unzähligen Demonstrationen während der letzten fünfzehn Jahre. Agitprop-Pop an den Zäunen von Wirtschaftsgipfeln und in Flüchtlingslagern - konkret politische Texte, verpackt in abstraktem Jazz als globale Sprache. Das Album "Beyond Welcome!" erscheint nun in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Aktivisten-Kollektiv "Arrivati".
    "Arrivati ist ein italienisches Wort und bedeutet: Menschen, die angekommen sind", sagt LaToya Manly-Spain. Manly-Spain kommt aus Sierra Leone, seit 1994 ist sie in Hamburg als politisch engagierte Musikerin aktiv.
    "Ich bin Sängerin, arbeite mit verschiedenen interkulturellen Projekten mit Jugendlichen und Kindern, arbeite aber gleichzeitig bei einer selbstorganisierten Initiative, die Flüchtlinge und Migranten betreut, und arbeite auch mit einem Abgeordneten der linken Partei und habe da eine Vertretungsstelle für Flüchtlinge.", sagt Manly-Spain.
    Ein Flüchtling, der am Projekt teilnimmt, sagt: "Ich bin geboren am ersten Januar 1982. Ich komme aus dem Sudan, ich bin schon vier Jahre in Deutschland, ich bin Aktivist, politischer Aktivist gegen Omar Al-Bashir, dem Gouverneur im Sudan und auch hier Aktivist für Flüchtlinge"
    Flüchtlinge finden Sprachrohr in Musik und Performance
    An der Sprache hapert es noch, ihr Sprachrohr finden die Geflüchteten in Musik und Performance. Manche wollen nicht als Einzelperson in die Medien, sie wollen ihre Belange im öffentlichen Raum kollektiv auf die Bühne bringen - in einem Potpourri aus Musikgenres, einem Panoptikum an Messages. Wie in dem Musikvideo, das sie gerne drehen: "Bodies will be back", frei übersetzt: Alles kommt auf uns zurück. Nehmen wir unser Schicksal also in die Hand. Und jetzt alle: Bodies will be back…
    "Unsere ganzen Mitmenschen, die jetzt gestorben sind im Mittelmeer. Der Kampf für die ist nicht verloren, wir machen weiter. Die leben durch uns weiter", sagt Manly-Spain.
    Die Release-Party zu "Beyond Welcome!" von "Schwabinggrad Ballett" & "Arrivati" findet am 8. September im "://about party" am Ostkreuz in Berlin statt. Nach einer Diskussion mit politischen Initiativen stellen "Schwabinggrad Ballett" & "Arrivati" ihr Album "Beyond Welcome!" mit einem Konzert vor.