Dienstagmorgen in Brüssel, 8 Uhr 30. "Politico Europe" hat eingeladen. Kaffee, Croissants, Jazzmusik. Rechts ein kleines Podest mit zwei roten Sesseln. Links reihenweise schwarze Klappstühle für das Publikum, gut 50 geladene Gäste: Journalisten, Interessenvertreterinnen, Unternehmer, EU-Mitarbeiterinnen. Alles Brüssel-Insider.
"Ich bin begeistert, dass wir das Playbook-Breakfast heute live übertragen können. Mit Valdis Dombrovskis, dem Mann mit dem längsten Titel...", stellt der "Politico"-Journalist Florian Eder seinen Gast an diesem Tag vor. Den Vizepräsidenten der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, zuständig für den Euro und sozialen Dialog.
Das Interview wird live auf der Facebook-Seite von "Politico" übertragen. Anderthalb Stunden über EU-Finanzen, von Griechenland-Schulden über Kapitalmarktunion bis Brexit.
Politik-Journalismus per E-Mail-Newsletter
"Mein Name ist Florian Eder, ich schreibe unseren täglichen politischen Morgen-Newsletter 'Brussels Playbook’."
"Politico" hat auch eine Webseite, eine gedruckte Wochenzeitung und ein Magazin. Aber Markenzeichen und Aushängeschild ist der englischsprachige Playbook-Newsletter, in Brüssel genauso wie in Washington. Geschrieben im spielerischen, persönlichen Ton einer Kolumne, gewürzt mit Humor und Klatsch.
"Politico" hat auch eine Webseite, eine gedruckte Wochenzeitung und ein Magazin. Aber Markenzeichen und Aushängeschild ist der englischsprachige Playbook-Newsletter, in Brüssel genauso wie in Washington. Geschrieben im spielerischen, persönlichen Ton einer Kolumne, gewürzt mit Humor und Klatsch.
Der Newsletter bricht damit nicht nur bewusst mit der Trennung von Nachricht und Meinung. Sondern das Playbook bricht auch bewusst mit den Nachrichtenzyklen, erklärt Florian Eder:
"Weil ich relativ wenig Zeit darauf verwenden muss, über den Tag, der zurückliegt, zu erzählen und sehr früh am Tag mich darum kümmern kann, was am nächsten Tag das große Thema ist. An guten Tagen ist es tatsächlich eine informierte und analytische Vorausschau auf den Tag, der da kommt."
Drei Jahre "Politico Europe" in Brüssel
Und diese Vorausschau bekommen 85.000 Leserinnen und Leser, morgens kurz vor 7 Uhr. Politik-Journalismus als Früh-Sport also. Und mit dem Motto: Spiel, Satz und Scoops. Denn über Exklusiv-Geschichten definiert sich die Brüsseler Politico-Mannschaft aus mittlerweile 60 Journalisten.
Scoops gehören zum Geschäftsmodell von "Politico", sagt die Geschäftsführerin Shéhérazade Semsar-de Boisséson.
"Ich bin die Geschäftsführerin von Politico Europe, das ja bekanntlich ein Gemeinschaftsunternehmen des Axel-Springer-Konzerns und Politico in Washington ist. Wir sagen immer, die Sterne für diese Zusammenarbeit hätten sich plötzlich in eine Reihe gefügt."
Finanzierung über Abonnements für Insider
"Politico" habe nach Brüssel expandieren wollen. Der Axel-Springer-Konzern habe sich Journalismus im Stil von "Politico" in Brüssel gewünscht. Und sie selbst hatte die Wochenzeitung namens "European Voice" gekauft, um sie nach dem Vorbild von "Politico" zu schmieden. Aus diesem Trio mit ein und derselben Idee entstand dann das Gemeinschaftsunternehmen "Politico Europe".
Unter dem Strich bringt diese Idee noch kein Geld ein. 2019, im vierten Geschäftsjahr, soll "Politico Europe" erstmals kostendeckend arbeiten und beginnen, profitabel zu werden. Zurzeit kommen die Einnahmen aus der Werbung, den Veranstaltungen und zur Hälfte aus "Politico Pro". Das sind die Bezahl-Abos, die im Schnitt mindestens 7.000 Euro pro Jahr kosten. Mindestens.
Anonyme Kritik an Geschäftsmodell und Redaktion
"Wir haben zur Zeit rund 700 Organisationen, die Politico Pro abonniert haben", berichtet die Geschäftsführerin. Darunter sind große Unternehmen und auch EU-Parlament, EU-Kommission und EU-Rat.
Es gibt durchaus Journalisten-Kollegen in Brüssel, die sich kritisch äußern - zumindest anonym. Ein Kritikpunkt ist, dass "Politico"-Exklusiv-Infos zum Teil nur an seine Abonnenten weitergibt. Informiert werde dann nicht die breite Öffentlichkeit, sondern nur ein elitärer Kreis von Unternehmen und Organisationen, die sich die teuren Abos auch leisten können.
Der andere Kritikpunkt: "Politico" lasse sich von der EU-Kommission instrumentalisieren. "Politico", das Sprachrohr der Kommission, heißt es. Denn viele Exklusiv-Infos aus Kommissionskreisen würden auffällig oft bei "Politico" landen und nicht bei anderen Medien, so der Vorwurf.
Redaktion aus 60 Journalisten
Diese Kritik überrascht Semsar-de Boisséson: "Das höre ich zum ersten Mal." Auch Florian Eder, der in Brüssel sehr gut vernetzt ist, hat diese Kritik noch nie persönlich gehört. Warum die Scoops in Brüssel ausgerechnet bei "Politico" landen - dafür hat seine Kollegin Semsar-de Boisseson eine Erklärung, die logisch und selbstbewusst klingt:
"Wir haben die Scoops, weil wir eine Menge Leute vor Ort haben. Ich glaube, das ist einfach eine Frage der Zahlen."
"Politico" habe einen Vorteil, den viele andere ausländische Redaktionen nicht haben: Man beschäftige nicht zwei, drei Korrespondenten, sondern 60 Journalisten in Brüssel. Und deren erste Aufgabe sei es nun mal, Scoops zu landen - auch im Auftrag der zahlenden Abonnenten.
"Wir werben damit, dass unsere Abonnenten als erste infomiert sind", unterstreicht die Geschäftsführerin.
Und da schließt sich der Kreis zum kostenlosen Newsletter von Florian Eder und zur Interview-Veranstaltung an diesem Morgen. Das alles soll natürlich ein Schaufenster sein, für die Arbeit von 60 "Politico"-Journalisten in Brüssel - und die lässt sich größtenteils nur mit Abos finanzieren.
In Washington hat dieses Modell schon mal geklappt. In Brüssel muss sich "Politico Europe" weiter beweisen - finanziell und journalistisch.