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Politik im Hinterzimmer
Die neue Pizza-Connection

Sie nennen sich Pizza-Connection 2.0 oder Kartoffelküche: Abgeordnete aller Parteien treffen sich derzeit abseits der Politikbühne, um bereits jetzt über die Zeit nach der Großen Koaltion nachzudenken. Und das geht besonders gut beim Essen.

Von Stefan Maas | 16.01.2014
    "Die Kartoffel ist eine sehr vielseitige Zutat in der bürgerlichen Küche."
    Die Kartoffel. Sie fasziniert Steffen Kampeter, den Bundestagsabgeordneten aus Nordrhein-Westfalen und parlamentarischen Staatssekretär im Finanzministerium. Nicht nur, weil Kartoffelsuppe zu den Lieblingsgerichten der Kanzlerin gehört. Der CDU-Politiker sitzt entspannt zurückgelehnt in seinem schwarzen Bürosessel und lächelt versonnen. Er hat sich extra ein paar Minuten Zeit genommen, um über jenes Nachtschattengewächs zu reden, das von deutschen Tischen kaum wegzudenken ist.
    "Die bürgerliche Küche ist eine Küche des Mittelstandes. Sie grenzt sich ab von exotischen und extremen kulinarischen Erlebnissen."
    Für Kampeter gehören sie zusammen, die Kartoffel und das Bürgerliche, die Mitte der Gesellschaft. Deshalb lässt er nichts anbrennen, als publik wird, dass junge christdemokratische und grüne Bundestagsabgeordnete sich zusammensetzen und die legendäre Pizza-Connection wiederbeleben wollen. Kampeter schließt sich mit dem ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen stammenden FDP-Politiker Otto Fricke kurz. Der konkurrierende – in dem Fall schwarz-gelbe Gesprächskreis – ist gegründet. Der Name – gut bürgerlich:
    "Die Kartoffelküche will deutlich machen, dass bürgerliche Politik für das 21. Jahrhundert noch relevant ist."
    Der CDU-Politiker sorgt sich, dass eine Politik der bürgerlichen Mitte bald genau so ein Schattendasein führen könnte wie die liberale Partei. Dabei war die viele Jahrzehnte nicht aus dem Deutschen Bundestag wegzudenken. Wie konnte es zu diesem Absturz kommen, zur Abwahl der FDP? Gäbe es Schwarz-Gelb noch, wenn Kampeter und Fricke schon früher zu Tisch gebeten hätten? Denn die Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen - auch nach Liebesheiraten:
    "Einer der Befunde, die zur Gründung der Kartoffelküche geführt haben, war, dass Union und FDP zwar viel miteinander regiert haben, aber vielleicht zu wenig über Inhalte gesprochen haben."
    Das wollen sie jetzt nachholen. Selbstvergewisserung der bürgerlichen Mitte, sagt der Christdemokrat. Die CDU sollte nicht weiter nach links schauen.
    "Und natürlich hat es auch etwas damit zu tun, dass die Mitglieder der Kartoffelküche glauben, dass eine aufgewärmte Pizza kein Zukunftskonzept für Deutschland ist."
    Die Pizza. Neben der Brüsseler Banane gehört sie wohl zu den bekanntesten politischen Lebensmitteln in Deutschland. Nicht, weil eine dicke Schicht Käse auf einer dünnen Grundlage Zutaten jeder Farbe zusammenhalten kann. Sondern wegen der legendären Connection, die ihr ihren Namen verdankt. Auch wenn heute viele versichern, ausgerechnet dieses Gericht sei nie auf den Tisch gekommen - ab Mitte der 90er-Jahre, als sich bei einem Bonner Italiener junge Abgeordnete von CDU und Grünen trafen. Peter Altmaier war dabei, Herman Gröhe, Norbert Röttgen, Ronald Pofalla, Rezzo Schlauch, Katrin Göhring-Eckardt – und Czem Özdemir.
    "Man muss vielleicht vor der Klammer sagen, dass der Grund für das Entstehen der Pizza-Connection jetzt nicht war, dass junge Christdemokraten und junge Grüne da strategische Langzeitüberlegungen angestellt haben, wie man eines Tages mal Schwarz-Grün bekommt. Es ist entstanden aus ganz praktischen Gründen. Es gab einfach ganz wenig junge SPD-Abgeordnete."
    Heute ist das anders. Es gibt nicht nur mehr junge sozialdemokratische Abgeordnete. Es gibt auch schwarz-grüne Bündnisse. In Kommunen und auf Länderebene – das jüngste Beispiel: Hessen. Also – keine große Geschichte, der neue schwarz-grüne Gesprächskreis, könnte man meinen. Daneben getippt. Denn auch wenn Grünenchef Özdemir letztes Jahr, nachdem die Grünen beschlossen hatten, nicht in Koalitionsverhandlungen mit der Union zu treten, erklärt hatte:
    "Die Tür ist nicht zugenagelt."
    Für die neue schwarz-grünen Gesprächsrunde, die sich gestern Abend zum ersten Mal getroffen hat, gilt: Geschlossene Gesellschaft. Wer teilnimmt? Kein Kommentar. Wie viele teilnehmen? Auch da hielten sich die beiden Organisatoren – Jens Spahn für die CDU und Omid Nouripour für die Grünen – vornehm zurück. Und ließen ihre Büros mitteilen: Vielleicht werde man etwas von einem künftigen Treffen erzählen. Zu gestern Abend aber jedenfalls war Stillschweigen vereinbart.
    Immerhin, das war zu hören, wenn auch nicht offiziell: Die Runde der etwa 30 habe den Segen der CDU-Chefin, denn auch eine Große Koalition dauert ja nicht ewig. Bei den Grünen gebe es sowohl eine grundsätzliche Offenheit als auch eine gewisse Zurückhaltung, erzählt Katja Dörner, stellvertretende Fraktionschefin der Grünen Bundestagsfraktion. Nach dem Treffen.
    "Wir wurden sozusagen unter Vortäuschung falscher Tatsachen da hin gelockt. Es gab nämlich gar keine Pizza. Aber sehr leckere Nudeln."
    Es sei eine nette Kennenlernrunde gewesen. Folgetreffen seien bereits geplant. Über Themen, Inhalte, Differenzen und Gemeinsamkeiten habe man noch nicht gesprochen. Naja, ein kleines bisschen wohl doch. War zu lesen. Katja Dörner hat getwittert:
    "Die Albsteigerin ist mir sehr sympathisch. Wir sind beide sehr skeptisch, was Schwarz-Grün angeht."
    Doch während der jungen CSU-Abgeordneten Katrin Albsteiger möglicherweise Schwarz-Gelb oder Alleinregierung als Alternativen vorschweben, kann sich die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen auch vorstellen, mit SPD und Linkspartei zu regieren. Das gilt auch für Stefan Liebich. Der Linken-Politiker gehört zu den Organisatoren eines Gesprächskreises mit dem wenig kulinarischen aber nach Zukunft klingenden Namen: R2G. Zweimal Rot einmal Grün. Heute etabliert, kam der anfangs – vor fünf Jahren - nicht gut an:
    "Die Sozialdemokraten mussten bei ihrem damaligen Fraktionsvorsitzenden Peter Struck antanzen. Und auch bei uns waren nicht alle begeistert."
    Bis heute würde sich Liebich mehr Unterstützung aus Partei- und Fraktionsspitze wünschen. Immerhin, ein ehemaliger Teilnehmer der Treffen hat es bis an die Spitze seiner Fraktion geschafft: Der Grüne Anton Hofreiter. Es ist legitim, dass sich die Grünen nun auch mit der CDU unterhalten, findet Linken-Politiker Liebich. Und auch die Erfahrung, dass ein Gesprächspartner in der Regierung ist, haben sie schon mal gemacht. In der letzten Großen Koalition.
    "Wir haben uns auch klar gemacht, dass wir uns, egal, in welchen Rollen wir sind, vertrauen können",
    pflichtet SPD-Politiker Frank Schwabe ihm bei. Gemeinsam hat die Gruppe ein Papier zu den Rechten der kleinen links-grünen Opposition erarbeitet. Exotisch finden die R2Gler das nicht. Das mag an ihrem Motto liegen. Das prangt über ihren Vorschlägen auf dem Papier. "Das Leben ist bunter". Darüber: zwei rote und eine grüne Peperoni.