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Politik kommt nie auf leisen Sohlen

Polit- und Dokumentarfilme kommen beim venezianischen Filmfest eigentlich eher selten vor. Doch diesmal war und ist das anders - und nicht nur Regisseur Oliver Stone fand den Weg in die TV-Nachrichten.

Von Josef Schnelle |
    Stöckelnde Blondinen, die gerade Misswahlen gewonnen haben und auch echte veritable Weltstars der Filmbranche sind rar in diesem Jahr auf dem roten Teppich vor dem Palazzo del Cinema. George Clooney und Matt Damon einmal ausgenommen, fehlt es den diesjährigen Filmfestspielen entschieden an Glanz. Das mag mit dem Filmprogramm, gespickt mit Filmkunst aus aller Welt, zu tun haben, aber vielleicht hat sich auch bei der Definition eines Stars etwas verändert.

    Hugo Chavez, umstrittener Präsident von Venezuela zum Beispiel ließ es sich nicht nehmen, der Galavorstellung von Oliver Stones Dokumentarfilm "South of the border" beizuwohnen. Stone und Chavez trugen identische knallrote Krawatten, aber Chavez hatte entschieden mehr Spaß am Spiel mit den Photographen. In seinem Dokumentarfilm versucht Oliver Stone eine durchaus einseitige Ehrenrettung von Chavez und besucht dabei acht weitere Präsidenten im amerikanischen Hinterhof Lateinamerika, die ihm Rang und Charisma von Chavez bestätigen

    Stone: "Der Film wuchs immer mehr und wurde eine Art von Road-Movie, als wir immer mehr von diesen Präsidenten besuchten. Wir sahen die positive Seite davon, was passiert. Der ganze Wandel in dieser Region wird unterschätzt in Amerika, sie wissen überhaupt nichts darüber, ignorieren es."

    Stone, der schon Fidel Castro und Yassir Arafat in mitfühlenden Dokumentarfilmen verewigt hat, macht sich zum Propagandisten von Chavez, der unmittelbar vor seinem Venedigauftritt die Reihen seiner Blockfreien Allianzen mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Amadenischad geschlossen hatte. "Das ist ein Kontakt unter Staatsmännern."

    Wiegelte Stone kritische Fragen ab und wies darauf hin, dass er auch schon ein Amadenischad-Porträt geplant hatte, das bisher nicht zu Stande gekommen ist. Die naive Freude an der Provokation mag Stone bei diesem Dokumentarfilm, der als eine Kritik an der undifferenzierten US-amerikanischen Medienhetze gegen Chavez begonnen haben mag, der dann aber zu einem sehr konventionellen Propagandafilm der alten Schule wird, der auf Kongressen der internationalen radikalen Linken herumgereicht werden kann.

    Da mag man sich doch eher auf Stones Fortsetzung seines Erfolgsfilms Wallstreet von 1987 freuen: Money never sleeps. Im Hotel Quatro Fontane traf der eine Kapitalismuskritiker den anderen: Michael Moore. Der war unmittelbar vorher der am heftigsten gehypten Stars auf dem Lido, schrieb mehr Autogramme als alle Schauspielstars zusammen und löste eine Hysterie aus, die in früheren Tagen den Meistern der Schauspielkunst vorbehalten gewesen ist. "Kapitalismus – eine Liebesgeschichte", Moores neuer Film, der vor der Finanzkrise begonnen worden ist, aber deren Themen berührt, erzeugte stehende Ovationen des Premierenpublikums in der Abendgarderobe.

    Sein Film, in dem er wieder einmal einige Schweinereien aufdeckt werden wurde von zwei großen Studios finanziert, die - so Moore - doch noch den Strick verkaufen, an dem man sie aufhängt. Am Ende ruft er zu nicht weniger als einer Revolution auf: Ich kann das nicht länger machen, sagt er, macht einfach mit und beeilt euch und dann kommt ein Lied, das alle kennen, das aber als amerikanischer Swing reichlich unbekannt ist.

    Filmausschnitt: "Moore hat wie üblich beeindruckende Skandale recherchiert: dass amerikanische Unternehmen qua heimlicher Lebensversicherung Wetten auf das Ableben ihrer Mitarbeiter eingehen, dass Richter Jugendliche für Bagatellen heftig bestrafen, um den Knast privater Träger, von denen sie geschmiert werden, zu füllen, und dass überhaupt heftig und herzlos gewirtschaftet wird. Es gibt wieder einmal nur eine Lösung: Rückkehr zu den Prinzipien Franklin D. Roosevelds, zu dessen Zeit die Reichen noch 70 Prozent Steuern zahlen mussten.

    In Europa, besonders in Deutschland und Frankreich, sei dagegen alles gut. Dort habe die Demokratie schon den Kapitalismus gezähmt, behauptet Michael Moore. Ziemlich naiv ist das, aber Moore ist ein Star, einer von der Sorte, an dessen Lippen man hängt, auch wenn er wenig glaubwürdig sagt, er habe 100 Pfund abgenommen. Das muss der Kapitalismus erst mal nachmachen. Und Hugo Chavez auch."