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Politik und Social Media
"Das sind nachhaltige Beziehungen"

Ein großer Fehler vieler Politiker sei es, soziale Medien ausschließlich in den Wochen vor der Wahl zu nutzen, sagte Politikberater Martin Fuchs im Dlf. Was sie schaffen müssten: Eine Community und damit auch Vertrauen aufbauen - wie es auch Youtuber wie Rezo gemacht hätten.

Martin Fuchs im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
Der Politikberater und Blogger Martin Fuchs
Blogger und Politikberater Martin Fuchs (privat)
Ann-Kathrin Büüsker: Wir wollen uns hier im Deutschlandfunk jetzt genauer mit den Kommunikationsformen der vergangenen Tage beschäftigen, diverse Videos und Social-Media-Statements und eine teilweise durchschimmernde Hilflosigkeit der Parteien, sichtbar geworden unter anderem bei der CDU, die erst ein Reaktionsvideo auf das erste Rezo-Video ankündigte, und dann doch ein elfseitiges PDF-Dokument anstelle dessen veröffentlichte. Über die politische Kommunikation im digitalen Raum möchte ich jetzt mit Martin Fuchs sprechen, Politikberater und Experte für politische Kommunikation, insbesondere im digitalen Raum. Einen schönen guten Tag, Herr Fuchs!
Martin Fuchs: Moin, moin, hallo, Frau Büüsker!
Büüsker: Herr Fuchs, mit Blick auf die Ereignisse der letzten Tage, da plädiert Außenminister Heiko Maas, SPD, heute gegenüber T-Online dafür, Politik stärker in sozialen Medien zu vermitteln, und er sagt, viele Politiker hätten die Bedeutung der digitalen Kommunikation nach wie vor nicht erkannt. Teilen Sie seine Einschätzung?
Fuchs: Also wenn ich Heiko Maas ausnehmen kann und ein paar andere weitere Politikerinnen, die das anders machen, würde ich definitiv zustimmen. Also wir haben jetzt seit 14 Jahren Facebook auf dem deutschen Markt, was genutzt wird, und wir haben sehr, sehr viele auch schon Online-Kampagnen gesehen in den letzten Jahren, und ich habe nicht das Gefühl, dass Parteien sich darauf vorbereitet hätten, diesen digitalen Raum zu verstehen und in diesen digitalen Raum vorzudringen und dort auch sichtbar zu sein und in der Tat, da hat Heiko Maas recht, Politik mal zu erklären, weil das ist, glaube ich, das, was vielen neben den inhaltlichen Schwerpunkten, die die gesetzt haben, ganz ganz wichtig ist, dass sie gar nicht mehr verstehen, was in Brüssel, Berlin und vielleicht in Landeshauptstädten da passiert.
"Es ist schwer, Social Media in die Hierarchie zu integrieren"
Büüsker: Aber wie erklären Sie sich denn, dass die Parteien, Sie haben erwähnt, die Plattformen gibt es ja schon sehr, sehr lange, dass die Parteien nach wie vor keine Strategien für den Umgang damit haben?
Fuchs: Ich glaube, das war ganz am Anfang natürlich die fehlende Relevanz, die man darin gesehen hat, weil man sagte, okay, man ist ja in den klassischen Medien vertreten, man hat die Kanäle, man erreicht noch viele Millionen Leute. Das stimmt ja auch, gerade in den großen Volksparteien erreicht man vor allem ältere Menschen, die auch gerade vor zehn Jahren noch gar nicht so stark in Social Media unterwegs waren. Und dann hat man, glaube ich, es sehr sehr schwer auch in so einer Partei gerade wie der SPD zum Beispiel, 156 Jahre alt, diese Social-Media-Strukturen oder die Kultur von Social Media zum Beispiel in eine Strukturenhierarchie einer Volkspartei zu integrieren. Das ist extrem schwer. Also wenn man acht Stunden braucht, um zum Beispiel Tweets freizugeben, damit die Entscheider-Riege dann auch mal drüber geguckt hat und sich da eine Meinung gebildet hat – so funktioniert dann halt Diskurs in Social Media nicht.
"Hintergrundgespräche mit Youtubern führen"
Büüsker: Wenn Sie sagen, Kultur von Social Media, was meinen Sie denn damit?
Fuchs: Da meine ich zum Beispiel, wenn jemand ein reichweitenstarkes Video ins Netz stellt, dort eine Position, eine Meinung hat, wie man damit souverän umgeht, dass man eben nicht, nur weil es Zerstörung heißt und weil es in den Kreisen vielleicht von CDU-Entscheidern ein sehr hartes Wort, was nach Krieg klingt ist, dann gleich versucht, den despektierlich anzugreifen für dieses Wort, aber man nicht verstanden hat, dass es in der Youtuber-Sprache oder im Netz eine ganz andere Bedeutung auch hat, der Code "Zerstörung". Da fängt es schon an zum Beispiel. Oder dass man dann irgendwie versucht, auf der gleichen Ebene zurückzuschlagen, in Anführungsstrichen, indem man dann auch selbst ein Video produziert, was dann irgendwie vielleicht pseudo-cool sein soll und irgendwie diese jungen Leute dann abholen soll – auch das ist eine komplett falsche Reaktion. Also ich hätte mir gewünscht, seit Jahren rede ich da auch auf die Parteiführung ein in verschiedenen Parteien, dass man einfach mal versucht, auch ähnlich, wie es mit Journalisten ist, Hintergrundgespräche mit Youtubern zu führen, mit Instagrammern, diese Leute kennenzulernen, die Leute einzuladen, den Leuten zu erklären, was man macht. Und da fehlt also schon die Grundlage eines digitalen Diskursraumes, den man mit diesen neuen Multiplikatoren und Gatekeepern finden muss.
"Youtube war immer schon extrem politisch"
Büüsker: Wobei diese Politisierung gerade der YouTube-Szene, ist das nicht auch ein vergleichsweise neues Phänomen?
Fuchs: Das glaube ich nicht. Also natürlich ist es jetzt das sichtbare Phänomen, weil jetzt natürlich auch viele Youtuber älter werden und sich natürlich vielleicht auch gesellschaftlich mehr Gedanken machen, als es in der Anfangszeit war, wo sie vielleicht mit anderen Themen auf YouTube präsent waren wie Unterhaltung, Mode, was auch immer, Food-Bereich, also Ernährung, und das kann gut sein. Aber Youtube war immer schon extrem politisch, also es ist die zweitgrößte Suchmaschine weltweit, auch in Deutschland, und da findet extrem viel Politik statt. Also gerade, wenn ich mir den rechtspopulistischen Raum anschaue, dann ist YouTube voll mit Themen, Migrationspakt war das beste Beispiel, und mit Agenda-Setting-Prozessen, die da laufen. Also YouTube ist nicht neu und dass sich da Youtuber mit Themen beschäftigen, vielleicht unabhängig von den Influencern, die wir jetzt sehen, ist auch nichts Neues.
"Das sind längerfristige Prozesse"
Büüsker: Sie plädieren also jetzt für mehr Austausch auch mit dieser Szene. Nun hat gerade die CDU in den vergangenen Tagen erst damit reagiert, dass sie versucht hat, das Ganze auszusitzen, dann wurde ein elfseitiges PDF-Dokument veröffentlicht, jetzt nach dem zweiten Video gab es auch diverse Abwehr-Reflexe von Unionspolitikerinnen, hat man insbesondere in sozialen Medien gesehen. Was soll denn die CDU jetzt machen? Wie kann man die Kuh jetzt noch vom Eis bekommen?
Fuchs: Ich glaube, die Kuh würde ich jetzt auf dem Eis lassen, jedenfalls bis morgen Abend, bis die Wahllokale geschlossen sind, weil in so einer Phase, wo man quasi schon mit zwei, drei Fehltritten diesen ganzen Diskurs noch mal angeheizt hat und da noch mal für auch neuen Streusandeffekt gesorgt hat und das Video noch größer und noch bekannter gemacht hat, kann man eigentlich nur verlieren, wenn man jetzt noch versucht, da irgendwas zu machen. Ich glaube, dieses Statement, was man gestern veröffentlicht hat bei der CDU, ist, glaube ich, ein richtiger Anfang, dass man sagt, lass uns mal ausgeruht neben dem hektischen Diskurs, der jetzt läuft, mal nach der Wahl zusammensetzen und mal gucken, wie wir zusammenkommen, und mal gucken, wie wir eure Themen, eure Meinung, eure Position auch wirklich wieder respektieren und ernst nehmen. Ich glaube, daran hapert es extrem, dass viele Menschen unter 25 das Gefühl haben, dass die Politik da oben, was natürlich ein pauschaler Vorwurf ist, sie nicht mehr ernst nimmt oder wahrnimmt. Und das muss wieder aufgebaut werden, und das geht nicht kurzfristig mit zwei, drei Tweets oder mit einem coolen Video, sondern das sind längerfristige Prozesse, die natürlich jetzt beginnen müssen.
"Auch bei den großen Volksparteien gibt es einzelne Akteure"
Büüsker: Sie beobachten den Wahlkampf im Netz ja insgesamt und haben eben Heiko Maas auch schon ausnehmen wollen, wenn es darum ging, Politiker zu beobachten, die nicht gut mit Social Media umgehen. Wo, würden Sie denn sagen, wo funktioniert das? Wo haben Politiker*innen tatsächlich einen guten Ansatz gefunden, Social Media in ihren Wahlkampf einzubinden?
Fuchs: Also der erste große Fehler, den halt Politikerinnen machen, ist, dass sie Social Media hauptsächlich natürlich dann in Wahlkampfzeiten als Wahlkampftool benutzen, also in den sechs Wochen, wo die heiße Phase ist, davor. Nein, Social Media ist natürlich in den viereinhalb Jahren oder in den vier Jahren dazwischen, zwischen den Wahlen, viel, viel wichtiger, weil da baue ich Communities auf, da baue ich Vertrauen auf, da schaffe ich mir Reputation so, genau die Youtuber, die sind ja nicht von heute auf morgen auf einmal da, die haben sich über Jahre hinweg ihre Community aufgebaut, haben das Vertrauen in dieser Community aufgebaut. Das muss quasi schon lange vor dem Wahlkampf passieren. Und dann sehe ich, dass zum Beispiel … Also es gibt so einzelne Akteure auch bei den großen Volksparteien, Timo Wölken wird jetzt oft genannt ,von der SPD, den finde ich schon extrem charmant, weil er eine sehr niedrigschwellige Art und Weise hat, Europapolitik rüberzubringen, und jetzt auch so den Ton findet und den Weg findet, seriös, aber trotzdem irgendwie für auch junge Leute anknüpfbar zu kommunizieren. Da gibt es schon Menschen, die das verstanden haben, auch in der CDU gibt es da Menschen und in der CSU. Das ist etwas, wo, glaube ich, die Partei von einzelnen Akteuren sehr gut auch lernen kann.
Büüsker: Heißt also, es geht gar nicht um Klicks, sondern es geht um den Aufbau von nachhaltigen Beziehungen?
Fuchs: Im Grunde genommen sind es nachhaltige Beziehungen, das ist nicht viel anders wie in der analogen Welt. Das kann man genauso übertragen jetzt digital, komplett richtig, ja.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.