"Die Lage für die Kanzlerin hat sich verschärft", betonte Spreng. Anfangs hätten Kritiker in der CDU/CSU nach der Devise gehandelt: "Wir müssen Frau Merkel nur zur Vernunft bringen." Inzwischen laute der Tenor: "Notfalls auch ohne Merkel." Die öffentlich geäußerte Kritik führe zu einem Autoritätsverlust der Kanzlerin. "Es ist eine Gemengelage, in der es tatsächlich möglich erscheint, dass Frau Merkel über diese Flüchtlingskrise ihr Amt verliert."
Spreng sagte, wenn die Kanzlerin ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik weiter halten wolle, müsse sie das mit der Vertrauensfrage verbinden. Es könne auch passieren, dass Merkel irgendwann an den Punkt komme, an dem sie sage: "Ich will nicht mehr." Er schätze die Chancen 50 zu 50 ein, dass sie Ende des Jahres noch Regierungschefin sei. Allerdings gebe es niemanden in der Partei, der ihr nachfolgen könne. "Die einzige Möglichkeit wäre, Wolfgang Schäuble, den angesehensten Mann in der CDU, zu einer Art Übergangskanzler bis 2017 zu machen."
Die Vorgehensweise der CSU bezeichnete Spreng als doppeltes Spiel. Wenn sie damit drohe, die Regierung zu verklagen, müsste sie folgerichtig die Koalition verlassen. Das aber tue sie nicht und versuche stattdessen, die Kanzlerin öffentlich unter Druck zu setzen.
Das Interview in voller Länge:
Christine Heuer: Angela Merkel hat es alles andere als leicht in diesen Tagen. Mit ihrer Flüchtlingspolitik ist die Kanzlerin in schweres Fahrwasser geraten. Die Phalanx ihrer Kritiker wächst. Nach der CSU und Teilen der CDU geht nun auch die SPD auf Distanz zur Chefin der eigenen Regierung. Merkel, so die Sozialdemokraten, möge endlich für eine bessere Sicherung der europäischen Außengrenzen sorgen, es werde Zeit. Und das finden die Christsozialen in Bayern ohnehin ja schon lange. Es gibt neue Ultimaten aus München. Wohin führt das? Tatsächlich zu einem Ende von Angela Merkels Kanzlerschaft? - Michael Spreng ist jetzt am Telefon. Er war Wahlkampfleiter für Edmund Stoiber - das erwähnen wir immer, wenn wir ein Interview mit ihm führen -, als der nämlich, Edmund Stoiber, Kanzler werden wollte. Er ist immer noch Journalist und er berät Politiker. Guten Morgen, Herr Spreng.
Michael Spreng: Guten Morgen, Frau Heuer.
Heuer: Edmund Stoiber setzt Merkel jetzt ein sehr knappes Ultimatum. Entscheidet sich ihr politisches Schicksal, wie Stoiber insinuiert, bis Ende März?
Spreng: Die Landtagswahlen spielen natürlich eine große Rolle. Nichts macht Politiker nervöser als bevorstehende Wahlen. Insofern ist dieses Datum schon ein wichtiges, aber nicht für Ultimaten, denn Frau Merkel steckt ja in einem Dilemma. Sie steht vor der Wahl, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren oder möglicherweise ihre Macht, und sie hat noch nicht öffentlich signalisiert, was sie verlieren möchte.
Heuer: Was würden Sie ihr denn empfehlen?
Spreng: Ich glaube, sie hat keine andere Wahl, als ihre Politik fortzusetzen und alles zu versuchen, die EU-Außengrenzen sicherer zu machen, Hotspots einzurichten, einen Flüchtlings-Verteilungsschlüssel in Europa zu etablieren. Sie muss wenigstens bis zur letzten Sekunde versuchen, auf europäischer Ebene etwas zu erreichen. Erst dann könnte sie ihre Politik ändern, und dann stellt sich immer noch die Frage des Glaubwürdigkeitsverlustes.
"Die Lage für die Kanzlerin hat sich verschärft"
Heuer: Nun sagen aber immer mehr Politiker, inzwischen eigentlich fast alle, sie glauben nicht an eine Lösung auf europäischer Ebene. Ist Merkel eigentlich schon verloren?
Spreng: Ja, die Stimmung hat sich verändert. Das muss man schon konstatieren. Am Anfang war die Stimmung in der CDU/CSU so, wir müssen Frau Merkel nur zur Vernunft bringen, wenn wir genügend Druck machen. Inzwischen hat sich die Stimmung so verändert: Wenn sie nicht reagiert, wenn der Druck nicht ausreicht, dann notfalls ohne Merkel. Insofern hat sich die Lage für die Kanzlerin verschärft und die innerparteiliche Diskussion in der CDU/CSU.
Heuer: Also es ist jetzt wirklich richtig akut ernst?
Spreng: Ja! Akut? - In den nächsten zwei Monaten. Im CDU-Präsidium wurde ja gesagt, Klappe halten als Motto.
Heuer: Hat Julia Klöckner gesagt.
Spreng: Kurz darauf hat Herr Dobrindt, immerhin Mitglied der Regierung Merkel, wieder gegen ihren Kurs gewettert. Das führt natürlich auch zu einem Autoritätsverlust der Kanzlerin, den sie nicht lange zulassen kann. Das ist eine Gemengelage, in der es tatsächlich möglich erscheint, dass Frau Merkel über diese Flüchtlingskrise ihr Amt verliert.
Heuer: Dann lassen Sie uns das mal durchspielen. Sie haben die Landtagswahlen, die wichtigen, am 13. März angesprochen. Nehmen wir mal an, die CDU verliert diese Wahlen krachend. Erlebt Merkel dann ihren Schröder-Moment? Muss sie dann in irgendeiner Form die Vertrauensfrage stellen? Oder wie muss man sich das konkret vorstellen, was dann passiert?
Spreng: Ich habe ja schon vor einigen Monaten diese drei Landtagswahlen mit der damaligen Wahl in Nordrhein-Westfalen verglichen, die ja der Wendepunkt für Schröder damals war. So könnte es jetzt auch kommen, mit einem großen Unterschied allerdings. Die CDU kann die Wahlen krachend verlieren möglicherweise, aber dennoch regieren, weil der Einzug der AfD mit hohen Stimmanteilen in die Parlamente auch bedeuten könnte, dass nur noch Große Koalitionen unter Führung der CDU möglich sind. Aber nichts desto trotz ist das ein entscheidendes Datum für die innerparteiliche Diskussion der CDU/CSU.
"Die SPD treibt da ja eher ein gefährliches Spiel"
Heuer: Wenn die CDU regieren kann, ist Merkel dann aus dem Schneider, oder ist das auch nicht mehr genug, um sie zu retten?
Spreng: Ich bin ja kein Prophet.
Heuer: Ach doch!
Spreng: Es wird dann sehr eng auf jeden Fall für sie. Es kommt ja auch darauf an, wie sich die SPD verhält. Der scheint ja ein Desaster bei diesen Landtagswahlen bevorzustehen und die setzt sich ja jetzt aus taktischen Gründen auch ab und fällt der Kanzlerin in den Rücken. Die SPD treibt da ja eher ein gefährliches Spiel. Sie versucht, beide Seiten zu bedienen, die besorgten Bürger und die Willkommenskultur. Wie gesagt, bei bevorstehenden Wahlen werden die Politiker am nervösesten.
Heuer: Ich frage das noch mal, Herr Spreng. Wie kann Merkels möglicher Abschied von der Kanzlerschaft konkret ablaufen? Welches Szenario halten Sie da für das wahrscheinlichste?
Spreng: Sie wird ja nicht auf offener Bühne gestürzt werden, sondern wenn, muss sie ihre Flüchtlingspolitik, falls sie sie dann weiter fortsetzen will, weil ihre Vernunft ihr ja sagt, dass es keine nationale Flüchtlingspolitik gibt, wenn sie sie weiter fortsetzen will, dann muss sie ihre Politik mit der Vertrauensfrage verbinden und dann müssen sich alle bekennen. Bisher sind das ja alles nur verbale Spielchen. Die CSU setzt jede Woche ein neues Ultimatum, also sie spitzt den Mund, aber sie pfeift nicht. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem gepfiffen werden muss.
Heuer: Weiß die Union eigentlich, was sie da riskiert, oder ist das so eine Art Selbstläufer geworden?
Spreng: Die große Gefahr ist, dass sich dieser Prozess verselbständigt und dass es nach den Landtagswahlen zu unkontrollierten Reaktionen kommt, die dann auch nicht mehr beherrschbar sind. Aber das ist halt die Folge, wenn man eine Situation verbal immer weiter zuspitzt. Am Ende ist man Gefangener seiner eigenen Äußerungen.
Spreng: Wenn die CSU Verfassungsklage einreicht, muss sie die Koalition verlassen
Heuer: Sie würden es mit Julia Klöckner halten, einfach mal die Klappe halten?
Spreng: Ja gut, es ist ja nicht verboten, sich zu artikulieren, auch innerparteilich. Aber zum Beispiel die CSU muss sich fragen: Wenn sie wirklich eine Verfassungsklage gegen die Bundesregierung einreichen will, der sie angehört, dann müsste sie nach normaler politischer Hygiene in diesem Moment die Koalition verlassen.
Heuer: Macht sie aber nicht, haben wir gerade vor einer guten Stunde von Markus Söder noch einmal gehört, vom bayerischen Finanzminister.
Spreng: Ja, weil sie ein Doppelspiel betreiben.
Heuer: Mit welchem Zweck eigentlich? Wohin soll das führen?
Spreng: Ja, weil sie offenbar glauben, man könne Frau Merkel öffentlich unter Druck setzen. Nur da sollen sich die Kritiker mal nicht täuschen. Frau Merkel ist da sehr stabil. Und sie muss ja auch sehen: Wenn sie einem solchen Druck nachgibt, führt das zu einem Autoritätsverlust, und sie will keine Politik machen, die sie selbst für falsch hält. Es kann auch der Punkt kommen, an dem sie sagt, ich will nicht mehr.
Spreng: Wolfgang Schäuble könnte eine Art Übergangskanzler sein
Heuer: Wer könnte Merkel ersetzen?
Spreng: Es gibt ja niemand. In der CDU ist ja personalpolitisch Tabula rasa. Die einzige Möglichkeit wäre, Wolfgang Schäuble, den angesehensten Mann in der CDU, zu einer Art Übergangskanzler bis 2017 zu machen, aber das ist das einzig vorstellbare Szenario.
Heuer: Glauben Sie eigentlich, Herr Spreng, Schäuble will das? Der irrlichtert ja immer so ein bisschen. Dann übt er mal Kritik und dann rudert er zurück.
Spreng: Ja gut, er sieht den Kurs von Frau Merkel auch skeptisch, aber er versucht das in Grenzen der Loyalität. Dadurch entsteht dieser Eindruck. Aber er ist nach wie vor die einzige Führungsautorität, die es auf Bundesebene in der CDU außer Merkel noch gibt.
Heuer: Sie haben vorhin gesagt, Sie sind kein Prophet. Na gut, ich stimme Ihnen zu. Aber ich frage Sie natürlich trotzdem am Schluss nach Ihrer Einschätzung. Wie geht das aus? Haben wir Ende des Jahres noch eine Kanzlerin Angela Merkel?
Spreng: Ich würde die Chancen zumindest fifty-fifty nur noch einschätzen. Es kommt darauf an, ob Frau Merkel einen Weg findet, diesem Druck nachzugeben, ihre Flüchtlingspolitik so zu verändern, beispielsweise die Zusammenarbeit mit Österreich an den Grenzen von Kroatien und Slowenien, oder andere Maßnahmen, oder neue sichere Herkunftsländer zu definieren, dass sie ohne Glaubwürdigkeitsverlust ihren Kritikern entgegenkommt. Aber das ist eine waghalsige Operation, bei der ich sehr zweifele, ob sie gewinnen kann.
Heuer: Der Politikberater Michael Spreng. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch, Herr Spreng.
Spreng: Ich danke auch, Frau Heuer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.