Als die Coronakrise begann gerieten bis dato wichtige politische Themen ins Hintertreffen. So auch die Diskussion um die Unions-Kanzlerkandidatur, nachdem Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Rücktritt vom CDU-Vorsitz ankündigt hatte.
Über ihre Nachfolger und natürlich vor allem darüber, wer nächstes Jahr als Kanzlerkandidat für die Union antritt, wird jetzt aber wieder viel diskutiert. Am Montag haben die Spitzengremien von CDU und CSU getagt.
Michael Spreng, Publizist und Politikberater, war 2002 Wahlkampfberater von Edmund Stoiber und hat durchblicken lassen, dass er Armin Laschet keine Chance mehr gibt, Kanzler zu werden beziehungsweise Kanzlerkandidat.
"Laschet hat aus meiner Sicht in der Krise versagt"
Christine Heuer: Laschet hat also keine Chance mehr?
Michael Spreng: Ja, so ist es. Er hat aus meiner Sicht in der Krise versagt. In der Krise zeigen Politiker, ob sie es können oder ob sie es nicht können, und Herr Laschet hat zögerlich und widersprüchlich gehandelt. Er macht das Bild, als würde er sich nur so durchschlängeln von Tag zu Tag. Es ist keine konsequente Linie erkennbar wie bei anderen Ministerpräsidenten, und ich glaube, damit hat er sich aus dem Rennen rausgekegelt.
Heuer: Können Sie festmachen, wann er den entscheidenden Fehler gemacht hat? Oder ist das eher ein Gesamteindruck?
Spreng: Ich glaube, es fing damit an, dass er sehr früh eine Lockerungsdiskussion begonnen hat, als alle noch davor warnten, dann auch sehr früh gelockert hat. Dann hat die Landesregierung erst Schulöffnungen angekündigt; dann wurden die wieder zurückgenommen; dann kamen sie doch. Dann kam Gütersloh, wo er zögerlich reagiert hat. Insgesamt haben die Menschen nicht das Gefühl, dass sie bei ihm in sicheren Händen sind, so wie bei Frau Merkel oder bei Markus Söder.
"Laschet hat sich selbst am weitesten zurückgeworfen"
Heuer: Aber vielleicht haben sie den Eindruck, dass da ein Politiker ist, der mit ihnen gemeinsam diese Krise erst kennenlernt und dann auf Sicht die richtigen Entscheidungen trifft. Warum soll das ein schlechteres Modell sein als das von zum Beispiel Markus Söder?
Spreng: Ich glaube, die Menschen, die Wähler wollen nicht, dass ein Politiker mit ihnen zusammen die Krise kennenlernt, sondern dass er die Krise beherrscht, so gut er das kann, mit Expertenrat und Unterstützung. Diesen Eindruck vermittelt Herr Laschet nicht. Er ist von den drei Kandidaten derjenige, der in dem Rennen jetzt am weitesten zurückgeworfen ist.
Heuer: Sie haben ja sogar gesagt, Herr Spreng, Mimik, Sprache, Körperhaltung, in diesen Disziplinen wirke Armin Laschet einfach nicht wie ein politischer Leader. Wirken, nur mal so als Beispiel, Mimik, Sprache und Körperhaltung von, sagen wir, Angela Merkel so viel dynamischer?
Spreng: Ja. Wenn Sie Frau Merkel sehen, da ist eine ganz andere Körperspannung – allein schon durch ihre berühmte Raute – und Frau Merkel ist immer sehr geradeaus. Sie steht gerade, sie spricht geradeaus, sie ist sehr präzise, während Herr Laschet ist all das nicht. Er ist verwaschen, ihm fehlt diese Körperspannung. Die Mimik und die Sprache passt irgendwie nicht zur Krise. Das sind jetzt Äußerlichkeiten, die nicht entscheidend sind, aber sie runden das Bild ab.
Heuer: Wenn ich Ihnen so zuhöre, Herr Spreng, dann steht vor meinem geistigen Auge natürlich sofort ein ganz aufrechter, entschiedener, entschlossener Markus Söder. Wird der dann Kanzlerkandidat, weil er es besser kann?
Spreng: Das ist ja das Interessante. Herr Söder hat ja im Augenblick den Kreis der Kanzlerkandidaten massiv eingeschränkt, indem er sagt, wer die Krise meistern kann, kann auch in der Kür glänzen. Damit hat er im Grunde den Kreis der Kanzlerkandidaten auf einen eingeschränkt, nämlich sich. Röttgen und Merz können, weil sie kein Amt haben im Augenblick, keine Krise meistern. Dass Laschet es nicht kann, hat Herr Söder mehrmals direkt und indirekt zu erkennen gegeben. Also bleibt nur Söder übrig. Das war eine wirklich spannende Äußerung.
"Söder lässt sich die Optionen offen"
Heuer: Will er es denn werden?
Spreng: Er muss sich natürlich am längsten bedeckt halten, solange bis das bei der CDU entschieden ist. Er kann vorher nicht aus der Deckung kommen und er lässt sich die Optionen offen. Im Augenblick ist er eindeutig der populärste, beliebteste und führungsstärkste Mann in dieser Gruppe, und mit diesem Pfund kann er noch wuchern, wenn sich bei der CDU die Fronten geklärt haben.
Heuer: Aber da müssten sich erst mal die Fronten klären. Dann müssten die anderen sich erst mal komplett aus dem Rennen schmeißen, bevor ein Mann von der CSU eine Chance hat bei der CDU, oder?
Spreng: Ja, so ist es. Ich würde sagen, die versuchen jetzt alle ihre eigene Taktik. Herr Röttgen gibt sogar zu erkennen, dass er notfalls einen Kanzlerkandidaten der CSU unterstützen würde. Herr Merz kommt jetzt gewissermaßen als grüner Waldmeister zu den Interviews und spielt mit dem schwarz-grünen Gedanken.
Heuer: Hat grüne Anzüge getragen in der Öffentlichkeit. Das müssen wir erläutern.
Spreng: Ja, genau. Insofern versucht jetzt jeder seinen eigenen Weg. Bei Laschet kann ich einen Weg nicht erkennen. Er ist ja in der Defensive und rudert im Strudel der Krise in Nordrhein-Westfalen, und Söder hat eigentlich den besten Part. Er fährt seinen stringenten Kurs weiter und wartet ansonsten ab.
Heuer: Herr Spreng, wissen Sie, wen Sie jetzt gerade nicht erwähnt haben?
Spreng: Wen?
Heuer: Jens Spahn.
Spreng: Ja, das ist interessant. Vielleicht wäre ich noch darauf gekommen, aber danke, dass Sie das Stichwort geben. Wenn es darum geht, wer Krise meistern kann, kann auch in der Kür glänzen, bleibt ja von den CDU-Kandidaten nur Jens Spahn übrig.
"In diesem Spiel ist noch alles drin"
Heuer: Wie wäre es denn mit dem? Welche Chancen hat der denn?
Spreng: Ich wage jetzt mal eine kühne Spekulation. Die ist wirklich kühn. Nehmen wir einmal an, im ersten Wahlgang liegt Merz vor Laschet. Dann würde Laschet zu Gunsten von Spahn verzichten und dann würde die Lage auch beim CDU-Vorsitz wieder ganz anders aussehen. Ich weiß nicht, ob Laschet die Größe hätte, wenn es so käme, aber das könnte noch mal alles fundamental verändern. In diesem Spiel ist noch alles drin!
Heuer: Ein Platzwechsel im Tandem in allerletzter Minute, sagen Sie, wäre möglich?
Spreng: Ja, nach dem ersten Wahlgang.
Heuer: Vorher nicht? Jetzt nicht in den kommenden Monaten, je nachdem wie die Dinge sich entwickeln?
Spreng: Nein, das macht keinen Sinn. Laschet würde ja zur Bedeutungslosigkeit versinken. Nein, nein, er muss schon bis in den ersten Wahlgang gehen und dann sehen, ob er die Nase vorne hat oder nicht.
Wenn Merz wiederum CDU-Vorsitzender würde, ist die Sache Kanzlerkandidatur so gut wie entschieden, denn der würde Söder nicht den Vortritt lassen.
Heuer: Ihre Prognose. Wer geht denn am Ende als Unions-Spitzenkandidat ins Rennen nächstes Jahr bei der Bundestagswahl?
Spreng: Das ist sehr schwer. Aber ich sehe eine Präferenz für Söder. Auch wenn er das noch öffentlich von sich weist oder immer sagt, sein Platz sei in Bayern, sehe ich eine Präferenz für Söder, gefolgt von Merz. Und dann natürlich noch der Joker, den wir gerade besprochen haben: Herr Spahn.
Söder wird von Tag zu Tag "grüner, ökologischer, antikapitalistischer"
Heuer: Und wenn es Söder wird, dann verliert die Union diese Wahlen so wie 2002 mit Edmund Stoiber?
Spreng: Warum sollen sie?
Heuer: Sie haben das damals selber miterlebt.
Spreng: Herr Söder hat sich ja unglaublich gewandelt. Er wird ja von Tag zu Tag grüner, ökologischer, antikapitalistischer. Man kann ja kaum so schnell schauen, wie sich Söder in den letzten anderthalb Jahren gewandelt hat. Den sollte man nicht unterschätzen.
Heuer: Ist bisher immer schiefgegangen mit der CSU.
Spreng: Er ist nicht starrsinnig. Er hat viele Vorurteile über sich selbst ausräumen können. Insofern: Mit dem Rückenwind seiner Haltung in der Coronakrise wäre das vielleicht der erste CSU-Mann, der es packen kann.
Heuer: Also auch besser als Edmund Stoiber seinerzeit?
Spreng: Ja, gut! Edmund Stoiber hatte ja damals sehr gut gelegen, bis Juli des Jahres. Dann kamen Flut und der drohende Irak-Krieg. Dann hat er am Ende Pech gehabt. – Es ist kaum möglich, dass ein CSU-Mann Kanzler wird – mit einer Ausnahme: beispielsweise aus einer solchen Krise wie der Coronakrise heraus.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.