Untergang als Argument
Politiken der Apokalypse

Was haben die Kriegsführung von Wladimir Putin in der Ukraine und die Aktionen von Klimaaktivisten gemeinsam? Das Handeln des russischen Machthabers ist wie die Ideenwelt der Bewegung gegen den Klimawandel imprägniert von der Logik des Untergangs.

Von Ulrich Bröckling | 28.01.2024
Atompilz über einer Stadtsilhouette. (Symbolbild)
Im Atomzeitalter reicht ein Minimum an Personal aus, um ein Maximum an Zerstörung zu erzeugen. (IMAGO / imagebroker / Dmitry Rukhlenko)
Neuere Politikformen, die mit apokalyptischen Denkmotiven handeln oder gar regieren, unterscheiden sich von den klassischen, etwa biblischen Erzählungen der Apokalypse dadurch, dass sie bereit sind, die Logik des Untergangs ohne Erlösung zu denken.
Dies erweist sich als folgenreich: Zum einen führt diese in unsere Selbst- und Weltverhältnisse eingeschriebene Erzählung zu einem zunehmend verzweifelten Agieren, stützt aber eben auch autoritäres Durchregieren bis hin zum Terror des Krieges in der Ukraine. Damit geraten politische Praktiken, die sich auf diese Art der Apokalypse stützen, in die Nähe einer zynischen Lust am Untergang. 
Demgegenüber gilt es, ein Ethos der Sorge zu etablieren, das sich weigert, schlimme Entwicklungen als Untergang zu denken.
Ulrich Bröckling lehrt Kultursoziologie an der Universität Freiburg und ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Leviathan – Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft“. Mit Büchern wie „Gute Hirten führen sanft“ (2017) und „Postheroische Helden“ (2020) hat er wesentliche Analysen von Machttechnologien vorgelegt. Der vorliegende Essay ist eine leicht überarbeitete und gekürzte Version des Artikels „Untergang als Argument. Politiken der Apokalypse“, erschienen im September 2023 auf dem sozialwissenschaftlichen Internetportal „Soziopolis“.

Im Juni 2022 besetzten Studierende, die sich unter dem Namen „Transformationsuniversität 2.0“ zusammengeschlossen hatten, einen zentralen Hörsaal der Freiburger Universität und forderten von der Universitätsleitung die Ausrufung des „sozialökologischen Notstands“. In ihrer Erklärung heißt es:
„Die Menschheit befindet sich in einer Notsituation: multiple ökologische und soziale Krisen gefährden akut das Leben von 3.3 - 3.6 Mrd Menschen (IPCC 2022). Denn in mindestens sechs planetaren Dimensionen haben wir den Bereich verlassen, der für Menschen sicher ist. […] Wenn wir nicht jetzt entschieden handeln, ist der Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation das wahrscheinlichste Szenario […]. Wenn die Politik im Angesicht dieser massiven Gefahr für die ökologischen und zivilisatorischen Lebenssysteme (denen auch der so wichtige universitäre Betrieb zuzurechnen ist) nicht handelt, ist es das Recht aller Bürger:innen, aktiv zu werden: Im Rahmen selbstbestimmten demokratischen Handelns bis hin zum zivilen Ungehorsam. […]“
Eine Reihe von Hochschullehrerinnen und Universitätsmitarbeiter, darunter auch ich, erklärten ihre Unterstützung für die Gruppe.
Aktionen wie diese sind an Universitäten nicht ungewöhnlich, auch wenn meist hochschulpolitische Forderungen auf der Agenda stehen. Studentische Regelverletzung und administrative Regeldurchsetzung folgen dabei einem eingespielten Drehbuch. Jede Seite hat eine ungefähre Vorstellung davon, wie sich die andere Seite verhalten wird, und stellt sich entsprechend darauf ein; unkontrollierte Eskalationen sind selten. Auffällig hier war indes der apokalyptische Ton, den die Studierenden anschlugen, und ihr Rekurs auf eine alarmierte Rhetorik des Notstands. Beides diente der Selbstlegitimation ihres Protests, mit beidem brachten sie sich allerdings auch in eine schwierige Position: Paradoxerweise schlug gerade der Ernst der Lage, den sie beschworen, ihre Aktion wider Willen mit dem Makel des Unernsten. Angesichts des drohenden „Zusammenbruchs der menschlichen Zivilisation“ musste eine Hörsaalbesetzung irgendwie unangemessen wirken. Nebulös blieb zudem, was sich die Besetzer:innen davon versprachen, wenn die Universität, wie gefordert, den „sozialökologischen Notstand“ ausgerufen hätte. Krankte die Erklärung der Besetzer:innen an der Diskrepanz zwischen dramatischer Diagnose und routiniertem Protestritual, so gab sich die Universitätsleitung betont antiapokalyptisch. Mehr als der Abwehr des Klimakollaps galt ihre Sorge einem störungsfreien Studienbetrieb. Sie gestand den Besetzer:innen zwar „legitime inhaltliche Positionen und Ziele“ zu, erklärte es aber für „unakzeptabel“, diese durch rechtswidrige Aktionen erreichen zu wollen. Die „enormen und komplexen Herausforderungen des Klimawandels und der nachhaltigen Entwicklung in einem weiten Verständnis“ erforderten vielmehr, so die wattierte Nullbotschaft des Rektorats, „einen fairen gesamtgesellschaftlichen Dialog über alle Ebenen hinweg“. Wer so abgefertigt wird, hat jedenfalls allen Grund, an der Don’t look up-Borniertheit universitärer Leitungsgremien zu verzweifeln.
Auf ganz andere Weise bemühte im Juli 2022, zwei Wochen nach der Freiburger Hörsaalbesetzung, der frühere russische Präsident und aktuelle Vize-Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates Dmitri Medwedew die Apokalypse als Argument: Via Telegram warnte er die USA, es sei töricht, sich mit einer Atommacht anzulegen:
„Die Idee, ein Land mit einem der größten Nuklearpotentiale zu bestrafen, ist absurd. Das stellt potenziell eine Gefahr für die Existenz der Menschheit dar.“
Ähnliche Äußerungen von Wladimir Putin und anderen russischen Politikern waren dem vorausgegangen, weitere sollten folgen. Die militärische Unterstützung der Ukraine durch die USA und andere westliche Staaten, so musste man diese Drohungen verstehen, könne Russland jederzeit veranlassen, seine Atomwaffen einzusetzen, was einen nuklearen Schlagabtausch mit den USA wahrscheinlich machen und damit die Gefahr der Totalvernichtung menschlichen Lebens heraufbeschwören würde.
Moralisch gesehen könnte der Kontrast zwischen dem zynischen Abschreckungskalkül der russischen Machthaber und den eindringlichen Warnungen der Klimaaktivisten und Aktivistinnen kaum größer sein. Während die einen unverhohlen damit drohen, die Apokalypse auszulösen, um ihre Kriegsziele zu erreichen, versuchen die anderen durch aufsehenerregende Aktionen öffentlichen Druck aufzubauen, um die ökologischen Katastrophenszenarien kraft tätiger Intervention praktisch zu widerlegen. Erpressung qua Eskalationsdominanz steht gegen eine Vorhersage, die sich selbst widerlegen will.
In einem Punkt treffen sich jedoch die gegensätzlichen Indienstnahmen apokalyptischer Motive: Anders als die heils- beziehungsweise unheilsgeschichtlichen Offenbarungen vergangener Epochen erscheinen die in der Gegenwart aufgerufenen Untergänge nicht länger als göttliches Gericht oder als Naturkatastrophe, sondern sind menschengemacht. Zwar beriefen sich auch die religiösen Apokalypsen auf menschliche Verfehlungen, doch überließen sie es Gott oder den Göttern, die verderbte Welt zu richten. Heute dagegen ist das Ende der Zeit in den Bereich des technisch Verfügbaren gerückt – ein Befund, der absolute Kontrolle und totalen Kontrollverlust ineinanderfallen lässt. Das hat weitreichende Konsequenzen. Weil wir die Apokalypse vorsätzlich oder als nichtbeabsichtigte Folge kollektiver Handlungsverkettungen selbst herbeiführen können, wird sie zum Fluchtpunkt widerstreitender politischer Direktiven. Selbstverständlich zeitigen auch religiös überwölbte Untergangserwartungen gravierende politische Effekte, wie die Geschichte chiliastischer, also heilsgeschichtlicher Bewegungen belegt. Doch erst die Realisierbarkeit menschengemachter Weltvernichtung hat entstehen lassen, was der Literaturwissenschaftler Klaus Vondung „kupierte Apokalypse“ genannt hat: eine Eschatologie, also eine Vorstellung vom Ende der Zeit ohne Aussicht auf Erlösung, ohne rettenden Übergang zu einem neuen messianischen Zeitalter. Der Religionsphilosoph Jacob Taubes hatte den Zusammenhang zwischen Zerstörung und Vollendung als den von Revolution und Zukunftserwartung 1947 in seiner Dissertation Abendländische Eschatologie beschworen:
„Die Frage nach der Freiheit ist das Urthema der Apokalyptik und alle ihre Motive weisen auf die Wende hin, in der das Gefüge des Weltkerkers sich sprengt. Heißt Revolution nur: eine bestehende gesellschaftliche Ordnung durch eine bessere ersetzen, dann ist der Zusammenhang von Apokalyptik und Revolution nicht offenbar. Heißt aber Revolution: der Totalität der Welt eine neue Totalität entgegensetzen, die ebenso umfassend, nämlich in den Grundlagen, neu stiftet wie sie verneint, dann ist die Apokalyptik wesentlich revolutionär.“
Im Zeitalter kupierter Apokalypse wohnt den letzten Dingen keine Erlösungserwartung mehr inne, für die Menschen (wenn auch nicht unbedingt für andere Lebensformen) ist das antizipierte Ende schlicht Abbruch und Vernichtung. Wenn kein Messias kommen wird, bleibt nur, das Zeitenende hinauszuschieben. Politik wird zur Kunst des Aufhaltens, und damit strukturell konservativ. Wenn der Klimakollaps nicht mehr abwendbar ist, gilt es, ihn zumindest hinauszuschieben.
Die an diese rein innerweltliche und zugleich verfristete Zeitvorstellungen anschließenden Rationalitäten, Affektdynamiken, Sozialtechnologien und Subjektivierungsweisen bringen das hervor, was im Folgenden als apokalyptische Gouvernementalität, also als Regierungstechniken im Zeichen des Untergangs beschrieben werden soll. Der Begriff des Regierens erscheint hier in dreifacher Bedeutung: Erstens geht es darum, die Apokalypse zu regieren, zweitens darum, durch die Beschwörung der Apokalypse zu regieren, und drittens geht es um ein Regieren gegen die Apokalypse. Auf den ersten Blick mag es befremden, ausgerechnet endzeitliche Denk-, Fühl- und Handlungsmuster in jenem weiten Sinne als Formen der Fremd- und Selbstführung zu beschreiben, die Michel Foucault mit dem Begriff des Regierens verbunden hat. Erzählen Untergangsgeschichten nicht gerade von fundamentalen Krisen oder gar vom Ende der Regierungskünste? Zweifellos konfrontierenApokalypseerwartungen die regierende Vernunft mit den Grenzen der Regierbarkeit. Doch zugleich lässt sich auch die reale Gefahr kollektiver Selbstauslöschung nicht ignorieren. Dass die Anstrengungen, den Untergang aufzuhalten, an Grenzen stoßen, ins Leere laufen, Kontrollillusionen produzieren und schon deshalb niemals ans Ziel kommen, weil sie bestenfalls die Frist verlängern können, das macht sie nicht hinfällig, sondern erzwingt immer neue Anläufe.
Eine Herkunftsgeschichte dieser apokalyptischen Regierungskünste hat ihren Ausgang zu nehmen vom Ereignis der beiden Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Seit dem 6. August 1945 ist Carl von Clausewitz’ idealtypisches Konstrukt des „absoluten Krieges“ – eines zu einem „einzigen Schlag ohne Dauer“ zusammengezogenen „totalen Entladens“ der Destruktionskräfte – nicht länger kriegsphilosophische Abstraktion, sondern ein technisch realisierbares Projekt. Ein Minimum an Personal reicht aus, um ein Maximum an Zerstörung zu erzeugen und ganze Bevölkerungen, wenn nicht die menschliche Gattung insgesamt auszulöschen. Das Imaginäre des Atomzeitalters verdichtet sich im Bild des Präsidenten oder verrückten Wissenschaftlers, der den Roten Knopf betätigt und damit den nuklearen Vernichtungsschlag auslöst. Und selbst dieser letzte Feldherr und Soldat in einer Person verschwindet noch im Szenario eines durch Computerfehler oder andere Pannen ausgelösten „Atomkriegs wider Willen“.  Dieses Schreckbild beunruhigte die militärischen Planungsstäbe in der Ära des Kalten Krieges hochgradig und wurde zu einem entscheidenden Antrieb fortlaufender Nachrüstung der Vernichtungsarsenale. Stanley Kubrick hat es 1964 in seiner Satire Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben filmisch umgesetzt.
Selbst wenn sich alles dagegen sträubt, dem System nuklearer Abschreckung auch nur einen Funken Vernunft zuzugestehen, lag ihm zweifellos eine ausgefeilte Wissensordnung und eigenständige politische Ratio zugrunde. In den Denkfabriken des Kalten Krieges entwarfen Spindoktoren wie Herman Kahn spieltheoretische Modelle der Eskalation, die dann in strategische Planungen und Rüstungsprogramme übersetzt wurden. Abschreckung verlangt Kriegführungsfähigkeit; wirksam ist sie nur, wenn jede Seite die andere davon überzeugen kann, dass sie in der Lage und gewillt ist, jenen Krieg zu führen, den sie durch Abschreckung verhindern will. Seit Atomwaffen existieren, so das Kalkül, kann nur die Drohung mit dem Untergang sein Eintreten aufhalten. Dass Kahn den Atomkrieg nicht nur für führbar, sondern auch für gewinnbar erklärte, sofern die USA den Tod einiger Hundert Millionen Bürgerinnen und Bürger sowie die Zerstörung zahlreicher Großstädte in Kauf nähmen und zugleich ihre Fähigkeit zum nuklearen Zweitschlag ausbauten, das verweist auf das Glaubwürdigkeitsparadox der Abschreckung: Die Drohung war nur dann plausibel, wenn zumindest auf der eigenen Seite nicht alles menschliche Leben ausgelöscht werden würde. Wie die heilsgeschichtlichen Apokalypsen der Religionen konnte auch das nukleare Gleichgewicht des Schreckens nicht auf die Imagination verzichten, dass zumindest einige gerettet werden. Die makabren Drehbücher für den atomaren Schlagabtausch versuchen die Illusion aufrechtzuerhalten, dass in den nuklear verseuchten Umwelten noch irgendeine Form menschlichen Daseins möglich sein wird. Kernelement der „Politik mit der Vernichtungsspirale“, die Kahn ausbuchstabiert, ist deshalb ihre kommunikative Dimension. Rhetorik wird Kriegswissenschaft, jeder Sprechakt ein taktisches Manöver: 1965 schrieb er:
„Wir haben begriffen, daß die Waffen, die heute existieren, trotz der Schrecken, die sie verbreiten, gebraucht werden können und daß auf jeden Fall mit ihrem Gebrauch gedroht werden wird, was bereits in gewisser Weise mit einem Einsatz gleichbedeutend ist.“
Medwedjews Telegram-Post aus unseren Tagen klingt da wie ein spätes Echo. Zur verstörenden Monstrosität dieser in Militärdoktrinen und Rüstungstechnologien materialisierten Apokalyptik gehören nicht nur die Millionen von Toten in den unterhalb der atomaren Schwelle geführten Stellvertreterkriegen seit 1945. Nicht nur die ökologischen Verwüstungen infolge der Kernwaffentests und nicht nur die Ruchlosigkeit, mit der die Nuklearmächte ihre ökonomischen Einflusssphären und politischen Herrschaftsansprüche global durchsetzen. Verheerend sind auch die psychischen Auswirkungen eines Lebens im Schatten der Bombe. Die Politik der Abschreckung konfrontiert die Einzelnen mit einer kognitiven wie emotionalen Unmöglichkeit: Technisch ist der nukleare Jüngste Tag machbar, doch sprengt er schlechterdings den Rahmen des Vorstellbaren und Vorfühlbaren. Die drohende Katastrophe ist, wie der Philosoph des Atomzeitalters Günther Anders es formuliert hat, „geschichtlich überschwellig“. 1956 notierte er:
„Vor unserem eigenen Sterben können wir Angst haben. Schon die Todesangst von zehn Menschen nachzufühlen, ist uns zuviel. Vor dem Gedanken der Apokalypse aber streikt die Seele. Der Gedanke bleibt ein Wort.“
Der Kampf gegen diese „Apokalypse-Blindheit“, wie Anders es nannte, richtet sich daher zuallererst gegen unsere „Unfähigkeit zur Angst“.
Das nukleare Abschreckungssystem bildet, historisch gesehen, den Modellfall apokalyptischer Regierungspraktiken. Inzwischen überlagern sich allerdings multiple Untergangsszenarien, und auch die politischen Antworten darauf haben sich vervielfältigt. Der ökologische Kollaps bringt andere Formen des Regierens, Regiertwerdens und Sich-selbst-Regierens hervor als das „Gleichgewicht des Schreckens“, das die Atommächte freilich bis heute aufrechterhalten. Wie die Bombe ist auch das Klimadesaster im Sinne von Günther Anders „überschwellig“, doch handelt es sich dabei nicht um einen singulären Zerstörungsakt, sondern um eine – wie es die Kulturwissenschaftlerin Eva Horn nennt: „Katastrophe ohne Ereignis“. Die Zukunftssimulationen der Klimawissenschaftler:innen kreisen um irreversible, allerdings vorab nicht exakt bestimmbare Kipppunkte und Kaskadeneffekte. Das Abschmelzen der Polkappen setzt andere Imaginationen frei als die Zündung von Interkontinentalraketen. Handlungsfähigkeit und Verantwortung sind diffuser verteilt und lassen sich schwerlich personalisieren. Statt um sinistre Gestalten am Roten Knopf geht es um die zerstörerischen Wachstumsimperative des globalisierten Kapitalismus. Nicht die Glaubwürdigkeit von Drohungen, sondern die Evidenz von Gefährdungen bestimmt die Dringlichkeit des Handelns und weist ihm die Richtung.
Grundlegend für die endzeitlichen Regierungskünste der Gegenwart ist ihre Vieldeutigkeit, die alle Versuchedurchkreuzt, sie politisch zu vereindeutigen. Die vor allem von den Prognosen des Klimakollapses angetriebenen katastrophischen Zukunftserwartungen liefern eine Bezugsfolie sowohl für Ethiken gemeinschaftlicher Sorge wie für militante Prepper, die Lebensmittel horten und Bunker bauen, um für den Ernstfall gewappnet zu sein. Die Hoffnung auf technokratische Lösungen findet sich hier ebenso wie expressive Gesten der Normalitätsverweigerung und Anleitungen zur Sabotage. Mit den Untergangsprophezeiungen lässt sich atemloser Aktionismus legitimieren, aber auch meditative Versenkung oder ein Autoritarismus im Namen ökologischer Vernunft. Alarmrufe, die zur Tat auffordern, stehen neben Angstbotschaften, die einschüchtern und Schrecken verbreiten. Die einen regen sich über die spektakulären Verkehrsstörungen der Letzten Generation auf, anderen bietet ihr Ziviler Ungehorsam eine willkommene Gelegenheit zu heroischer Identifikation.
Die widersprüchliche politische Aufladung der zeitgenössischen Apokalyptik beruht auf einer doppelten Unmöglichkeit. Zum einen erzeugt die Monstrosität ihres Gegenstands ein letztlich nicht auflösbares Darstellungsproblem. Gleich ob sie dokumentarisch vorgehen oder auf fiktionale Strategien setzen, stets bleiben die Untergangserzählungen und -bilder hinter dem zurück, was sie zeigen wollen. Vermutlich liegt darin ein Grund für ihre überbordende Detailfülle und Drastik ebenso wie für ihren sarkastischen Humor. Das Drängen, zeigen (und affizieren) zu wollen, und das Ungenügen, angemessen zeigen (und affizieren) zu können, setzen eine Dynamik der ästhetischen Überwältigung in Gang. Zum anderen klafft eine gewaltige Lücke zwischen dem, was getan werden müsste, und dem, was praktisch möglich und zumutbar erscheint, um die ökologische Katastrophe abzuwenden. Zu tief sind die destruktiven Dynamiken in die gesellschaftlichen Institutionen eingelassen; zu viele Akteure sind im Spiel, die alles daransetzen, dass es beim business as usual bleibt; zu groß sind die Widerstände gegen die erforderlichen Transformationen vor allem bei jenen, die in der Gesellschaft „nachhaltiger Nicht-Nachhaltigkeit“ noch immer komfortabel leben und ihre „imperiale Lebensweise“ umso rabiater verteidigen, je unübersehbarer wird, dass die Grenzen des Wachstums längst überschritten sind.
Paradoxerweise ist es gerade dieses zweifache Ungenügen, das der Vorstellungskraft und das der Handlungsmacht, welches die apokalyptische Gestimmtheit zugleich antreibt und so verstörend macht. Wir kommen von ihr nicht los und wir können sie nicht ertragen. Dies führt zu wiederkehrenden Kippmomenten zwischen der Anstrengung, sich den bedrohlichen Zukunfts­erwartungen auszusetzen, und dem Bemühen, sie auf Distanz zu halten. Das Zeitenende erscheint – ähnlich dem Heiligen – als etwas, das uns gleichermaßen ehrfürchtig erschauern lässt wie es uns fasziniert.
Dass die Schreckensgeschichten und -bilder uns anziehen, liegt nicht zuletzt an der ihnen unterstellten Kraft, das Unheil zu bannen: Die Darstellung des Untergangs dient als Abwehrzauber gegen ebendiesen. Die Apokalypse ist ja nicht schon das Katastrophenereignis selbst, sondern eine bestimmte Weise, es vorwegzunehmen; nicht das Ende der Welt, sondern die Enthüllung – so die wörtliche Übersetzung des altgriechischen apokalypsis –, dass das Ende der Welt, zumindest der Welt, wie wir sie kennen, bevorsteht. Solange wir davon erzählen können, hat es noch nicht stattgefunden. Im Modus des Futur II verhandeln die Endzeitgeschichten Probleme und Konfliktlinien, Gesellschaftsbilder und Selbstentwürfe, Normen und Wertvorstellungen, Ängste und Hoffnungen jenes Heute, welches der Katastrophe vorausgeht und deren Vorstellung formt. Der „letzte Mensch“, von dem sie berichten, ist immer eine oder einer von uns. Den „gegenwärtigen Zukünften“, die sie ausmalen, fehlt allerdings das Pendant der – wie es der Soziologe Niklas Luhmann einmal ausdrückte – „künftigen Gegenwarten“. Die kupierte Apokalypse kennt kein Danach.
Apokalyptik operiert gleichermaßen mit Ästhetisierungen, wie sie anästhesiert: Einerseits wirken die Geschichten und Bilder durch sinnliche Überwältigung und das Pathos des Untergangs. Andererseits schützt die kulturelle Vertrautheit der Geschichten und Bilder ihre Rezipienten vor dem Zusammenbruch. Schließlich haben wir das Ende der Welt im Kino schon zigmal durchlebt. Die Inflation apokalyptischer Erzählungen und Bilder entlastet so von ebenjenem Handlungsdruck, den sie affektiv aufbauen sollen. Die fortwährende Antizipation des Schreckens trainiert den Fatalismus seiner Unausweichlichkeit. Die narrativ unterstellte Gewissheit des kommenden Endes wiederum schürt Angstlust und führt im Extremfall dazu, dass der Untergang bejaht wird, frei nach Nietzsches „lieber noch das Nichts wollen als nicht wollen“. Gleichzeitig macht der gebannte Blick auf die vermeintlich letzten Dinge blind für die vorletzten, für jene Katastrophen, die bereits heute Welten vernichten oder sie schon vor langer Zeit vernichtet haben. Und schließlich können Untergangsvorstellungen auch als Erlösung von den Belastungen der Gegenwart empfunden werden. Die Aussicht, der ganze Schlamassel komme mit einem Schlag an sein Ende, ist möglicherweise weniger schrecklich als die Vorstellung, dass es immer so weitergeht. Das CO2 in der Atmosphäre, das Mikroplastik in den Ozeanen, der Atommüll, der noch Hundertausende von Jahren strahlen wird – all das ist ohnehin nicht mehr aus der Welt zu schaffen.
Inzwischen kommt keine wissenschaftliche Konferenz, keine Parlamentsdebatte, keine Unterrichtseinheit und keine Fernsehdokumentation zur anthropogenen Klimaerwärmung mehr aus ohne Warnungen vor bald erreichten oder bereits überschrittenen tipping points, ohne Hinweise auf die bereits jetzt tödlichen Auswirkungen der globalen Erwärmung und auf die knappe Frist, die verbleibt, um den Kollaps noch aufzuhalten.
„Wir befinden uns auf dem Weg in die Klimahölle und haben den Fuß noch auf dem Gaspedal",
fasste UN-Generalsekretär António Guterres am 7. November 2022 in seiner Eröffnungsrede bei der COP27-Konferenz in Sharm El-Sheikh die planetare Lage zusammen. Im Dezember des vergangenen Jahres wurde diese Metapher bei der Weltklimakonferenz in Dubai von der Straße immerhin auf die Gleise gebracht, als Simon Stiell, Leiter des UN-Klimasekretariats, sagte:
„Diese Konferenz muss einen Hochgeschwindigkeitszug liefern, um den Klimaschutz zu beschleunigen. Bei uns tuckert aber ein alter Bummelzug über wackelige Gleise.“
Das Gefühl der allerletzten Chance drängt zu unverzüglicher Vollbremsung und radikalem Richtungswechsel. Die apokalyptische Rhetorik soll verhindern, was sie heraufbeschwört; ihre Wahrheit liegt darin, dass sie sich unwahr machen will.
Die Gefahren heilsgeschichtlicher Radikalisierung liegen auf der Hand: Wenn, wie der Religionssoziologe Wolfgang Eßbach warnt:
„das Weltende nicht in der Hand Gottes oder des Schicksals liegt, sondern in Menschenhand, sind terroristische Spiegelungen von Terror gegen Terror möglich“.
Hintergrund war ein Artikel von Günther Anders aus dem Jahre 1987, der angesichts der nuklearen Aufrüstung das Recht auf Notwehr reklamiert und gefordert hatte, jenen Männern, die für die atomare Gefährdung des irdischen Lebens verantwortlich sind,
„ausdrücklich mitzuteilen, dass sie sich nun, einer wie der andere, als Freiwild werden betrachten müssen“.
Vergleichbare Aufrufe zum „Gegenterror“ sind aus der Klimabewegung allerdings nicht zu hören. Sie setzt auf die Macht des gewaltfreien Widerstands. Das hinderte Alexander Dobrindt, den Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, keineswegs daran, die Letzte Generation als Vorhut einer „Klima-RAF“ zu beschimpfen, während die bayrische Landesregierung einige Blockierende gleich in Vorbeugehaft nahm. Inzwischen ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft München wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. Noch in der überschießenden Skandalisierung der Protestformen, die offenkundig dazu dient, nicht über die Protestinhalte sprechen zu müssen, ist freilich die apokalyptische Grundstimmung präsent: Diese Affektlage – und nicht die Gefährdungen, aus denen sie sich speist – ist das, was abgewehrt werden muss, bedroht sie doch jene Normalität, die um jeden Preis verteidigt werden soll. Umgekehrt entgeht auch die Körperpolitik der Letzten Generation nicht dem Normalisierungssog. Wenn die Aktivist:innen ihre Klebeaktionen mit der Forderung nach Einführung eines 9‑Euro‑Tickets und einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 Stundenkilometer verbinden, bleibt fraglich, ob man das eher als taktische Realpolitik oder aber als resignative Einsicht werten soll, dass mehr ohnehin nicht rauszuholen ist. Der highway to hell soll jedenfalls mit Tempolimits gepflastert sein.
In welcher politischen Einfärbung auch immer, die endzeitlichen Narrative und Bilderrepertoires polarisieren. Wenn das Ganze auf dem Spiel steht, ist es unmöglich, gleichgültig zu bleiben. Die aktivistischen Apokalyptiker verbinden den nüchternen Mut zu sagen, was ist, mit dem kategorischen Imperativ, dafür zu sorgen, dass dies nicht das letzte Wort bleibt. Was Jacob Taubes für die Sprache der antiken und mittelalterlichen Eschatologien notierte, gilt auch für die säkularen Prognosen des Klimakollapses:
„Der apokalyptische Stil verwendet vorwiegend das Passiv. In den Apokalypsen ‚handelt‘ niemand, vielmehr ‚geschieht‘ alles.“
Die Welt in ihrer Gesamtheit erscheint einerseits als hyperkomplexer, von abstrakten Kräften angetriebener Selbstzerstörungszusammenhang und wird andererseits jedem Einzelnen als moralische Verantwortung aufgebürdet.
Ein Fallstrick der Apokalypse als Argument ist schließlich ihr radikales Entweder‑Oder: entweder Rettung oder Untergang. Dazwischen gibt es nichts. Die Absolutheit der Alternative nötigt zur eindeutigen Positionierung, ohne jedoch ebenso eindeutige Handlungsoptionen zu eröffnen. Wer wollte schon ernsthaft Partei für die Seite des Untergangs ergreifen, wenn doch nicht nur die Geschichte der internationalen Klimakonferenzen zeigt, wie schwierig es ist, sich trotz eindeutiger Befunde auf die erforderlichen Maßnahmen zur Abwendung der Katastrophe zu verständigen und deren Einhaltung durchzusetzen. Apokalyptische Energien sind ein Glutkern gerade jener Politiken, die – so der Soziologe Philipp Staab – angesichts negativer Zukunftserwartungen von „Selbstentfaltung“ auf „Selbsterhaltung“ umgestellt haben.
Apokalyptik aber ist kein Parteiprogramm, für oder gegen das man sich entscheidet, sondern der Horizont zeitgenössischer Welt-, Sozial- und Selbstverhältnisse. Die Evidenz der endzeitlichen Gegenwartsdeutungen lässt sich schwerlich bestreiten, auch wenn einiges darauf hindeutet – Gewissheit kann es hier nicht geben –, dass nicht die vollständige Selbstausrottung der Menschheit bevorsteht, sondern territoriale Apokalypsen drohen: Inseln und Küstenregionen, die vom ansteigenden Meeresspiegel überflutet werden; Klimazonen, in denen Temperaturen herrschen, die sie für Menschen unbewohnbar machen; durch Abholzung und Erosion verwüstete Landschaften; nuklear verseuchte Gebiete. Die Untergänge könnten länger dauern und schmerzhafter sein als das Drama, das man gemeinhin mit Apokalypse assoziiert. Dass die Letzte Generation womöglich nicht die letzte sein wird, ist nicht unbedingt ein beruhigender Gedanke. Vielleicht liegt die Gefahr apokalyptischer Erzählungen und Bilder gar nicht so sehr darin, dass sie Verzweiflung nähren, autoritäres Durchregieren bis hin zum Terror gegen den Terror legitimieren oder einer zynischen Lust am Untergang in die Hände spielen, sondern dass sie sich die Sache zu leicht machen. Vielleicht erfordern die gegenwärtigen wie die kommenden Katastrophen statt apokalyptischer Finalisierungen ein Ethos der Sorge, das sich noch den Trost versagt, den Untergang als Ende zu denken.