Birgid Becker: Annegret Kramp-Karrenbauer, die CDU-Chefin, hat in einem Interview mit der FAZ angeregt, die Niedrigzins-Politik der EZB zu überprüfen. Man müsse für die Zukunft schauen, ob man nicht die Niedrigzins-Phase ein Stück weit einbremsen müsse. So wird sie zitiert. Das ist eine Kritik an der EZB-Politik, die vor allem in Deutschland sehr populär ist. Aber die EZB ist von der Politik unabhängig und Kommentierungen der EZB-Entscheidungen durch Politiker sind vergleichsweise unüblich und gelten leicht als Tabubruch. Damit begrüße ich den Leiter der Abteilung Makroökonomie beim DIW, Alexander Kriwoluzky. Hallo! - Guten Tag.
Alexander Kriwoluzky: Ja, hallo! - Schönen guten Tag.
Becker: Ihre Meinung: Hätte Parteichefin Kramp-Karrenbauer das besser gelassen? Oder kann man durchaus der EZB ab und an mal Beine machen?
Kriwoluzky: Meiner Meinung nach hätte Annegret Kramp-Karrenbauer diese Äußerung besser unterlassen - aus drei Gründen. Zum einen hat die Unabhängigkeit der Zentralbank in Deutschland eine lange Tradition, aufgrund der Hyperinflation der Weimarer Republik, die sich in das kollektive Gedächtnis der Nation eingebrannt hat, und das hat dazu geführt, dass praktisch die Unabhängigkeit der Zentralbank ein sehr hohes Gut ist. Zum zweiten zeigt diese Äußerung von einem relativ geringen Sachverstand in Ökonomie von Frau Kramp-Karrenbauer, denn die EZB würde nichts lieber tun, als die Zinsen zu erhöhen. Sie kann es aber gerade aufgrund des wirtschaftlichen Umfelds nicht.
Zum einen ist die Inflation immer noch sehr niedrig, geringer als das Inflationsziel der EZB es vorsieht. Zum anderen würde eine Zinserhöhung eine hohe Gefahr der Rezession in sich bergen. In der Rezession müsste die EZB wiederum die Zinsen verringern und in dieses Umfeld möchte sie nicht kommen. Dieser Situation möchte sie jetzt nicht ausgesetzt sein. Zum dritten trägt die Bundesrepublik einen ganz erheblichen Anteil mit ihrer Sparpolitik an dem niedrigen Zinsumfeld, in dem wir gerade sind.
"Ökonomisch hat das noch keine negativen Folgen"
Becker: Nun ist es aber, Herr Kriwoluzky, in der Union gar nicht so völlig unüblich, die EZB zu kritisieren. Wenn man zurückblättert: Wolfgang Schäuble sogar als Finanzminister - allerdings ist das gut fünf Jahre her -, der die EZB sogar für Wahlerfolge der AfD verantwortlich machte. Gerade konservative Politiker scheinen, da nicht so zurückhaltend zu sein gegenüber der Europäischen Zentralbank.
Kriwoluzky: Das ist eine neue Entwicklung in Deutschland. In der Regel waren konservative Politiker sehr auf Seiten der Bundesbank. So hat zum Beispiel die Bundesbank selbst im Jahre 1990 im Taumel der Wiedervereinigung, im nationalen Taumel der Wiedervereinigung die Zinsen sehr stark erhöht, aufgrund der Geldmengenerhöhung, die die Wirtschafts- und Währungsunion des Jahres 1990 mit sich brachte. Diese Zinserhöhung führte zu der starken Rezession Anfang der 90er-Jahre in Deutschland und die Bundesbank wurde dafür nicht kritisiert, auch nicht von konservativen Kreisen, sondern ihre Politik mit dem Ziel der Preisstabilität wurde allgemein akzeptiert.
Becker: Nun ist ein kritisches Wort vielleicht noch, isoliert betrachtet, harmlos. Aber vielleicht gibt es ja einen gewissen Trend, den Worten auch Taten folgen zu lassen - Beispiel Italien und die Notenbank des Landes. Da versucht die rechtspopulistische Regierung ja, tatsächlich mehr Kontrolle auf die Banca d’Italia zu bekommen. Sehen Sie einen Trend, vor der Unabhängigkeit der Notenbanken nicht mehr so viel Achtung zu haben?
Kriwoluzky: Ja, den Trend kann man ganz klar absehen – nicht nur in der Eurozone, auch weltweit. In der Eurozone kommt dieser Trend eigentlich vor allem aus Ländern, die in ihrer Geschichte nicht eine Zentralbank hatten, die unabhängig war so wie in der Bundesrepublik. In Italien war die Banca d’Italia bis in die 80er-Jahre hinein abhängig von der Fiskalpolitik. Das bedeutete: Sie musste zum Beispiel die Staatsschulden zu einem festen Preis aufkaufen, unabhängig ob das das Ziel der Preisstabilität in Italien gefährdete. Dementsprechend haben wir auch hohe Inflationsraten in Italien in den 70er-Jahren bis in die Mitte der 80er-Jahre hinein.
Becker: Wo man dann kaum mehr von Achtung der Unabhängigkeit sprechen kann: Auch die Fed, die US-Notenbank ist ja unabhängig. Aber gerade der US-Präsident legt sich da gar keine Grenzen auf. Der kritisiert die Fed offen und fordert sie ganz unumwunden zu einer Änderung der Geldpolitik auf. Jetzt muss man aber sagen: Ökonomisch hat das im Moment keine negativen Folgen.
Kriwoluzky: Nein, ökonomisch hat das noch keine negativen Folgen. Trump versteht natürlich sehr gut, dass er mit diesen Tweets zum Beispiel auch Nebelkerzen abschießen kann und ein bisschen von anderen Problemen in der Wirtschaft, die er hat, ablenken kann, die vielleicht auch aufgrund seiner Handelspolitik jetzt zu Tage treten. Mit seinen Nominierungen, die er gerade getätigt hat, für die Federal Reserve, da gibt es zum einen sehr respektierten anerkannten Ökonomen, Christopher Waller, der sicherlich für die Unabhängigkeit der Zentralbank und für Preisstabilität stehen wird. Zum anderen schlägt Trump aber gleichzeitig Judy Shelton vor, eine in meinen Augen sehr fragwürdige Kandidatin für die Federal Reserve, für die Zentralbank in Amerika, und damit wird Trump tatsächlich langfristig in die Unabhängigkeit der amerikanischen Zentralbank eingreifen.
Becker: Um das grundsätzlich zu fragen: Was stört denn populistische Staatenlenker wie Donald Trump überhaupt an unabhängigen Notenbanken? Was passt da nicht?
Kriwoluzky: Wenn eine Notenbank unabhängig ist, dann garantiert sie die Preisstabilität in einem Land. Um die Preisstabilität im Land zu garantieren, muss sie die Zinsen so setzen, dass in einem Aufschwung die Zinsen erhöht werden, um den Aufschwung zu dämpfen, denn in einem Aufschwung steigt die Nachfrage, deswegen steigen natürlich auch die Preise in einer Ökonomie. Andererseits - das haben wir jetzt in der Krise erlebt - senkt die Zentralbank die Zinsen in einem Abschwung, um die Wirtschaft wieder zu stabilisieren.
Was Trump und Erdogan zum Beispiel an der Zentralbank stört ist, dass sie in einem Aufschwung oder jetzt in der Lage in Amerika praktisch die Zinsen erhöhen möchten. Das passt Trump nicht. Trump möchte gerne, dass die Zinsen gesenkt werden, um den Aufschwung weiter in Amerika an Fahrt gewinnen zu lassen, auch mit Hinblick auf seine Wiederwahl, während die amerikanische Notenbank nicht der Wiederwahl von Trump verpflichtet ist, sondern der Preisstabilität, und das sich nur garantieren lässt, wenn sie die Zinsen erhöhen kann, so wie sie möchte.
"EZB steht weiterhin recht stabil da"
Becker: Um den Bogen noch weiter zu spannen: Von den Notenbanken in Indien, auch von der in Japan und von der in der Türkei wird ja berichtet, dass die jeweils stark an Unabhängigkeit verloren haben. Und aktueller Vorgang, wir haben den eben an der Börse angesprochen: Am Wochenende hat der türkische Staatspräsident Erdogan den Zentralbankchef des Landes abberufen. Der war vorher ja schon kritisiert worden, weil er Zinssenkungen ablehnte. Kann man da überhaupt noch von einer unabhängigen Notenbank sprechen?
Kriwoluzky: Nein. In dem Moment kann man nicht mehr von einer unabhängigen Notenbank sprechen. Diese Maßnahme wird lediglich zur Folge haben, dass das Vertrauen in die Währung, in die türkische Lira weiter zurückgeht. Das wird zur Folge haben, dass die Preise in der Türkei weiter ansteigen und die Lira weiter an Wert verlieren wird, relativ zum Dollar und zum Euro.
Becker: Um auf den Start noch mal zurückzukommen: Wie steht nun in diesem ganzen Szenario die EZB da? Immer noch sehr stabil in ihrer Position?
Kriwoluzky: Ja. Die EZB steht weiterhin recht stabil da. Sie steht nicht so stabil da, wie die frühere Bundesbank praktisch dagestanden hat. Sie hat aber in meinen Augen weiterhin eine hohe Unabhängigkeit von der Politik, trotz der Angriffe, der sie ab und zu ausgesetzt ist.
Becker: Ganz kurz: Sie haben gesagt, es ist eine neuere Entwicklung, dass es diese politischen Äußerungen gibt. Was motiviert die denn? Warum ist das so, warum kommt es zu dieser Entwicklung?
Kriwoluzky: Das haben Sie auch am Anfang sehr schön beschrieben. Das hat natürlich den Grund, dass es populistisch ist und dass viele Sparer selbst in Deutschland sich selbstverständlich wünschen würden, endlich wieder einmal positive Zinsen auf ihre Sparguthaben zu bekommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.