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Politiker-Sprache im Wahlkampf
Sprachforscher Niehr: Wortwahl der AfD ist gezielter Tabubruch

Wenn AfD-Vertreter den Vorwurf eines extremistischen Vokabulars verwundert zurückweisen, sei dies in der Regel "eine gespielte Naivität", sagte der Sprachwissenschaftler Thomas Niehr im Dlf. Mit bewussten Tabubrüchen wollten Politiker wie Alexander Gauland und Frauke Petry gezielt eine rechtslastige Klientel ansprechen.

Thomas Niehr im Gespräch mit Anja Reinhardt |
    Mikrofone verschiedener Fernsehsender stehen im Thüringer Landtag in Erfurt vor dem Parteilogo der AfD.
    Thomas Niehr: "Man kann natürlich in Bezug auf Menschen von "entsorgen" sprechen, aber damit bricht man ein Tabu, weil man implizit natürlich Menschen und Müll gleichsetzt." (picture alliance / Hendrik Schmidt / dpa-Zentralbild / dpa)
    Anja Reinhardt: Monika Grütters war am Sonntagabend als Unterstützung für Angela Merkel beim TV-Duell dabei. Ob ihr Eindruck sich mit dem der meisten Zuschauer deckte, wissen wir natürlich nicht. Langweilig sei es gewesen, das Aufeinandertreffen zwischen Kanzlerin und Kanzlerkandidat. So lautet vielerorts das Fazit. Zu wenig Streit, zu wenig konkrete Aussagen.
    Der gestrige Abend mit den Kandidaten der kleineren Parteien kam in den Nachbesprechungen schon etwas besser weg, jedenfalls wenn der Maßstab das Streitpotenzial ist. Schärfere Aussagen, klarere Positionen. Wie Politiker Sprache benutzen, wie Parteien in ihren Programmen formulieren, darüber habe ich mich mit dem Sprachforscher Thomas Niehr unterhalten, der gerade zusammen mit anderen Wissenschaftlern in Aachen auf einer Tagung das Thema "Sprache der Politiker im Wahlkampf" bespricht und analysiert. Ich habe ihn zunächst gefragt, aus welchen Gründen die AfD fast immer mit einem problematischeren Vokabular auf Stimmenfang geht.
    Thomas Niehr: Ich halte das, auch wenn die Vertreter teilweise das zurückweisen in gespielter Naivität, ich halte das für gezielte Tabubrüche, mit denen man auch wiederum eine bestimmte Klientel, eine rechtslastige Klientel gezielt ansprechen möchte. Zwei Beispiele fallen mir spontan ein. Das aktuellere ist Herr Gauland, der ja gesagt hat, man solle eine Staatsministerin der SPD in Anatolien entsorgen, und der ist dann ja in der Sendung "Hart aber fair" darauf angesprochen worden und hat dann behauptet, dabei habe er sich nichts gedacht, da habe er sozusagen frei formuliert. Das halte ich für wenig glaubwürdig. Andererseits kann man natürlich zeigen, dazu muss man nicht Sprachwissenschaftler sein: "Entsorgen" benutzen wir immer in bestimmten Kontexten. Es geht immer um Abfall, um Müll. Man kann natürlich in Bezug auf Menschen von "entsorgen" sprechen, aber damit bricht man ein Tabu, weil man implizit natürlich Menschen und Müll gleichsetzt.
    Ein ähnliches Beispiel ist Frauke Petry gewesen, die in gespielter Naivität gefragt hat, was denn an dem Ausdruck "Völkisch" problematisch sei. Das sei doch das zugehörige Attribut zu "Volk". Das ist natürlich sehr naiv argumentiert, weil man da gezielt ausblendet, dass wir alle wissen, dass das natürlich vor allen Dingen immer noch belastet ist durch den Gebrauch durch die Nazis – Stichwort "Völkischer Beobachter" und Ähnliches.
    Reinhardt: Es gibt allerdings auch in allen Parteien beziehungsweise bei allen Rednern aller Parteien herrliche Sprachblüten. Christian Lindner sagte zum Beispiel gestern, keine Biografie darf eine Sackgasse werden. Ja, das ist sehr schön, aber was heißt das eigentlich?
    Niehr: Ja, das müssen Sie Herrn Lindner fragen. Andererseits: Man muss ja auch den Menschen anrechnen, die sich da betätigen: Die sprechen oft frei, sprechen sehr viel, und dann passiert so etwas. Ich vermute, dass Herr Lindner so etwas schriftlich nicht rausgegeben hätte. Dann wäre ihm beim Lesen aufgefallen, dass das ein schiefes Bild sicherlich ist. Insofern würde ich so etwas auch nicht überbewerten. Ich mach mich davon auch nicht frei, wenn ich frei formuliere, dass ich mich korrigieren muss und dass ich zu so merkwürdigen Bildern möglicherweise greife.
    Nach dem Wahlkampf wieder kompromissbereitere Sprache
    Reinhardt: Sprache ist ja auch ein Instrument, das Solidarität herstellen soll. Cem Özdemir sagte gestern, ich bin ein Arbeiterkind. Martin Schulz erzählte Sonntagabend, er habe die Handwerker zu Hause gehabt. Das klingt fast immer beiläufig. Ist es das auch?
    Niehr: Ich glaube nicht, dass das beiläufig ist. Das ist sicherlich eine Strategie, die in die Richtung geht, ich bin einer aus dem Volk, ich gehöre nicht zu dieser abgehobenen Politikerklasse. Früher hat man Politiker gerne gefragt, ob sie eigentlich wissen, was ein Liter Milch kostet oder ein Pfund Butter, und wenn die dann nicht antworten konnten oder die Antwort allzu abstrus ausfiel, dann hat man das als Beleg genommen, die wissen gar nicht mehr um die Sorgen des sogenannten kleinen Mannes. Und ich glaube, mit solchen Einwürfen kann man dann deutlich machen, auch ich habe vielleicht ein kleines Eigenheim, wo hin und wieder renoviert werden muss, und und und. Martin Schulz macht das ja besonders deutlich, wenn er immer wieder betont, dass er kein Abitur hat, dass er eine Buchhändlerlehre gemacht hat, aus kleinen Verhältnissen stammt. Das alles sind, glaube ich, immer wieder solche mehr oder weniger dezenten Hinweise darauf, ich bin auch einer aus dem Volk und ich weiß, welche Sorgen euch plagen. Und dann kann man natürlich auch noch mitlesen, Leistung lohnt sich, wenn man so will.
    Reinhardt: Noch ganz kurz vielleicht eine Sache, die mich interessieren würde. Ist die Sprache vor der Bundestagswahl eine sehr andere als nach der Bundestagswahl?
    Niehr: Jeder mündige Bürger weiß natürlich, dass es immer zumindest bei unseren momentan politischen Verhältnissen nachher auf Koalitionen hinausläuft, und Koalition heißt ja nichts anderes, als mit dem politischen Gegner Kompromisse zu finden. Dann ist man natürlich gut beraten, wieder etwas kompromissbereiter auch zu formulieren, denn im Endeffekt kann man zwar versuchen, möglichst viele Positionen durchzusetzen, aber jeder weiß, dass man nicht eins zu eins alle Wahlversprechen nachher umsetzen kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.