Gerd Breker: Die CDU-Bundestagsabgeordnete und Verkehrs-Staatssekretärin Katherina Reiche will als Chefin des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) in die Wirtschaft wechseln. Morgen stellt sie sich zur Wahl. Ebenfalls morgen soll das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf mit Sperrzeiten für ausscheidende Regierungsmitglieder beschließen. Nach den Plänen der schwarz-roten Koalition soll für einen Wechsel in die Wirtschaft künftig eine Karenzzeit von zwölf, in Sonderfällen von 18 Monaten gelten. Am Telefon sind wir verbunden mit Edda Müller, sie ist die Vorsitzende von Transparency. Guten Tag, Frau Müller.
Edda Müller: Guten Tag.
Breker: Alles gar kein Grund, sich aufzuregen? Wir haben uns schon daran gewöhnt, dass Politiker von der Politik in die Wirtschaft wechseln.
Müller: Ja, wir sind natürlich schon überrascht, und es wurde gerade auch gesagt: es ist ein unglückliches Zusammentreffen aus der Sicht von Frau Reiche, dass nun gerade endlich die Bundesregierung beschließen wird, eine Karenzzeit einzuführen für solche Fälle, Parlamentarische Staatssekretäre, Minister, die aus ihrem Amt in andere Funktionen wechseln, und nun gerade zu dem Zeitpunkt trifft sich diese Wechselbereitschaft von Frau Reiche.
Es ist tatsächlich etwas merkwürdig, dass offensichtlich kurz vor Toresschluss hier noch etwas in trockene Tücher gebracht werden soll, und man muss Frau Reiche fragen, aber auch den VKU, der ja morgen entscheiden soll, ob man diesen Grundsatz, der in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung auch formuliert wurde, sehr schön formuliert wurde, dass es bei der Entscheidung über die Karenzzeit auch um das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Bundesregierung und der dort arbeitenden Politiker geht. Darum geht es, und Frau Reiche, die nun fast seit 2009 - sie war ja vorher schon Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium -, die in dieser Bundesregierung mitgearbeitet hat, sich einfach rauszuschleichen und diese Integrität offensichtlich nicht auf sich anwenden zu lassen, das ist schon doch sehr merkwürdig, um das vorsichtig zu formulieren.
"Das ist doch eine sehr fragwürdige Sache"
Breker: Vielleicht, Frau Müller, hat es ja was damit zu tun, dass man schlicht in der Wirtschaft mehr verdienen kann. Das ist doch menschlich, dann darauf einzugehen.
Müller: Sie wird wahrscheinlich mehr verdienen. Das ist sicherlich auch menschlich. Aber gleichzeitig erwarten wir - und das ist eigentlich der entscheidende Punkt, dass Repräsentanten, die unser politisches System ausmachen, auch Verantwortung dafür tragen, dass nicht in der Allgemeinheit der Eindruck entsteht, als ob solche politische Ämter vor allen Dingen deshalb angestrebt werden, weil man seinen eigenen Vorteil darin mehren möchte. Das ist die Verantwortung von Politikern. Dafür wählen wir sie, dafür gehen sie in die Politik und daran muss sich Frau Reiche messen lassen, aber wie gesagt auch der VKU. Der VKU, die öffentlichen kommunalen Unternehmen sind sehr eng angewiesen auf politische Entscheidungen, und ob sie hier die Hand reichen wollen in einer Situation, wo gerade eine gesetzliche Regelung in der Vorbereitung ist, für ein Unterwandern dieser Regelung, das ist doch eine sehr fragwürdige Sache. Insofern appelliere ich auch an die Vertreter in den Gremien des VKU, die morgen entscheiden sollen, ob sie da wirklich mitmachen wollen.
Breker: Nur die Wirtschaft verspricht sich ja auch etwas davon.
Müller: Ja. Das muss man annehmen, dass man miteinander hier in der Vergangenheit gut zusammengearbeitet hat. Möglicherweise hat Frau Reiche in ihrer Entscheidung, soweit sie das beeinflussen konnte, auch einiges getan, was für die kommunalen Unternehmen positiv ist, und wird nun dafür belohnt. Aber genau dafür brauchen wir eine Karenzzeit, im Übrigen eine längere Karenzzeit als das, was im Gesetzentwurf im Moment vorgesehen ist. Also noch mal: Hier ist erstens sehr deutlich, dass wir eine solche gesetzliche Regelung brauchen, und dass wahrscheinlich auch die dort vorgesehene gesetzliche Zeit oder Karenzzeit etwas zu kurz ist.
"Schädlich für unsere Demokratie"
Breker: Frau Müller, es entsteht ja in der Öffentlichkeit der Eindruck, beim Bürger draußen im Lande, dass Politiker sich hier versorgen und versorgen lassen. Ist ja möglicherweise auch mit ein Grund für Politikverdrossenheit, für geringe Wahlbeteiligung, für Pegida, die ja in der etablierten Politik auch Leute sehen, die gar nicht mehr auf die kleinen Leute hören, sondern nur an sich denken.
Müller: Ja, genauso ist es, und deshalb begrüßen wir die Formulierung auch in dem Gesetzentwurf, der vom Bundesinnenministerium vorgelegt wird, wo man nicht nur abhebt auf den Zusammenhang zwischen der Tätigkeit im Amt und der künftigen Tätigkeit, sondern man sagt ausdrücklich, dass das Vertrauen der Allgemeinheit - ich zitiere - „in die Integrität der Bundesregierung" möglicherweise beeinträchtigt werden kann. Das muss geprüft werden und da muss dann eine entsprechende Entscheidung getroffen werden. Hier ist genau diese Überlegung, die Sie gerade deutlich gemacht haben, Politikverdrossenheit, der Eindruck bei den Menschen, unsere Repräsentanten sind nicht in erster Linie dafür da oder fühlen sich nicht in erster Linie verantwortlich für das Allgemeinwohl, sondern sie sorgen dafür, dass sie wirklich selber ihre Vorteile mehren. Das ist ein falscher Eindruck aus meiner Sicht, für viele Politiker, auch für viele Minister, Staatssekretäre, Parlamentarier. Aber solche Beispiele nähren einen solchen Eindruck und der ist schädlich für unsere Demokratie.
Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung der Vorsitzenden von Transparency, von Edda Müller. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Müller: Bitte sehr!
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